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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

zu begründen, die vorhandenen staatlichen Formen mit dem Wesen der jungen Freiheit zu erfüllen. Von einer Revolution war nichts zu erwarten, als Unheil. Im besten Falle riß sich der südwestliche Winkel Deutschlands dann vom großen Vaterlande los und verband sich als republikanischer Rheinbund mit Frankreich. Aber viel wahrscheinlicher war, daß ein Losbruch in Baden die alten Gewalten zu einem Kampfe aufrief, der mit der Rebellion begann und mit dem Belagerungszustand endigte.

Die Radicalen sahen dies nicht. Ihre Bemühungen zur Aufregung des Volkes waren besonders in Mannheim, wo Struve, und im Seekreise, wo Joseph Fickler wirkte, von Erfolg. Hier, am Bodensee und auf dem Schwarzwald, wohnt ein kräftiger Menschenschlag, derb, freiheitsliebend, ausdauernd in Liebe und Haß bis zum zähen Eigensinn; das Gefühl des Mißbehagens über das alte Regierungssystem hatte hier breite und tiefe Wurzeln geschlagen. Dazu kamen materielle Mißstände. Dazu trat endlich die Nachbarschaft der Schweiz, wo es keinen Beamtendruck und keine Ueberlastung mit Steuern gab. Freisinnige Beamte konnten dagegen nicht viel ausrichten, denn das Volk hatte sich hier gewöhnt, allen Beamten zu mißtrauen, und so hörte es nur auf die Stimme der Radicalen. Einer der geschicktesten und rührigsten unter diesen war Fickler. Hatte er früher mit Eifer gegen Blittersdorff, dann für den Deutschkatholicismus gearbeitet, so war jetzt die Republik sein Ziel. Schon zu Anfang des März hatte er Versammlungen auf Versammlungen gehalten, um sie zu empfehlen, und daneben wirkte er in den „Seeblättern“, einem kleinen, aber durch seine volksthümliche Sprache in den Kreisen der Landleute und Kleinbürger sehr einflußreichen Blatte, mit großem Eifer nach derselben Richtung.

Nach der Niederlage, welche die republikanische Partei im Vorparlamente erlitten, nachdem dieses nicht, wie sie gehofft, zum Convent geworden war, beschloß man, wenigstens in Baden die Republik einzuführen. Hecker und Struve erklärten am 2. April, nachdem sie aus dein Vorparlament ausgetreten, einer Deputation, daß die Zeit zum Handeln gekommen sei. Der Ausbruch der Revolution war auf die letzten Tage des April festgesetzt; dieselbe konnte für eine kurze Zeit gelingen, sie konnte der Regierung wenigstens ernste Verlegenheit bereiten und großes Unheil hervorrufen. Da trat ein Ereigniß ein, welches dem Plane die Spitze abbrach.

Fickler war im Begriff, vom Unterlande, wo er mit den Gesinnungsgenossen die letzten Verabredungen getroffen, nach dem Süden zurückzukehren, als Mathy ihn am Morgen des 8. April auf dem Karlsruher Bahnhof verhaftete. Der Beamte, der dabei behülflich sein sollte, mußte, ängstlich wie er war, zur Mitwirkung förmlich gezwungen werden. Fickler, der schon im Waggon Platz genommen, weigerte sich anfangs, wieder auszusteigen, aber er kannte Mathy, und so ergab er sich nach einigem Zögern in sein Schicksal.

Diese entschlossene That Mathy’s hat damals eine sehr verschiedene Beurtheilung erfahren. Fickler und Mathy nannten sich Du, dieser dankte jenem manchen Freundschaftsdienst, der über der Entfremdung, die 1847 zwischen ihnen eingetreten war, nicht vergessen sein durfte. Nicht blos der Philister, auch mancher Weitersehende erblickte in Mathy’s Einschreiten gegen den alten Freund eine unerhörte Impietät, eine beispiellose Undankbarkeit, und nicht wenig andere alte Freunde wandten sich auf die Kunde von diesem Ereigniß für immer von ihm ab. Sie vergaßen, daß in politischen Dingen das Herz kein Recht hat, darein zu reden, wenn der Kopf etwas als nothwendig erkannt hat. Mathy und Fickler standen sich jetzt als politische Feinde gegenüber, und Mathy handelte, als er seinen Gegner unschädlich machte und damit den ganzen Plan der Radicalen störte, im Gefühl der Pflicht gegen seine Partei und gegen den Staat.

Auch darüber, ob dieses Gefühl ein richtiges gewesen, konnte man damals verschiedener Ansicht sein und sind noch jetzt die Meinungen getheilt. Gewiß ist, daß nicht gewöhnlicher Muth dazu gehörte, ihm Folge zu geben.

