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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Es währte auch nicht lange, so erschien der Bote mit der Meldung, daß er die Gewünschte mitgebracht. Ein triumphierendes Lächeln glitt wie ein Sonnenstrahl über das schönste Gesicht Dresdens, die weiße Hand winkte, und eine allerliebste Person in der zierlichen Tracht der wohlhabenden Bürgerfrauen mit klugen, braunen Augen und einem Schelmengesichtchen erschien auf der Schwelle. Wenige Minuten später saßen die beiden Frauen einander allein gegenüber. Die Thüren waren verschlossen und die schweren Umhänge fest zugezogen. Ohne weitere Einleitung, denn eine Diplomatin war Anna von Hoymb nie, fragte die Frau Staatsministerin die Frau Hoftöpferin in herablassendster Weise nach dem geheimnißvollen Treiben des Fremden auf der Jungfernbastei, indem sie zugleich eine feine Goldkette um den vollen Hals der hübschen Vertrauten befestigte und ihr das Häubchen mit einer goldenen Nadel etwas fester zu stecken versuchte. Wer hätte da widerstehen können, besonders wenn man vor einem großen Spiegel saß und im Schmuck der Goldkette und Nadel denken mußte: „Man schaut doch gleich ganz anders drein.“ Freilich tauschte man zunächst gegenseitig die feierlichsten Gelübde aus, das gefährliche Geheimniß im tiefsten Herzensschrein zu bewahren, aber man redete doch schließlich und erzählte so viel man wußte, ja sogar im Grunde mehr' als man wußte. Ein Wörtchen gab das andere, und als die hübsche Töpfersfrau, nachdem sie sich nochmals überzeugt, daß die Thüren wirklich fest verschlossen und kein Lauscher in der “Nähe, endlich gestand, daß sie wohl zuweilen ihren Mann dort aufgesucht und bei der Gelegenheit den Friedrich Böttcher ganz in der Nähe gesehen, der, mit Ausnahme des Hoftöpfers natürlich, der hübscheste Mann unter der Sonne, – da erhob sich Frau von Hoymb endlich mit den Worten: „Wir wollen zur Stelle hin zu ihm! Ihr verschafft mir einen Alltagsanzug von Euch, und so kann man uns den Eintritt nicht verwehren, wenn wir – unsere Männer sprechen wollen! Besinnt Euch nicht lange – ich nehme Alles auf mich – ich gehe mit in Eure Wohnung!“

Wann hätte je eine Frau sich von der Gefahr eines romantischen Abenteuers zurückschrecken lassen?– Die kleine Hoftöpferin beschwor zwar ihre neue Gönnerin hoch und theuer, ihren gefährlichen Plan aufzugeben, aber als die weißen Händchen der Staatsministerin noch ein Herz, aus Rubin geschnitten, an die Goldkette reihten und ihre zierlichen Finger eine zweite Goldnadel in die Haube schoben, da gab sie doch nach und versprach Alles, denn:

„Am Golde hängt, nach Golde drängt
Doch Alles – – ach wir Armen!“ –

Das Arbeitszimmer Friedrich Böttcher’s in dem vielbesprochenen Hause auf der Jungfernbastei war gar nicht so zaubervoll eingerichtet, wie man sich’s erzählte. Es sah bei ihm fast aus, wie bei dem weiland Doctor Faust, schwarzkünstlerischen Angedenkens; allerlei seltsame Geräthe und Formen standen umher, auch Büchsen, Tiegel und Flaschen verschiedener Größe, und an den Wänden gewaltige Schränke voll dicker Bücher, und auf dem Tische lagen bestaubte Scripturen, Pergamentrollen, Zeichnungen und Meßinstrumente aller Art. Wie er so vertieft da saß in seinem Sessel, dessen geschnitzte Lehne hoch über seinem Haupte hinausragte, da erschien sein sonst so jugendliches Gesicht um viele Jahre gealtert und ein Zug tiefster Schwermuth lagerte sich um den Mund, der sonst so anmuthig zu scherzen verstand. War ihm doch das Herz so schwer in dem Gedanken an die nächste Zukunft! Sein Brief war ohne Antwort geblieben – er konnte nicht länger zweifeln: der König hatte sein Interesse an seiner Erfindung und – sein Vertrauen zu ihm verloren. Daß der hohe Herr selber nicht mehr erschien, hätte Böttcher nun schon überwunden, aber daß er nicht einmal mehr einen Abgesandten schickte, der nach den Resultaten seiner Forschung fragte, kränkte ihn gar zu sehr, noch mehr aber, daß man plötzlich anfing, Rechnungsberichte über alle Ausgaben von ihm zu verlangen, und diese Ausgaben in der kleinlichsten Weise zu beschränken suchte. Man gab ihm deutlich zu verstehen, daß man das Geld, das man ihm bis zur Stunde bewilligt, als ein verlorenes Capital betrachte, und hoffte, daß er seine theuren Gehülfen Fischer und Engelbrecht, die man Beide mit einem Ducaten täglich besoldete für das Drehen der Gefäße, demnächst zu einlassen habe. – Wenn man seiner Uebersiedlung nach Berlin jetzt noch etwas in den Weg legte, so geschah es nur, weil man noch einigen Ersatz für alle Ausgaben in der von ihm mit Glück unternommenen Verbesserung des Milchglases zu finden hoffte.

