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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

das geistige Band zerrissen wurde, durch welches der heilige Bonifacius die deutschen Völker verbunden hatte, da war es auch aus mit der deutschen Einheit und der Größe des deutschen Volks. Wie das Judenvolk seinen Beruf auf Erden verloren hat, als es den Messias kreuzigte, so hat das deutsche Volk seinen hohen Beruf für das Reich Gottes verloren, als es die Einheit im Glauben zerriß, welche der heilige Bonifacius gegründet hatte. Seitdem hat Deutschland fast nur mehr dazu beigetragen, das Reich Christi auf Erden zu zerstören und eine heidnische Weltanschauung hervorzurufen. Seitdem ist mit dem alten Glauben auch die alte Treue mehr und mehr geschwunden, und alle Schlösser und Riegel, alle Zuchthäuser und Zwangsanstalten, alle Controlen und Polizeien vermögen uns nicht das Gewissen zu ersetzen.“

Das ist, bei Gott! ein grauenhafter Fanatismus, der dem deutschen Volke im Allgemeinen und den deutschen Protestanten insbesondere so furchtbare Anklagen, so schwere Schmähungen in’s Gesicht zu schleudern wagt! Das ist entweder eine Beschränktheit des Geistes, oder aber eine absichtliche Entstellung historischer Thatsachen, sowohl in Bezug auf ihren Grund, wie auf ihre Folgen, für die der gewöhnliche Maßstab menschlicher Beurtheilung nicht ausreicht. – Aber wir können uns darüber trösten, wenn wir klaren und unbefangenen Blickes um uns schauen. Die Thatsachen selber haben die Rechtfertigung des deutschen Volles übernommen. Ein Schloß und ein Riegel nach dem andern springen auf, eine Control- und Polizeimaßregel nach der andern verschwindet, die Statistik der Verbrechen, zumal im Norden Deutschlands, mindert sich von Jahr zu Jahr und steht jedenfalls in keinem Verhältniß zu der Zahl derer, die zu den glaubenseinigen Zeiten Tetzel’s begangen wurden. Der deutsche Geist hält seinen stillen Triumphzug durch die ganze Welt; kein gedrucktes Blatt Papier, das nicht an ihn erinnerte. Wir selbst, das deutsche Volk, wir haben uns gesammelt und gefaßt, und aus alten deutschen Herzen strömen die Quellen der neuerstandenen Liebe zum Vaterlande und rauschen zu einem Meer zusammen, welches die Scheidewände des Confessionalismus bald auseinander gebrandet haben wird. Darum können wir auch diesem Manne verzeihen und getrosten Muthes über ihn als einen lebendigen Anachronismus hinweg zur Tagesordnung des deutschen Volkes übergehen, wie man jetzt in Oesterreich unter dem unsäglichen Jubel des Volkes über den Anachronismus des Concordats zur Tagesordnung übergeht, können übergehen zur Arbeit im gemeinsamen Dienste unseres heiligen, deutschen Vaterlandes!





Erinnerungen an König Ludwig den Ersten von Baiern

Von Ernst Förster.
II.

Schon im Jahr 1846 hatte mir der König schriftlich sein großes Interesse ausgesprochen, was er an der Errichtung der Herder-Statue in Weimar (für welche ich besonders thätig gewesen war) genommen, und mich ermächtigt, dies bei der Grundsteinlegung kundzugeben. Das hatte mich später ermuthigt, seine Theilnahme für Ausführung der Denkmäler Goethe’s, Schiller’s und Wieland’s in Weimar anzusprechen. Auf meinen desfälligen Brief vom 11. Januar 1852 erhielt ich in frühester Morgenstunde des andern Tags folgende Antwort:

„Herr Dr. Förster, erwidere auf Ihr gestern erhaltenes Schreiben, daß ich[1] mit dem Gedanken mich beschäftigt, wie geeignet es seyn würde, wenn die vier Sterne Weimars und deren Beschützer, der verewigte Großherzog Karl August, ein gemeinschaftliches Denkmahl daselbst bekämen. Seit aber Herder’s Standbild daselbst errichtet ist, geht dieses nicht wohl mehr an. Wenn jedoch in Weimar Goethe, Schiller und Wieland jeder eine Bildsäule in der Größe, welche die Herder’sche hat, bekämen, oder was vielleicht noch besser lassen würde, was beyde ersteren betrifft, die von Rauch modulierte Gruppe derselben, aber mit der eine Bedingung abgebenden Veränderung, daß auch Schiller einen Lorbeerkranz statt der Rolle in die Hand bekäme, die Kosten dafür, auch die für Wieland’s Standbild bis Ende dieses Jahres 1852, einschließlich der Fußgestelle und alle Ausgaben gedeckt, spätestens in der Hälfte 1853 mit der Ausführung begonnen und bis Schluß 1856 diese drey Bildsäulen (gleichviel ob Jeder eine einzelne bekäme oder Goethe und Schiller zu einer Gruppe verbunden würden) alle drey hier in München gegossen würden, so mache ich mich anheischig, das Metall zu diesen drey Bildsäulen zu schenken. Bliebe jedoch auch nur eine dieser Bedingungen unerfüllt, so würde es mich jeder Verbindlichkeit entheben. Wie schön! wenn in der Stadt, wo diese vier Männer lebten, sie nach Jahrhunderten noch zu sehen wären. Daß das großherzogliche Haus dem Großherzog ein Denkmahl setze, scheint passend. Es ist lobenswerth von Ihnen, sich dieses Gegenstandes anzunehmen, solches zu würdigen wissend

