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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

die zur Schule des aus den Franzosenkriegen berühmten Dorfes Spinges eilen, finden wir auf unserem Bilde. Diese Schulgänge unserer Bauernkinder durch die tiefe Waldeinsamkeit unter Schneeballwerfen und andern neckischen Streichen haben viel Poesie; sie zählen zu den beliebtesten Erinnerungen älterer Leute. Ueber Mühsal und Gefahr setzen sich heitern, sorgenlosen Sinnes die Kinder hinweg, erfreuen sich an den Vögeln, die durch die bereiften Sträuche huschen, und mancher Bauer kann lange davon erzählen und freut sich an den Bildern, die dabei aus seiner Kindheit auftauchen. Deshalb ist auch den Kleinen kein Schulweg zu weit, und die entferntesten Kinder kommen gewöhnlich zuerst in der Schule an. Es ist eine erfreuliche Thatsache, daß die Volksschulen in Tirol sehr fleißig besucht werden und daß Tirol in dieser Beziehung andern österreichischen Provinzen voran steht.

Hat der Winter für die Kinder seine Last und Mühe, so gewährt er ihnen auch die innigsten und größten Freuden. Ich meine nicht so sehr die gewöhnlichen Spiele des Schneeballenwerfens, des Schneemannmachens, des Eislaufens und des pfeilschnellen Rodelns (das Fahren auf kleinen Schlittchen auf abschüssigen Wegen und Plätzchen), als andere Bräuche und Feste. Mit welcher Freude und seliger Hoffnung schlägt das Kindesherz dem Sanct Niklaustage (6. December) entgegen! Denn in der vorhergehenden Nacht reitet der heilige Mann auf seinem Esel herum und legt braven Kindern Nüsse, Aepfel und andere liebe Sachen ein. An manchen Orten geht noch der heilige Bischof leibhaftig um, befragt, ermahnt und beschenkt die Kleinen, während der Klaubauf mit klingenden Schellen und rasselnden Ketten schlimme und träge Kinder schreckt. Hier und dort wird noch das „Niklausspiel“ von umziehenden Burschen ausgeführt, in dem, wie es sich für ein echtes Volksspiel ziemt, Ernst und Scherz, fromme Belehrung und kecker Humor auf’s Innigste vereint sind. In Wälschtirol vertritt Santa Lucia (12. December) die Stelle des heiligen Bischofs und bescheert den Kindern. Sogar in der deutschen Gemeinde Luserna, hart an der vicentinischen Grenze, waltet Lucia des kindererfreuenden Amtes, aber dabei hat sich die echtdeutsche Sitte dort erhalten, einen Schuh zur Aufnahme der Spenden hinzustellen, die im nördlichen Deutschland sich findet, in Tirol jedoch sonst ganz unbekannt ist. Der poetische Brauch, am Barbaratage oder Luciafeste Kirschbaumzweige zu schneiden, um sie auf die Christnacht zur Blüthe zu bringen, lebt noch in den meisten Thälern fort, wie dies auch die fränkische alte Sitte ist.

Mit December beginnt der Advent, der wirklich noch in unseren Bergen als Zeit frommer Vorbereitung und freudiger Hoffnung gefeiert wird. Frühmorgens werden „die goldenen Aemter“ (Norate) in der Kirche gehalten und aus fernen Berghöfen eilt das Volk zu diesem Gottesdienste herbei, dessen goldener Name besonders für die Phantasie der Kinder einen eigenen geheimnißvollen Zauber hat. Welch’ malerischer Anblick von der Tiefe aus, wenn durch das Morgendunkel die brennenden Späne, hier Bucheln oder Kendeln genannt, der Kirchgänger irrlichtartig von den einsamen Höhen, bald glänzend auftauchen, bald im Walde wieder verschwinden! Im Advente wird auch am fleißigsten für die Weihnachtskrippe gearbeitet, besonders an den langen Abenden, wo die Väter und Burschen gern „Krippelemanlen“ schnitzen, während die Kinder neugierig und lauschend dem Schaffen ihrer Künstler zusehen. In die Adventzeit fallen ferner die sogenannten „Klöpfelnächte“, als welche meist die drei Donnerstage vor dem Christtage gelten. Bursche oder Kinder ziehen herum, singen Lieder oder sagen gereimte Sprüche auf und erhalten dafür von den Bäuerinnen Kuchen oder Nüsse und anderes Obst.

Ein Haupttag im Winter ist aber das Thomasfest, berühmt durch die Schweinemärkte und eine Fülle von Gebräuchen und Aberglauben. Wie der heilige Zwölfbote zu den Schweinen und den Liebesorakeln in Beziehung gekommen ist, wäre für uns ein Räthsel, wenn wir nicht wüßten, daß er im Volksglauben an die Stelle des Freude und Frieden, Liebe und Ehe spendenden Gottes Fro (Frehr), der auf goldborstigem Eber ritt und dem die Schweine heilig waren, getreten ist, wie Sanct Nicolas an den Platz Nyördr’s, Sanct Oswald und Michael an den Wuotan’s gekommen sind. Alle die Bräuche und Liebesorakel, die durch ganz Deutschland am Thomasabende haften, z. B. Bleigießen, Schuhwerfen, Loosen, finden auch hier statt, und manche Dorfschöne erforscht in dieser Nacht das Liebeloos ihrer Zukunft. An diesem Tage sollen auch die Weihnachtzelten gebacken werden, Brodlaibe mit Nüssen und gedörrten Obstschnitzen, die zweifelsohne Reste eines alten Opferbrodes sind und von Liebenden feierlich angeschnitten werden.