Die Verhaftung Fickler’s erregte bei den badischen Radicalen allenthalben Erbitterung und Schrecken, vielleicht nirgends aber mehr Zorn und Ingrimm als in Mathy’s Vaterstadt Mannheim. Er aber kannte keine Furcht, und so erschien er noch am Nachmittag des 8. April mitten unter dieser fanatisch aufgeregten Bevölkerung. Er war kaum eingetroffen in seiner Wohnung, als sich mehrere Wortführer der revolutionären Partei bei ihm einstellten und ungestüm Rechenschaft von ihm verlangten. Zu gleicher Zeit sammelten sich Volkshaufen vor seinen Fenstern, die allerlei drohendes Geschrei ausstießen. Nur dadurch, daß sich auch von dem ihm wohlwollenden Theile der Bürgerwehr einige Abtheilungen einfanden, wurden Gewaltthätigkeiten verhütet. Man kam schließlich dahin überein, daß Mathy sich nach dem Rathhause verfügen und dort den Gemeindebehörden Mittheilungen über die Gründe seines Verfahrens machen solle. Von Freunden begleitet, von der Wuth der Masse umtobt, begab Mathy sich nach dem Rathhause. Dort brachte er eine kurzgefaßte Erklärung zu Papier, in der hieß es :

„Gestern Vormittag in dem Ständehause und gestern Abend bei Herrn Präsidenten Mittermaier überzeugte ich mich, daß urkundliche Beweise vorliegen, welche darthun, daß Herr Fickler im Auslande Verbindungen mit Ausländern und Deutschen gepflogen hat, die einen bewaffneten Einfall in Baden bezweckten. Diese Handlung ist Landesverrath; jeder Bürger, der davon zuverlässige Kenntniß erhält, hat die Pflicht, solchem Verbrechen entgegenzutreten, und diese Pflicht habe ich erfüllt, indem ich Herrn Fickler verhaftete.“

Der Gemeinderath und der Bürgerausschuß ließen diese Erklärung sofort drucken und fügten einen Aufruf hinzu, welcher zu ruhiger, gesetzlicher Haltung ermahnte. Unterdeß hatte sich auf dem Platz vor dem Rathhause eine dichtgedrängte Volksmenge gesammelt, aber auch die Bürgerwehr war fast vollständig erschienen. Indeß zeigte letztere in mehreren Compagnien seine zweifelhafte Gesinnung, und die Masse des Volks gab, auch nachdem Mathy’s Erklärung und der Aufruf der städtischen Behörden mitgetheilt war, sehr deutlich ihre Neigung zu erkennen, an dem „Verräther“, der Fickler verhaftet, ein Beispiel zu statuiren.

„Mathy ’raus!“ schrie es von unten herauf, und sofort erschien der Gerufene auf dein Balcon, um zu der nun stillwerdenden Menge gelassen, aber entschlossen, wie es seine Art war, einige Worte zu sprechen, die mit der Versicherung: „Hätte ich das, was ich heute Morgen gethan, noch einmal vor mir, so würde ich es abermals thun, selbst wenn es mein Leben kosten sollte; denn ich bin überzeugt, dem Vaterlande einen Dienst erwiesen zu haben.“ Als Mathy auf den Balcon hinaustrat, wagte er es unzweifelhaft auf die Gefahr hin, lebend nicht zurückzukommen. Als er gesprochen, brach die Bürgerwehr in ein lautschallendes begeistertes Hoch auf ihn aus, von der Menge aber, die unten gelärmt, wagte keiner auf den eisernen Mann oben den Stein zu werfen, der sich für diesen schon in tausend Händen befand.

In der That, hätte sich das Ministerium Bekk-Rebenius durch Mathy ergänzt, viel Unglück wäre verhütet worden. Wie er die Revolution von 1848 in Baden mit einem bloßen Putsch enden ließ, so wäre vor seiner mannhaften Unerschrockenheit und andererseits vor seiner Ueberzeugung von der Nothwendigkeit der Freiheit für das Leben der Staaten und Völker die Revolution von 1849 überhaupt nicht ausgebrochen. Daß man seinen Werth in damaliger kritischer Zeit zu Karlsruhe nicht erkannte, war einer der verhängnißvollsten Fehler der großherzoglichen Regierung und eine der Hauptursachen ihres kläglichen Zusammenbruchs.

Man brachte es lediglich dazu, ihn zum Staatsrath zu machen, während er an die Spitze der Geschäfte gehörte. Von einem würtembergischen Kreise in den Reichstag gewählt. der in der Frankfurter Paulskirche tagte, dann Unterstaatssecretär im Reichsministerium, widmete er sich den ihm hier obliegenden Arbeiten mit Eifer, aber bald ohne viel Hoffnung auf Erfolg. Nachdem er als Vertreter eines schlesischen Wahlbezirks auch dem Erfurter Parlament beigewohnt, kehrte er, von der in Baden jetzt mächtigen Reaction ohne Weiteres seiner Stelle enthoben, in das Comptoir der Buchhandlung zurück, die er mit Bassermann in Mannheim gegründet hatte und welche dadurch von Interesse ist, daß in ihr der Werth von Auerbach’s Dorfgeschichten zuerst gewürdigt wurde.

1853 zog er nach Köln, wo ihm eine Stelle in dem Schafhausenschen Bankverein angeboten wurde. Im folgenden Jahre trat er, von Hansemann für die Berliner Discontogesellschaft gewonnen, als Director in die Leitung dieses Unternehmens, welches damals sich zu einem Organismus von Bankgeschäften in ganz Deutschland erweitern sollte. Später nahm er, dem Hansemann’s übergroße Rührigkeit nicht behagte, den ihm angetragenen Posten des Directors der Bank an, die er in Gotha gegründet hatte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_264.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)