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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

stellen und ihm dann die abschlägige Antwort zu überbringen, die ökonomischen Bedenklichkeiten der Freunde und die Klagen des Abgewiesenen mit anzuhören.

Lamartine gab indessen die Hoffnung noch nicht auf, sondern lud die sämmtlichen Mitglieder des Comités zu einer Besprechung in seiner Wohnung ein, und so erschienen denn richtig auch Alle, und zwar Varin, Emile Péreire, Beaumont, Hachette, Chambomer, Eb. Texier und Louis Ulbach, in dem Salon des Dichters in der Rue de la Ville-l’Evêque.

Die Haltung sämmtlicher Herren war ziemlich kühl und steif, sie hatten sich sichtlich gegen alle Einwirkungen der alten Freundschaft gepanzert, namentlich der Buchhändler Hachette hatte sich innerlich gelobt, entschieden unerbittlich zu sein, da ihm die steten Geldklemmen des Dichters ein wahrer Gräuel waren. Er ergriff denn auch zuerst das Wort, und zwar in ziemlich scharfen, energischen Ausdrücken, indem er den armen Lamartine etwa wie ein strenger, unzufriedener Vormund behandelte, der dem Mündel eine Zurechtweisung angedeihen läßt; er redete die Sprache der unbarmherzigen Vernunft, der bittersten Klugheit und sprach lange. Als er endlich geendet, wollte Beaumont, der nicht durch seine Rednergabe glänzte, auch sein Theil dazu geben und sagte herablassend:

„Lieber Freund, wir können Ihnen nicht helfen, Sie haben nun einmal den schlimmen Ruf eines durchlöcherten Korbes, in den man nichts legen darf.“

Auch die Andern ergingen sich in mehr oder weniger geistvollen und schonungslosen Bemerkungen, aber der so gegeißelte Dichter hörte das Alles mit unvergleichlicher Sanftmuth und Würde an, ohne nur ein Zeichen von Ungeduld von sich zu geben; er saß rittlings auf seinem Stuhle mit gefalteten Händen und wartete lächelnd, bis seine Freunde mit ihren Vorstellungen zu Ende sein würden. Dann bat er, ihnen antworten zu dürfen, und begann zu sprechen – einfach, ohne Pathos oder Gesticulationen, aber wunderbar ergreifend und zum Herzen dringend – er sprach mit majestätischer Ruhe von sich selbst, von seinen Freunden, seinen Gläubigern, wie er in seine jetzige Lage gekommen etc. Er sprach fast eine halbe Stunde, und Alle lauschten ihm voll Entzücken. Hachette erröthete vor Verlegenheit, Péreire hatte Thränen in den Augen, Alle waren tief ergriffen. Es war einer der schönsten Triumphe, den die wahre Beredsamkeit jemals gefeiert; als Lamartine geendet hatte, herrschte anfangs ein tiefes Schweigen, dann frug Hachette:

„Wie viel Geld wünschen Sie?“

„Ich habe zuerst vierzigtausend Franken gefordert, aber ich glaube, die Sache wird sich mit dreißigtausend abthun lassen.“

„Wenn wir Ihnen jetzt fünfzigtausend geben,“ meinte Péreire, „würden Sie uns dann eine Weile Ruhe vergönnen können?“

„Gewiß.“

Lamartine erhielt die Vollmacht, sich fünfzigtausend Franken auszahlen zu lassen, und die Herren verabschiedeten sich, indem sie es verschworen, sich je wieder einer solchen Erfahrung auszusetzen.

„Nun,“ sagte Ulbach unten im Hofe zu den Andern, „wo bleiben denn Ihre Schwüre? Das lohnte sich wohl der Mühe, mir erst die Sache so rund abzuschlagen!“

„Ja, was hilft das Alles ?“ entgegnete Péreire, „man kann ihm einmal nicht widerstehen, wenn man ihn reden hört.“




Lichtstrahlen aus „Deutschlands trüber Zeit“.[1] Von einem Augenzeugen des „kriegsrechtlichen“ Mords, welcher im Juli 1809 in Braunschweig an vierzehn gefangenen Kampfgenossen Schill’s verübt worden ist, erhalten wir berichtigende und ergänzende Mittheilungen, die wir der Schilderung jener Unthat des Tyrannenübermuths sogleich nachfolgen lassen müssen. Unser Gewährsmann schreibt uns: Ich selbst, damals ein Knabe von dreizehn Jahren, habe die zur Hinrichtung bestimmten Krieger des Schill’schen Corps hier in Braunschweig einbringen sehen. Es waren jedoch deren sechszehn, nicht vierzehn: zwei retteten sich durch Flucht.