Ihr Ihnen wohlgewogener

München, 12. Jänner 1852.             Ludwig.“

Die warme Theilnahme, die der König dem hier bezeichneten Unternehmen gewidmet, erhält noch ein besonders helles Licht, wenn ich hinzufüge, daß ich obige Antwort auf meinen Brief, den er erst am Abend des 11. erhalten haben konnte, am folgenden Morgen schon vor Tagesanbruch empfing, so daß sie seine erste Morgenarbeit – er stand im Winter wie im Sommer immer um fünf Uhr auf – gewesen sein mußte. Aber sein Brief macht uns noch auf einen andern sehr bemerkenswerthen Zug in seinem Charakter aufmerksam; ich meine die Stelle mit den auf die Kostendeckung gestellten Bedingungen. Wer weiß es nicht, daß Kunst- (und andere Unternehmungen) Jahre, Jahrzehnte oder auch für immer in’s Stocken gekommen, weil man sie ohne genaue Berechnung der Mittel für die Durchführung begonnen hatte. König Ludwig ist nie an die Ausführung eines seiner Werke gegangen, ohne vorher über Tag und Stunde der Vollendung und über den letzten dazu nöthigen Groschen vollkommene Sicherheit zu haben. Kaulbach’s „Zerstörung von Jerusalem“ hatte er erworben, ohne demselben über die Bestimmung des Bildes, so oft er auch befragt wurde, eine Auskunft zu geben. Ueber ein Jahr war so vergangen, da trat der König zu Kaulbach in die Werkstatt (ich war zufällig zugegen) mit den Worten: „Kaulbach! Jetzt hab’ ich’s fertig! Für Ihr Bild lasse ich ein eigenes Haus bauen; es wird eine Pinakothek für alle neue Gemälde, die ich habe!“ und nun bezeichnete er den Beginn des Baues wie die Vollendung desselben, und erzählte, wie er sorgfältig habe rechnen müssen, das Ziel zu erreichen. Doch kehren wir wieder zu den Denkmalen für Weimar zurück!

Auf einem Ball im Odeon am 4. Februar (nach obigem Brief) frug mich der König nach der nähern Beschaffenheit der Rauch’schen Gruppe von Schiller und Goethe, die er aus eigener Anschauung noch nicht kannte, und war nicht sehr angenehm überrascht, als er hörte, sie seien in der idealen Tracht altgriechischer oder altrömischer Philosophen oder Dichter dargestellt. Wiederum vor Tagesanbruch am andern Morgen erhielt ich folgendes Billet:

„Herr Dr. Ernst Förster, da in griechischen Gewändern Goethe und Schiller als Denkmähler am wenigsten geeignet in Weimar sein würden, wo sie gelebt, wie vorzüglich schön gleich Rauch’s sie so darstellende Kunsterzeugung ist, aber eine Gruppe in unserer Kleidung nicht gut läßt, so halte ich für’s Beste, daß auch sie einzelne Standbilder bekämen, wie Wieland und Herder bereits bekommen hat. Dieses nachträglich zum Schreiben Ihres Ihnen wohlgewogenen

München, 5. Februar 1852.             Ludwig.“

Inzwischen hatte ich den Erbgroßherzog von Weimar von des Königs Brief vom 12. Januar in Kenntniß gesetzt, der dann alsbald eine Antwort voll Freude und Dank, sowie mit bereitwilliger Annahme der gestellten Bedingungen, an den König schrieb, die dieser mir zuschickte mit einem Billet, dessen Schluß lautet: „Es liegt mir viel daran, daß derselbe (der Erbgroßherzog) sobald als nur möglich wörtlich erfahre, was ich Ihnen nachträglich geschrieben habe.“

Es traten nun bedenkliche Zwischenfälle ein. Rauch war nicht

  1. Nur in den vom König nicht ganz eigenhändigen Briefen ist „Ich, Mein“ etc. mit großen Initialen geschrieben.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_247.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)