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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

man kennt uns ans Euren Bildern und achtet uns jetzt ebenso sehr, wie wir früher verachtet waren. Ja, wir könnten jetzt wohlhabende Leute werden und goldene Pfeile in den Haaren tragen, wenn Teresina meinem Rathe folgen wollte.“

„Nein, nein!“ sagte das junge Mädchen erröthend. „Dazu werde, ich mich niemals hergeben und auch von Dir nicht überreden lassen.“

„Was ist da weiter? Alle Welt will jetzt nur Briganten und ihre Frauen besitzen. Die Herren Maler bieten uns Geld über Geld, wenn wir ihnen als Modelle sitzen wollen. Warum sollen wir ihnen nicht den Gefallen thun, wenn wir dafür gut bezahlt werden? Teresina aber sträubt sich dagegen, als ob diese Künstler Bären und Wölfe, nicht artige, manierliche Leute wären, wenn auch keiner unserer Eccellenza das Wasser reichen kann.“

„Ich schäme mich zu sehr,“ versetzte Teresina, „außerdem halte ich es für eine Sünde, sein Gesicht zu verkaufen und für Geld seine Züge preiszugeben.“

„So willst Du auch mir nicht ferner sitzen?“ fragte Robert, sie anblickend.

„Euch!“ erwiderte sie mit vor Bewegung zitternder Stimme. „O, das ist ganz etwas Anderes! Ihr seid wie die Heiligen, denen man vertrauen darf. Auch habt Ihr mich von der verhaßten Verbindung mit Mattia befreit, wofür ich Euch bis zu meiner Todesstunde danken werde. Ich bin nur Eure Magd, über die Ihr zu gebieten habt.“

„Und ich,“ fügte Maria-Grazia naiv hinzu, „bitte Euch, auf Eurem nächsten Bilde mich nicht zu vergessen. Es ist doch gar zu schön, wenn man so von aller Welt angeschaut und bewundert wird.“

„Ihr dürft Beide auf meinem nächsten Gemälde nicht fehlen,“ erwiderte Robert freundlich. „Wir können gleich morgen, wenn Ihr Zeit habt, beginnen.“

Von jener Schöpfungskraft beseelt, die jeder bedeutende Erfolg hervorzurufen pflegt, ging Robert schon in den nächsten Tagen an die Ausführung jener Bestellung, welche der reiche Lord bei ihm gemacht hatte, nachdem er sich mit ihm über den Preis und die näheren Bedingungen geeinigt hatte. Mit Feuereifer arbeitete er an der Skizze, indem er zunächst die Gruppe der Zuhörer entwarf, welche sich um die begeisterte Corinna, deren Gesang bewundernd, schaaren sollten.

Unter diesen Gestalten erblickte man zu den Füßen der genialen Sängerin das wohlgelungene Portrait Maria-Grazia’s mit einem schönen Kinde auf dem Schooß, wodurch sie sich nicht wenig geschmeichelt fand.

Noch fehlte ihm aber die Hauptfigur, die Heldin des Romans, Corinna, für die er das zartere Gesicht Teresina’s als Modell zu benutzen gedachte. Je weiter aber das Gemälde vorrückte, desto weniger befriedigte ihn dasselbe, indem er an sich selbst die höchsten künstlerischen Anforderungen stellte. Mit Unmuth bemerkte er, daß die kindliche Schönheit Teresina’s nicht seinem Ideale entsprach, da ihr gerade jener geistige Ausdruck, die höhere Inspiration fehlte, welche das Bild der genialen Dichterin von ihm forderte.

Erst jetzt erkannte er, daß der bloße äußerliche Reiz des jungen Mädchens nicht den Mangel der inneren Bildung zu ersetzen vermochte, daß ihr jener Seelenadel, der eigenthümliche Zauber fehlte, welchen allein Cultur und Erziehung ihren bevorzugten Lieblingen verleihen, daß sie jenes anziehende Fluidum der Intelligenz, eines tieferen Verständnisses vermissen ließ, das uns aus den Blicken und den Zügen, aus den Reden und der Haltung geistig bedeutender Frauen so wunderbar anspricht.

Teresina war nur das arme, einfältige Kind der Berge, schön wie eine wilde Blume, anmuthig wie das schüchterne Reh, voll unbewußter Grazie und Poesie, die unwissende Tochter eines reich begabten, aber verkommenen Volkes.

Vergebens suchte der Künstler in ihrem Gesichte die Spuren des göttlichen Funkens, in ihren Zügen das Urbild einer Corinna. Fortwährend ließ er sie neue Stellungen einnehmen, ihren Kopf bald nach dieser, bald nach jener Seite wenden, indem er der falschen Beleuchtung die Schuld gab.

Er war mit seiner bisherigen Leistung unzufrieden, weshalb er unaufhörlich daran änderte, besserte, radirte, bis er voll Ungeduld die Staffelei bei Seite schob und die Sitzung beendete.

Zum ersten Male verabschiedete er Teresina fast unfreundlich, so daß sie ihn traurig verließ und nur mit Mühe ihre Thränen unterdrücken konnte, da sie ihn durch ihre Ungeschicklichkeit gekränkt zu haben glaubte.

