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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Diese Anstalten befinden sich in den Arbeitervierteln, wo die Vorliebe für Singvogel besonders stark ist.

Freilich nicht Jeder kann auf diese Vorliebe so viel Zeit und Kosten verwenden wie der vor einigen Jahren in Paris verstorbene Kämmerling Seiner Allergetreuesten Majestät des Königs von Portugal, Gama Machado, dessen Testament einen der merkwürdigsten Processe veranlaßte. Herr Machado hatte das Studium der Vögel zu seinem Lebenszwecke gemacht. Er beobachtete ihren Instinct, ihre Vervollkommnungsfähigkeit, ihre Eigenarten und unterhielt in seiner Wohnung auf dem Quai Voltaire unzählige Vögel aus allen Himmelsstrichen. Er schrieb einige ausgezeichnete Artikel über die zarten Geschöpfe und stand in beständigem Briefwechsel mit den berühmtesten Ornithologen, die von ihm mancherlei lernten und ihn deshalb sehr hoch schätzten. Man kann sich leicht denken, daß der Unterhalt dieser Thiere bedeutende Ausgaben verursachte, da jedes derselben einer besondern Pflege, einer eigenthümlichen Nahrung, einer ihm zusagenden Temperatur bedurfte. Sie verlangten auch einen großen Aufwand von Zeit und Mühe, und Herr Machado hätte gewiß seiner Lieblingsneigung entsagen müssen, wenn er nicht in seiner Haushälterin Elisabeth Perrot eine Gehülfin gefunden hätte, welche über vierzig Jahre unausgesetzt die zwitschernden, pfeifenden, plaudernden, kreischenden Zöglinge treulichst pflegte und dabei ihre Gesundheit opferte. An einem Junimorgen 1861 starb der Kammerherr. In seinem mit nicht weniger als dreiundsechszig Codicillen versehenen Testamente hinterließ er der genannten Haushälterin eine Jahresrente von dreißigtausend Franken mit der Verpflichtung, den hinterlassenen Vögeln die gewohnte Sorgfalt angedeihen zu lassen. Das Begräbniß des Kammerherrn war höchst sonderbar. Er hatte in seinem Testamente den Wunsch ausgesprochen, Punkt drei Uhr bestattet zu werden. Als sich nun um drei Uhr der Leichenzug in Bewegung setzte, hinter welchem, beiläufig gesagt, ein Lieblingsstaar des Verblichenen im Käfig nachgetragen wurde, kam eine dichte Schaar in tiefe Trauer gehüllter Leidtragender aus dem benachbarten Tuileriengarten herbeigeschwärmt. Es waren dies die Raben, denen Herr Machado gewöhnt war, täglich Punkt drei Uhr mehrere Schüsseln gehackten Fleisches vor seinem Fenster serviren zu lassen, und damit dieselben Zeugen seiner Bestattung seien, hatte er diese auf die genannte Stunde festgesetzt. Das Testament wurde nun von des Kammerherrn Verwandten angegriffen, welche die Pension von dreißigtausend Franken für die Pflege unvernünftiger Thiere übermäßig fanden. Das Tribunal entschied jedoch für die Aufrechthaltung des Testamentes. –

Die reiche und vornehme Classe kauft besonders Papageien. Dieselben werden, wenn sie gute Redner sind, sehr theuer bezahlt. Daß die Papageien ein sehr hohes Alter erreichen, ist bekannt. So erzählt Alexander von Humboldt, daß er in Südamerika einen sehr geschwätzigen Papagei gesehen, dessen Sprache kein Mensch mehr verstand, weil diese von einem Stamm gesprochen worden, der bereits von der Erde verschwunden war. Ich habe auf dem Pariser Vogelmarkt Papageien gesehen, an deren Geplauder man vergleichende Philologie studiren konnte. Ich bin sogar einem begegnet, der deutsch sprach. Er schien indessen keine sonderlich feine Erziehung genossen zu haben, denn er begrüßte Jeden, der sich seinem Käfig näherte, mit dem wenig schmeichelhaften Ruf: „Dummkopf! Esel!“ Als ich diese Heimathsklänge vernahm, bekam ich Heimweh. Die Papageien stoßen auch Namen von Männern und Frauen aus, die vielleicht schon vor mehreren Menschenaltern das Zeitliche gesegnet. Einige, die vieler Herren Länder gesehen, sprechen wohl mehrere Sprachen durcheinander. Solche Worte und Namen sind nicht immer eine Empfehlung. Als ich einst in Havre die Quais durchwanderte, sah ich vor einer Matrosenkneipe einen prachtvollen Papagei, der unter allerlei putzigen Bewegungen und Geberden beständig „0 Ciel!“ und „Mon Dieu!“ rief. Ein Matrose, der die Kneipe verließ, nahete sich dem Thiere und richtete an dasselbe mehrere Worte, die stark nach Schiffstheer rochen. Da trat die Wirthin heraus und wies den Matrosen mit der Bemerkung zurecht, daß der Papagei für ein Frauenkloster in Paris bestimmt sei; sie habe ihn deshalb nur fromme Worte ausstoßen gelehrt, man würde aber das Thier nicht kaufen, wenn es unanständige Ausdrücke hören ließe, und sie würde dadurch einen bedeutenden Verlust erleiden.

