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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Es war an einem jener so bezaubernd schönen, friedlich stillen Herbsttage, die in mir von jeher die Wandersehnsucht eines Zugvogels rege machten, als ich, dem unwiderstehlichen Drange folgend, wieder einmal den ganzen lieben langen Tag in Flur und Wald umhergestreift war. Ermüdet saß ich dann am Abend noch lange mit dem Hirten der auf duftenden Triften weidenden Schafe am knisternden Feuerchen, hier plaudernd den Mond erwartend, der mir meinen weiten und einsamen Rückpfad erleuchten sollte. Eben stieg das nächtige Gestirn glühend hinter dem tiefschwarzen Waldsaum empor, da trat ein Mann – der alte Haidefried, wie mir der Hirte den Kommenden kurzweg bezeichnete – aus dem Walde hervor und auf uns zu, um sich an der lodernden Flamme die frischgestopfte Pfeife zu entzünden. Erst schien er, der halb bäuerlich, halb jägerlich Gekleidete, mich, den damals raffaelgescheitelten blassen Burschen im schwarzen Sammetrocke, nicht eben mit sehr günstigen Augen zu betrachten; denn er machte durchaus kein liebsames Gesicht dazu, als ich mich ihm auf seinem Heimwege, der eine ziemliche Strecke lang auch der meine war, anschloß. Trotz alledem gewann ich hierbei schnell und offenbar in hohem Maße seine Gunst; jedenfalls weil ich in ungeheuchelter Begeisterung meine damals unbegrenzte Liebe zur Jägerei, der mein Begleiter ja selbst mit Leib und Seele angehörte, kundgegeben, denn ehe ich an seinem Häuschen von ihm schied, lud mich der gute Mann freundlichst und dringend ein, ein ander Mal bei ihm vorzusprechen, was ich natürlich auch recht bald und später oft genug ausführte. In Folge dessen habe ich denn auch vollen Einblick in sein ganzes Leben gewonnen und mir ein so lebendiges Bild von dem Biedern, wie ich es noch heute in treuer Erinnerung habe, einprägen können.

Ungefähr eine Woche nach meinem erstmaligen Begegnen mit dem alten Haidefried mochte es sein, als ich an einem nun schon recht empfindlich kalten Octobertage dem Grünrock einen Besuch abstattete. Schon von Weitem ließ mich der blaue Rauch aus dem Schornstein seines Häuschens errathen, daß ich den als rastlos bekannten Waldläufer heute daheim antreffen würde. Angekommen vor seinem ganz am Ende des Dorfes, dicht vor dem hochstämmigen Föhrenwalde gelegenen Besitzthume, einem ehemals kurfürstlichen Jagdhäuschen, das mit seinem gemüthlichen Mansardendache und weinumrankter Vorderseite höchst traulich aus seiner Umgebung hervorlugte, hatte ich nur ein kleines Vorgärtchen, dessen Spalier Malven und Sonnenrosen hoch überragten, zu durchschreiten, um mit Hülfe eines mächtigen Thürklopfers Einlaß zu begehren.

Hundegebell aus allen Tonarten folgte zunächst meinem lauten Pochen; dann ward mir alsbald von ihm selbst, dem freundlichen Manne, geöffnet und mit Treuherzigkeit die Hand zum Willkommen geboten. Aus dem kleinen Vorflur, welchen zopfig geschnitzte Hirschköpfe, mit gar prächtigen Geweihen darauf, schmückten, an deren Augensprossen dunkelroth angestrichene lederne Feuereimer nebst Spritze hingen, trat ich in das schmucke Wohnzimmer ein. Eine Gluthwärme strömte mir beim Oeffnen der Thür entgegen, sonst aber waren es verschiedene Racen von Hunden, die mir zuerst in die Augen und – in die Beine sprangen. Ein unzweideutiges „Kuscht euch!“ ihres Gebieters brachte jedoch die Bestien bald zur Ruhe; nur „Däckel“, der Unverbesserliche, beruhigte sich nicht sogleich über den Eindringling und ließ lange noch mürrisch knurrende Töne vom Ofen her, wohin er sich zurückgezogen, hören. Vor allen Dingen mußte ich nun auf einem großen lederüberzogenen, aalglatten Sopha Platz nehmen und mir es möglichst bequem machen. Er aber, der gemüthliche Haidefried, rückte sich einen alterthümlichen Holzschemel, dessen Lehne mit rothen Kurschwertern bemalt war, zurecht, nahm vom Tragebrettchen an der Wand die Kaffeemühle herunter, die er dann beim Sitzen zwischen die lederbehosten Kniee klemmte und nun schrapelnden Tones die braunen Bohnen zermalmte, um seinem jungen Gast einen solennen Kaffee zu bereiten.