In den Gefängnissen, und namentlich in der Mosthaus-Reitbahn und auf dem damaligen Proviantboden neben der Brüderkirche, hatte man nämlich den Gefangenen gestattet, innerhalb der durch Mauern wohlverwahrten Höfe oder Gänge sich am Tage und unter militärischer Bewachung in freier Lust zu ergehen, und dies war wenigstens von jenen Zweien dazu benutzt wurden, die Oertlichkeit nach einer Gelegenheit zum Entfliehen zu durchspähen.

Ein Gefangener der Mosthaus-Reitbahn hatte eine Thür entdeckt, welche zu einem in die Bohlwegsstraße mundenden Seitengäßchen führte. In der Mitternacht vor dem Hinrichtungsmorgen gelingt es ihm, dieses Gäßchen und den Bohlweg zu erreichen. Er eilt in voller Todesangst die Straße entlang, noch ohne jeden Hoffnungsstrahl, auf welche Weise er in seiner Kleidung aus der wohlgehüteten Stadt entkommen soll. Da dringt ihm ein schwacher Lichtschimmer durch ein Fensterchen über einer Thür entgegen. Er wagt’s, er klopft an die Hausthür, er klopft wiederholt, bis der Hausbesitzer öffnet. Es war ein Kaufmann, Namens Engelbert Bartels. Niemand darf ihm verargen, daß sein Schrecken beim Anblick und dem offenen Geständnis; und Hülfeflehen des Flüchtlings ebenso groß war wie die Angst des auf den Knieen vor ihm liegenden Mannes. Er stellte sich und diesem all’ die Gefahr vor, der er sich aussetzte, wenn er der furchtbaren Rache und Gewalt Napoleon’s ein Opfer entziehe; – aber endlich siegte das gute deutsche Herz über die augenblickliche Schwäche. Bartels stärkte den Entflohenen mit Speise und Trank, versah ihn mit unverdächtiger Kleidung und zeigte ihm einen Ausschlupf aus der Stadt. Glücklich muß er entkommen sein, denn hätte man ihn irgendwo erwischt, so wäre dies, bei den großen Anstrengungen, welche die Behörden zu seiner Habhaftwerdung aufgewendet, der Öffentlichkeit gewiß laut genug zugegangen.

Das Gelingen der zweiten Flucht ist durch den Geretteten später selbst bestätigt worden. Er saß auf dem Proviantboden. Derselbe war mit Bodenöffnungen (wahrscheinlich zur Auf- und Abbeförderung von Lasten etc.) versehen, über welchen Drahtgitter oder Eisenstäbe befestigt lagen. Ein solches Gitter erbrach unser Mann und ließ sich, es auf Tod und Leben wagend, hinabfallen. Es schlug zu seinem Glück aus, mit ganzen Gliedern kam er zur Erde. Hier mußte er am Tage eine Thür gesehen haben, denn in tiefster Finsterniß fand er sie und weckte durch sein Pochen die Magd eines hier wohnenden Schreibmeisters Müller. Das kluge Mädchen ward seine Retterin, und der Gerettete war dankbar. Nach den Befreiungskriegen erschien „ein vornehmer junger Herr“ in Braunschweig, fragte nach jener Magd und suchte sie auf dem Dorfe auf, wo sie jetzt wohnte. Auf dem befreiten Boden des Vaterlandes konnte er nun im Lichte der Sonne seinen Dank aussprechen für jene kühne Rettungsthat in der Nacht der Angst, und er soll sich der That würdig gezeigt haben.

Sollten von beiden damals Geretteten noch Angehörige vorhanden sein, so wird es sie freuen, das Andenken an ihre Väter noch heute erhalten und geehrt zu sehen.

Wenn wir aber am Schlusse unseres Artikels bedauerten, daß die Zahl der Mitkämpfer jener Unglücklichen wohl fast ganz erloschen sein möge, so können wir heute einen der Alten noch als rüstig Lebenden nennen: Karl Bogislav Kasischke, am 16. October 1780 geboren, 1806 als einer der Blücherhusaren bei Lübeck gefangen und wieder entflohen, schloß, Einer der Ersten, in Naugard sich Schill an und machte als Husar alle kühnen Züge des Corps mit, schlug sich in Stralsund durch und entkam nach Berlin. Jetzt lebt der alte Held bei seinem Sohn, Postexpedienten in Baerwalde. Ihm einen Ehrengruß!