„Ich will es morgen besser machen,“ sagte sie mit rührender Demuth, während sie den abgelegten Schleier in ihren Haaren befestigte.

„Vielleicht wird es mir dann besser gelingen. Ich bin heut’ nicht aufgelegt,“ entschuldigte Robert seine frühere Barschheit, die ihm jetzt leid zu thun schien.

Seine freundlichen Worte verscheuchten wie ein Sonnenstrahl die Beklommenheit des jungen Mädchens, daß es bald wieder wie eine frische Rosenknospe unter Thränen erröthend lächelte.

Wenige Augenblicke später schloß auch Robert sein Atelier und schlug den ihm nur zu bekannten Weg nach dem Palaste des Prinzen Napoleon ein, um diesem für die durch dessen Verwendung erfolgte Begnadigung Francesco’s zu danken, wozu ihm bis jetzt die Zeit gefehlt hatte.

In der durch Geburt und Schicksal gleich ausgezeichneten Familie fand er, was er schmerzlich vermißt halte, die innigste Theilnahme, das feinste Verständniß für seine künstlerischen Leistungen. Der Prinz selbst war eine tiefere Natur und besaß ein mehr als gewöhnliches Talent, während seine Gattin kleine reizende Landschaften in Sepia malte, zu denen Robert die Figuren entwarf. Diese gemeinsame Beschäftigung bildete zwischen Beiden ein zartes Band, wodurch sie immer inniger miteinander verknüpft wurden. In ihrer Nähe legte Robert seine gewöhnliche Schüchternheit ab und entfaltete den ganzen Reichthum seines Geistes, wogegen die Prinzessin durch ihre Feinheit und Liebenswürdigkeit ihn, wie alle Welt, bezauberte.

Mit ihr allein durfte er von seiner Mutter und seinen Geschwistern sprechen, die er auf das Innigste liebte; sie hörte mit dem wohlthuendsten Interesse ihm zu, wenn er von seiner Jugend, von der Schweizer Heimath erzählte, wie er als Knabe in den Bergen umhergeirrt, als Jüngling für seine Kunst gekämpft und gelitten. Selbst seine jetzigen Erfolge hatte er zum Theil dem freundlichen Zuspruch zu verdanken, mit welchem sie seinen Muth aufrecht erhielt und ihn in seiner Richtung bestärkte. Für das Alles besaß die reizende Frau nicht nur den feinsten Sinn, sondern auch die nöthige Herzens- und Geistesbildung. Kein Wunder, daß er sie wie ein höheres Wesen verehrte, daß er sich zu ihr hingezogen fühlte, wie zu keinem andern Weibe auf Erden.

Noch nie aber hatte er dies Gefühl so lebhaft empfunden, wie an diesem Abend, wo ihm die Gelegenheit geboten wurde, sie nicht nur mit der armen, tief unter ihr stehenden Teresina, sondern mit den ihr ebenbürtigen Damen aus der besten Gesellschaft zu vergleichen, die sich heute zufällig in ihrem Salon zusammenfanden.

Nicht blos durch ihre hohe, schlanke Gestalt, sondern auch durch ihre geistige Größe ragte die Prinzessin über den andern Frauen empor, indem Alles, was sie that und sprach, den Stempel wahrer Vornehmheit, des angeborenen Seelenadels trug, gemildert durch die zarteste Weiblichkeit. Unwillkürlich bildete sie den Mittelpunkt dieses Kreises mehr oder minder bedeutender Menschen, unter denen ihr Gatte, wie all’ die Andern, ihr Uebergewicht anerkannte, ohne daß sie danach strebte.

Mit ihr wetteiferte eine nahe Verwandte des Hauses, Fräulein Juliette de Villeneuve, welche die Lebhaftigkeit der Südfranzösin mit der Eleganz und dem sprühenden Witz der Pariser Salons zu vereinen wußte. Sie allein vermochte durch ihren schalkhaften Uebermuth dem ernsten Gesicht des Prinzen Napoleon ein heiteres Lächeln abzugewinnen. An der Seite ihres Verlobten, strahlend vom Glück der jungen Liebe, bildete sie mit ihren mehr pikanten als schönen Zügen, mit ihrer sprudelnden Heiterkeit und guten Laune den entschiedensten Gegensatz zu der mehr majestätischen Schönheit und dein tieferen Wesen der Prinzessin.

Während Robert zwischen den beiden ungleichen Freundinnen saß, dachte er unwillkürlich an das Bild seiner Corinna, für das er vergebens nach einem entsprechenden Ideale suchte. Jetzt erst glaubte er dasselbe gefunden zu haben, aber wie durfte er hoffen, daß die hohe Frau sich jemals dazu hergeben würde, ihm zu diesem Zwecke zu sitzen? Der bloße Gedanke erschien ihm eine Vermessenheit, wie ein Frevel an dem Heiligsten.

Abgezogen durch seinen seltsamen Ideengang, beachtete er kaum die Neckereien seiner pikanten Nachbarin, die ihn mit seiner Zerstreutheit aufzog.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_259.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)