Mittlerweile sah ich mich in dem lauschigen Zimmer um. Das Umfangreichste darin war unstreitig ein alter, grünglänzender, mit Stangen umrüsteter Kachelofen, dessen Verzierungen jägerliche und kurfürstliche Embleme zeigten. Zuoberst auf ihm prangte ein irdenes Gefäß – jedenfalls der Mehlwürmertopf –, während die umlaufende Bank frischgescheuerte Vogelbauer trug, unter derselben aber, neben Aufschlagstiefeln und anderem Geschühe, Hunde und Katzen sich’s wohl sein ließen. Tragebrettchen unter der schwarz geräucherten Holzdecke beherbergten allerhand Flaschen, Büchsen und Töpfchen, sowie hängende Büsche von Thymian, Baldrian und Beifuß; jedenfalls seine Hausapotheke. Sonst bedeckten die Wände noch Hirsch- und Rehgeweihe, Gewehre, Netze und allerhand andere Jagdgeräthschaften, und in einer Ecke tickte gemessen der alte messingverzierte Wandseiger, auf dem eine ausgestopfte Ohreule mit glitzernden Glasaugen ihren Platz gefunden hatte, während zur andern Seite, über einer Thürnische, ein frischer Tannenzweig prangte, welcher der lebendigen Vogelwelt, der im heimischen Stübchen freier Umflug gestattet war, zur Lust- und Schlafstätte diente. Im tiefwandigen Fenster aber grünte und blühte es von Muscatenstöckchen und Aron, und darüber pfiff ein gelernter Gimpel melodisch seine einstudirten Liedchen. An dieser Stelle schien des Hausherrn Lieblingsplätzchen zu sein, denn hier stand dessen behäbiger Lehnsessel vor einem zopfverschnörkelten Fenstertische, auf und unter welchem mächtige Folianten lagen. Diese aber reizten meine Neugier so sehr, daß ich, während der gute Alte das Feuer schürte und unverdrossen Kaffee filtrirte, mich nicht enthalten konnte, an das aufgeschlagene Buch heranzutreten, um seinen Geist zu erforschen. Da stand denn oben an mit großer Schrift: „Gebet eines Jägers“, was Zeugniß ablegte vom frommen Sinne meines Freundes.

Als mein rühriger Wirth fertig war, rückte er den Mitteltisch an’s Sopha, stellte Kannen, Tassen, sowie ein Näpfchen ein winzig kleinen Stückchen Zucker gefüllt, darauf, legte die diversen Semmelzeilen, die ich für ihn mit aus der Stadt gebracht hatte, vor, und nun tranken wir, dazu tunkend, nach Herzenslust das dampfende Gebräu. Dazu erzählte und erklärte er mir Tausenderlei, bis wir endlich auch den letzten Tropfen ausgeschlürft hatten. Hinterher ward mir aber auch noch eine Ueberraschung. Nachdem er abgeräumt und dann erst noch eine große Schüssel mit dünner Milch und Brod gefüllt, ging er hinaus. Bald darauf trat er wieder ein, und zwar mit einem prächtigen Hühnerhunde, den er jedoch, wie er mir sagte, nur in Dressur und Pflege hatte. Aber zu meinem freudigen Erstaunen folgte diesem auch ein zierliches Reh, zwischen dessen Läuften sich wiederum keck ein Paar prächtiger Katzen hindurchdrängten und miauend mit in die Stube schlüpften. So war der beschränkte Raum darin plötzlich von Thieren der verschiedensten Arten gefüllt, was dem lieben alten Manne eine wahre Herzensfreude zu sein schien. Nun nahm er die vorbereitete Schüssel, setzte sie an die Dielen und pfiff dazu. Da drängten sich denn alsbald Reh, Schweißhund, Dächsel und die Katzen heran, gemeinsam aus dem ihnen vorgesetzten Napf zu fressen; doch auch eine bis dahin von mir noch nicht bemerkte Elster kam schackernd aus einem Winkel hervor und langte herzhaft und ohne jegliche Scheu mit den Andern zu; Zaunschlüpferchen flogen ebenfalls aus dem Tannenzweige herbei, setzten sich auf Tisch und Stuhl und lugten von hier aus neugierig dem gemeinsamen Mahle zu, ebenso ein munteres Rothkehlchen, das sogar sehr bald auf dem Rande des Futtertroges Posto faßte. Nur Nimrod, der stattliche Vorstehhund, enthielt sich jedes Zulangens, da ihm diese Enthaltsamkeit, um seiner Dressur willen, ausdrücklich auferlegt ward, die er auch, so sehnsuchtsvoll seine Blicke nach dem Schmause standen, glänzend bewährte.

Es war ein überaus fesselnder Anblick, diese Gruppe, und ich habe deshalb versucht, sie im Bilde wiederzugeben. In dieser Eintracht der sich sonst so feindlich entgegenstehenden Naturen sah man übrigens so recht den unbedingten Einfluß der ruhig gestrengen und dabei doch wahrhaft liebevollen Behandlung dieser Thiere seitens unseres Haidefrieds. Wie war dieser aber auch so ganz mit seinen geliebten Pfleglingen vertraut! Vom anmuthigen Reh an bis auf die niedlichen, ruhelosen Schneekönige herab unterhielt er sich mit Allen, als ob sie ihn voll verständen; und das war in der That auch der Fall, denn wenn den Gliedern dieser gemischten Gesellschaft auch die Sprache zum Antworten versagt blieb, so war doch das Gebahren eines jeden von ihnen ein lautredendes Zeugniß vom Verständniß zwischen ihnen und ihrem Herrn. Nach diesem reizenden Zwischenspiel waren noch unter Plaudern Stunde um Stunde verronnen, so daß es schon völlig dunkelte, als ich mich von meinem freundlichen Wirthe verabschiedete, doch nicht ohne zuvor das Versprechen gegeben zu haben, recht bald wiederkommen zu wollen.

Noch manchen trauten, glücklichen Tag habe ich in dieser Weise mit dem herzigen Manne verlebt, theils in seiner Häuslichkeit,

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