Am Christabende werden allenthalben zur Lust von Alt und Jung die Krippen „aufgemacht“ und mit Tannenzweigen oder in Südtirol auch mit Epheuranken geschmückt. Wohl in keinem Lande sind die Krippen so verbreitet wie in unseren Bergen, wo zum Kunsthandwerke, besonders zum Schnitzen so viele Anlage und Freude sich findet. Eine echte Tiroler Krippe begnügt sich aber nicht mit der Darstellung des biblischen Stoffes, dem gewöhnlich nur das Parterre eingeräumt wird, sondern sie stellt die ganze Gebirgswelt und das Leben derselben im Kleinen vor. Auf den schneeigen Kuppen des „Krippelnberges“ Hausen Gemsen und verwegene Jäger klimmen die steilen Felsen hinan; das reichste Leben entwickelt sich aber auf dem Mittelgebirge, das schmucke Bauernhäuschen und graue Burgen mit Thürmen und Zinnen zieren. Fröhliche Hirten, butterschlegelnde Bäuerinnen, Viehhändler und Eierträgerinnen beleben das freundliche Gelände. Aus dunkeln Schachten fördern Knappen das Erz zu Tage, und vor einer abgelegenen Grotte betet oder liest der langbärtige Einsiedler. Wie in den alten Passionsspielen neben dem heiligsten Ernst auch der derbste Scherz durch die dummen Teufel oder den Schacherjuden vertreten ist, so ist auch bei den Krippen, namentlich in der oberen Etage, der Humor nicht ausgeschlossen und manch lustiger Einfall macht sich auf den Hügelterrassen breit.

Die Christmette wird noch in Städten und auf dem Lande um Mitternacht gehalten und von den höchsten Berghöhen eilen die Bewohner mit ihren Fackeln auf unwegsamen Pfaden zur Kirche, sobald die Glocken durch die nächtliche Stille feierlich klingen, wie dies in einem früheren Jahrgange die Gartenlaube ihren Lesern im Bilde vorgeführt hat. Alles – Jung und Alt - will die heilige Nacht mitfeiern. Eine tiefe Poesie webt nach dem Volksglauben in dieser geheimnißvollen gnadenreichen Nacht und durchdringt die ganze Natur. Die Schätze blühen, den Quellen entströmt Wein, neues Leben beginnt in den Pflanzen, die Zukunft enthüllt sich dem Forschenden. In der heiligen Nacht fütterte man noch vor kurzer Zeit in manchen Thälern die Elemente, damit sie den Menschen hold seien, und noch geht man in einigen Gegenden in den Obstgarten, um die Bäume zu rütteln oder zu umfassen, damit sie viel Aepfel und Birnen tragen. Wie aber in der heiligsten der Nächte das Wunder, so ist auch der Zauber thätig, denn der Wildschütze soll sich in der Nacht die Freikugeln gießen und der Zauberlehrling die schwarze Kunst lernen. Die Kinder ziehen von nun an bis zum Dreikönigstage gern als „Sternsinger“ herum und heischen dafür kleine Geschenke: Obst und Zelten. Die dabei gesungenen Lieder reichen oft weit zurück und sind verschiedenen deutschen Gauen gemeinsam. Als eines der bekanntesten gilt:

Die heiligen drei König mit ihrem Stern etc.

Am Dreikönigsabende, an manchen Orten auch am Christ- und Neujahrsabend, herrscht noch die alle Sitte, daß der Familienvater oder ein Priester die Räumlichkeiten des Hauses, oft auch die Felder und Aecker beräuchert und mit Weihwasser besprengt.

Der frommen Handlung folgt ein bescheidener Trunk, denn nach altgermanischem Brauche darf bei solcher Gelegenheit ein kleines Gelage nicht fehlen. An die Rauchnächte knüpfen sich viele alte Glauben und Bräuche, die noch auf die heidnische Julzeit zurückweisen, und heutzutage noch glaubt in einsamen Thälern manch’ altes Mütterchen, daß in dieser heiligen Zeit der Zwölften die Perchtl mit ihren Kindern umziehe. So treu und fest hat sich das Volk manche Ueberlieferungen bewahrt, daß das Gedächtniß der leuchtenden Göttin Perchta noch jetzt nicht gänzlich verschollen ist.

Die Wetterfeste sind mit dem Dreikönigfeste abgeschlossen. Der Bauer fängt nun an auf den nahenden Frühling zu sorgen und Dies und Jenes für die künftige Feldarbeit vorzubereiten. Gilt ja vom 25. Januar das alte Sprüchwort:

„Paulbekehrt
Kehrt sich das Würzet um in der Erd.“

und am Lichtmeßtage (2. Februar) kriecht nach dem Volksglauben der Fuchs aus dem Loche. An diesem Feste herrscht ein reges, bewegtes Leben. Denn es ist der Hauptschlenkeltag der Dienstboten, die aus dem frühern Dienste aus- und in einen neuen eintreten. In manchen Dörfern setzt es eine kleine Volkswanderung ab, wenn zufällig viele „Ehehalten“ – man gebraucht in Tirol noch dies altehrwürdige Wort für Dienstboten – gewechselt werden.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_230.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)