Der „Verwundete der Gartenlaube“, dessen frische und lebensvolle Selbstbekenntnisse seiner Zeit die lebhafte Theilnahme unserer Leser und mehr noch unserer Leserinnen in Anspruch genommen (vergl. Nr. 43, Jahrg. 1866[WS 1]), hat nun dem friedlichen Ausbau des Werkes, bei dessen blutiger Begründung ihn die erste Kugel traf, seine ganze Thätigkeit gewidmet; wie er schon im Februar 1867 – damals noch unsicher an den Langensalzaer Krücken schreitend – durch seinen in mehreren Ausgaben erschienenen „Almanach“ ein geschickter Führer in die Volksvertretung des neuen Staatswesens wurde, so hat er es jetzt unternommen, in einem größeren Werke, unter zuvorkommender Unterstützung der Bundesbehörden und hervorragender Parlamentsmitglieder und Gelehrter, die Entwickelung unseres staatlichen Lebens zu verfolgen und in umfassenden Darstellungen zu fixiren. Das Werk heißt „Annalen des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Zollvereins“ und soll in jährlich acht starken Heften die jeweilige Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik der großen politischen und wirthschaftlichen Gebiete behandeln, gleichzeitig der Legislative vorarbeitend, wie denn das erste Heft reiche Materialien zu den Berathungen des Zollparlaments enthält. Fachleuten gegenüber bedarf das zeitgemäße Unternehmen keiner Empfehlung, im Interesse der Verbreitung nützlicher Kenntnisse aber wünschen wir unserem alten Mitarbeiter Georg Hirth, daß seine „Annalen“ in den weitesten Kreisen Beachtung und – recht zahlreiche Abonnenten finden mögen!

L. L.





Zu Carl Vogt’s Vorlesungen. Viele unserer Leser werden sich noch der fesselnden Darstellungen aus der Erdgeschichte erinnern, welche ein Herr Rohde aus Hamburg vor einigen Jahren in Deutschland und der Schweiz mittels Hydro-Oxygen-Gaslichtes gab. Wie wir hören, hat nun Hr. Rohde, durch die Vorlesungen von Professor Vogt angeregt, die Urgeschichte als dritte Abtheilung seinen Darstellungen zugefügt und wird demnächst eine neue Rundreise mit seinem Apparate antreten, welcher gestattet, diejenigen Belehrungen, die Prof. Vogt der Natur der Sache nach nur kleineren Kreisen zu Theil werden lassen konnte, überall hin zu verbreiten. Wir machen auf diese bevorstehenden Vorstellungen von Rohde im Voraus aufmerksam, da sie auch für die Hörer von Prof. Vogt’s Vorträgen eine willkommene Erinnerung bilden werden.



Inhalt: Drei Blumen am Wege eines Hagestolzen. Novelle von Arthur von Loy. – Bilder aus dem Leben deutscher Dichter. Im Landhause von Derendorf. Mit Abbildung. – Pariser Bilder und Geschichten. Industrielle Ausbeutung der Thiere in Paris. Von Ludwig Kalisch – Die Majestät an der Ziehflasche. Aus dem zoologischen Garten zu Dresden. Mit Abbildung. – Der Präsident auf der Anklagebank. Von einem Augenzeugen. – Blätter und Blüthen: Ein unwiderstehlicher Dichter. – Lichtstrahlen aus Deutschlands trüber Zeit. – Der Verwundete der Gartenlaube. – Zu Carl Vogt’s Vorlesungen.



Im Verlage von Ernst Keil in Leipzig ist erschienen:

Melchior Meyr,
Gleich und Gleich.
Erzählung aus dein Ries.
Elegant broschirt Preis 27 Ngr.

Dieses frische Bild aus dem Volksleben ist ein wahres Kunstwerk unter den novellistischen Erscheinungen der Neuzeit. Mit dem ganzen Reichthum der Lebenswirklichkeit und zugleich der Anschauung des Poeten schildert der bekannte Verfasser das Rieser Landvolk, wie es sich in seiner Seele gespiegelt, und hat durch die verwendeten Züge des Lebens und der Sitte ein Bild geschaffen, das den Leser fesseln und erfreuen wird.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Nr. 47
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_224.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2023)