Und trotz der heimlichen glänzenden Versprechungen des preußischen Hofes, welche man Friedrich Böttcher in die Hände zu spielen gewußt hatte, dachte der junge Mann doch keinen Augenblick daran, seine sächsische Gefangenschaft gegen eine Freiheit in einem andern Lande zu vertauschen. Hing er doch mit allen Fasern seines Herzens im wahren Sinne des Wortes an jener Erde, die ihn trug und die ihn: allein das Material zu liefern vermochte, welches er brauchte, um eine Erfindung zu vollenden, die der einzige Traum seiner Seele war bei Tag und bei Nacht. Er hätte keinen Augenblick geschwankt, wenn man ihm die Wahl gelassen, in seinem lieben Sachsenlande elend und kümmerlich zu leben oder in der Fremde zu schwelgen, – der Boden, auf dem er stand, war für ihn der einzig heimathliche, der geliebteste der ganzen Welt!

Und jetzt, so nahe der Verwirklichung seiner Gedanken, wie er fest glaubte, im Begriff, daß Ziel seines Forschens und Grübelns zu erreichen, sah er sich durch das erkaltete Interesse seines mächtigen Schützers in das Dunkel zurückgedrängt! Welch’ ein Unterschied, wie man ihn jetzt zu behandeln anfing, und jener fast zärtlichen Bewachung seines Selbst auf dem Königstein, wohin man ihn gebracht, als Karl der Zwölfte mit seinen Schweden in Sachsen einfiel! In der Georgenburg hatte man ihm damals ein Laboratorium eingerichtet, seine Zimmer waren unter strengster Aufsicht, seine Thüren sogar mit einem Vorlegeschloß versehen gewesen; er verlor jedoch seine Heiterkeit und Zuversicht keinen Augenblick, machte sogar scherzhafte Verse und war der Abgott seiner Mitgefangenen: Ritter, Romanus und Beichling.

Ein Jahr und drei Wochen hatte er dort gearbeitet und Riesenfortschritte glaubte er gemacht zu haben, als man ihn nach Dresden brachte. Und nun sollte Alles vergebens gewesen sein? - Lähmende Melancholie breitete sich wie ein wachsender Nebel über seine Seele, das Blau der Siegesgewißheit schwand, eine plötzliche unüberwindliche Lebensmüdigkeit, jene weitverbreitete Krankheit hochfliegender Geister und feuriger Herzen, befiel ihn. Wozu all’ dies Streben und Ringen, wozu diese Sorgen und dies fieberhafte Arbeiten Tag und Nacht? Man band ihm ja doch die Hände fester und fester, – man jagte ihn doch schließlich fort mit Schimpf und Schande, wie Einen, der nicht gehalten, was er gelobt, – warum solch’ Ende abwarten? War es nicht besser, sich unter das Leichentuch zu flüchten, dessen mitleidige Falten schon so manches Leid verhüllt? – Die Elbe rauschte so lockend aus der Ferne, er sah ihre Wellen spielen und glitzern von seinem Fenster aus, – sie riefen ihn – warum zögerte er noch? Ein Sprung in die Tiefe, ein kurzer Kampf und der heiße Kopf ward kühl, und die Welt ging ihren Gang weiter ohne jene anmuthigen Gebilde, welche Friedrich Böttcher in seinen Träumen sah.

In diesem Brüten unterbrach ihn ein Diener, der ihm mit geheimnißvoll lächelnder Miene zwei Arbeiterfrauen meldete, die ihn zu sprechen verlangten. Es geschah nicht selten, daß ihn die Mütter, Bräute, Schwestern und Frauen seiner Arbeiter aufsuchten, trotz allen Verbotes, um irgend ein Anliegen in Bezug auf ihre Angehörigen dem Wundermanne selber vorzutragen; er befahl also auch diesmal, daß man die Bittstellerinnen eintreten lasse. Aber es war nur Eine, die jetzt auf ihn zu kam, die Andere zog sich, nach einem zierlichen Knix, mit dem Diener in das Vorzimmer zurück. Friedrich Böttcher erkannte aber doch, als er ihr mit seinen Blicken folgte, die kleine Hoftöpferin, mit der er oft ein neckisches Wort gewechselt, wenn sie, unter dem Vorwand, ihren Mann zu suchen, an ihm vorüber zu huschen versuchte. Er wunderte sich über das Zurückziehen der Kleinen, die doch sonst nicht scheu, und warf nun einen prüfenden Blick auf ihre verhüllte Gefährtin. Sie schlug rasch den Mantel zurück und Friedrich Böttcher sah sich plötzlich einer wunderschönen Frau gegenüber, die er im ersten Augenblick ganz fassungslos anstarrte. Wer war sie, die ihm lächelnd den fragenden Blick zurückgab, wem gehören diese Augen, dieser Mund, diese herrliche Gestalt; doch nun und nimmermehr einer gewöhnlichen Arbeiterin? Unwillkürlich verneigte er sich tief, schob einen Sessel heran und fragte: „Was steht zu Eurem Befehl holdeste Frau?“

„Ich wollte fragen, ob Ihr eine Arbeit annehmen und ausführen wolltet für mich.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_251.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)