Ein sehr glückliches Leben führen die Vögel im Tuileriengarten. Die kleinen Rentiers, die jeden Tag so viel Stunden todtschlagen müssen, füttern dort die Spatzen und die Tauben. Letztere sind so gefräßig, daß oft Dutzende von ihnen durch Ueberfütterung am Schlagfluß sterben. Sonderbarer Tod in einer Stadt, wo Tausende der begabtesten Menschen unablässig schaffen und sorgen müssen, daß sie nicht durch das Gegentheil dem Tod in die Arme fallen!

Paris ist auch die Hochschule für Thiere aller Art. Es werden hier die verschiedensten Säugethiere, die verschiedensten Vögel zu Kunststücken abgerichtet. Die Hunde und unter ihnen die Pudel werden besonders zu Künstlern ausgebildet, aber auch Hasen und Kaninchen produciren auf öffentlichen Plätzen in den Arbeitervierteln ihre Talente. Von den gefiederten Thieren sind es die Finkenarten, die Kanarienvögel, die Stieglitze, die Dompfaffen, die ihre Geschicklichkeit bewundern lassen. Früher waren es alte Soldaten, die sich mit der Abrichtung von Thieren beschäftigten; jetzt wird diese brodlose Kunst in Paris viel weniger ausgeübt, da ein großer Theil der alten Straßen niedergerissen und in den neuen vornehmen Straßen die Bevölkerung nicht naiv genug ist, um sich an solchen Vorstellungen zu ergötzen.

Ich darf in dieser Skizze die Thiere im Pariser Pflanzengarten nicht vergessen. Obgleich diese keine andere Bestimmung haben, als im Dienste der Wissenschaft gefüttert zu werden, so ist ihr Loos doch keinesweges ein beneidenswerthes. Sie erhalten nicht nur ihre Nahrung auf Kosten ihrer Freiheit, sie sind noch obendrein so eng zusammengepfercht, daß sie bald hinsiechen. Die Stärke eines Löwen oder Tigers widersteht nicht lange der Gefangenschaft und keines der reißenden Thiere erreicht im Jardin des Plantes ein hohes Alter. Ihre Nahrung ist eben auch nicht sonderlich. Sie werden, nebenbei gesagt, zum Theil mit confiscirtem Fleisch genährt. Was nämlich auf den Pariser Fleischmärkten von der Pariser Polizei als untauglich befunden wird, schickt man sogleich nach dem Pflanzengarten. Die grasfressenden Thiere, besonders die Hirsch- und Gazellenarten, verkümmern bei dem ihnen so kärglich zugemessenen Raum noch schneller. Die Gazellen zumal, diese anmuthigsten aller Vierfüßler, erlahmen nach kurzer Zeit und schleppen sich mit verbogenen Beinen mühsam einher.

Auch der Affen muß ich hier erwähnen, für die einst Thiers im Pflanzengarten eigens einen aus Gußeisen bestehenden Rundbau errichten ließ, der unter dem Namen „Palais de singes“ (Affenpalast) sehr populär ist und vor welchem sich täglich Jung und Alt versammelt, um sich an Purzelbäumen der Vierhänder zu ergötzen, denen der Mensch so ähnlich sieht. Nach der Behauptung einiger Naturforscher stammt die Menschheit von den Affen ab. Adam und Eva sind Chimpanses gewesen, die im Paradiese lustig auf den Zweigen herumsprangen. Die heutigen Affen sind in der Cultur zurückgeblieben, während die Menschen rüstig fortgeschritten. So behaupten die Gelehrten; die Affen behaupten vielleicht das Gegentheil.

Neben dem Pflanzengarten ist auch der Acclimatisationsgarten zu nennen, der vor einigen Jahren von einer Privatgesellschaft in Boulogner Gehölz angelegt worden ist und von dem Pariser Publicum sowie von den Fremden sehr stark besucht wird. Dort befindet sich auch ein hübsches Aquarium, das indessen hinter dem vor Kurzem geschaffenen auf dem Boulevard Montmartre weit zurücksteht. Der Pariser, der kaum über das Weichbild der Stadt hinauskommt, kann nun in einem Glaskasten ein Stück Ocean und dessen vielbewegtes Thierleben anstaunen. Die Bewohner der Meerestiefen haben es sich gewiß nicht träumen lassen, daß sie einst in einer Pensionsanstalt auf den Boulevards vor einem sehr gemischten Publicum sich ihren Tafelfreuden hingeben würden. In diesem Aquarium werden besonders die Polypen, die seit Victor Hugo’s „Travailleurs de la mer“ die allgemeine Neugierde erregen, mit ganz besonderm Interesse betrachtet. Dieses ungeheuerliche Thier hat einen starken Appetit und scheut kein Mittel, um ihn zu befriedigen. Die Pariser sahen sogar jüngst zu ihrem nicht geringen Erstaunen, daß eines dieser Thiere seinen Genossen ohne alle Gemüthsbewegung verschluckte. Die Existenz der Meerbewohner erinnert die Pariser an ihre eigene Existenz. Paris ist ebenfalls ein Ocean, wo Jeder nur an sich denkt und der Selbsterhaltungstrieb oft unter den Allernächsten die zu verschlingenden Opfer sucht.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_218.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)