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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

der heirathsfähigen jungen Damen haben könnte. Man läßt sich zur Liebe so wenig wie zum Essen zwingen. Das weibliche Herz ist ein unabhängiges, wunderbar starkes Ding, weich und spröde zugleich. Dieses Herz ist der stärkste Impuls, die treibende Kraft des Frauenlebens, es unterwirft sich nicht den Einschränkungen menschlicher Gesetze, sondern hat seine eigene Logik, die man freilich als eine solche nicht gelten lassen will. Ich bin der Ansicht, erzieht man ein Mädchen auch noch so rationell, wenn es das wirkliche Bild seiner umhertastenden Träume erblickt, so verliebt es sich tüchtig in eine hohe Gestalt, in ein paar schöne Augen, ja manchmal in reelle anerkannte Häßlichkeit, denn nicht immer sind die Ideale ,ideal’. Wenn Sie wollen, mein lieber Präsident, so erzähle ich Ihnen die Herzensgeschichten Ihrer drei Flammen.“

„Gewiß, meine Gnädigste, ich bin ganz Ohr.“

„Nun, wohlan denn,“ sagte Frau von K., verhüllte die blendende Lampe mit einem grünen Schirm, rückte sich in ihrem Sessel zurecht und begann:

„Bis zu ihrem achtzehnten Jahre war Ada Schwanfeld ein wildes, unbekümmertes Kind, das blutwenig in die beengte Geselligkeit der Festung Y. hineinpaßte. Bei ihr lagen das schwere Gold und die verhüllenden Schlacken dicht nebeneinander. Sie las, was ihr unter die Hände kam, beschäftigte ihre Phantasie mit Heldengestalten der Geschichte und mit lyrischen Dichtern. Die Herren ihrer Bekanntschaft interessirten sie nicht, von Heirathen wollte sie nichts wissen und bemerkte oft scherzend, sie sei dem Sturme vermählt, und in der That, sie lief bei Wind und Wetter, mit zerzausten Haaren und groben, ledernen Stiefeln, ohne Hut und Handschuhe in den Garten und in’s Feld. Leider hatte man versäumt, ihrem kindlichen Herzen echte Frömmigkeit einzupflanzen; sie war eine kleine Gottesleugnerin geworden. Sie hatte ein ungewöhnliches poetisches Talent, machte wirklich sehr schöne Gedichte und sehnte sich darnach, eine recht berühmte Frau zu werden.

Ein junger Maler kam unerwartet in unser Städtchen, um den berühmten gothischen Chor des Domes zu zeichnen. Es begleiteten ihn allerlei interessante Gerüchte. Er war streng katholisch, vornehm und reich, benutzte aber die Zinsen seines Vermögens, ja selbst den Erwerb seiner Kunst zu rein kirchlichen und wohlthätigen Zwecken. Er hatte ein schönes, blasses Gesicht, sah aus wie ein Gemälde von van Dyk; man erzählte sich in Y., er trüge auf seinem schlanken, edlen Leibe ein härenes Gewand unter den Kleidern, um sich zu kasteien. Der junge Maler hielt sich allen Gesellschaften fern, dennoch wurde er in kurzer Zeit der Held des Tages, der Löwe von Y.

Jeden Morgen besuchte er Schlag sieben Uhr die heilige Messe und passirte dabei das Haus des Major Schwanfeld. Ada begann plötzlich frühes Aufstehen zu lernen und schöpfte schon um dieselbe Zeit frische Luft vor der Hausthür. Sonntags besuchte sie den katholischen Gottesdienst und verspürte überhaupt die lebhaftesten Sympathien mit unserem ältesten Dogma. Die schöne Sitte, daß die katholischen Kirchen stets geöffnet sind, verlockte sie auch wohl, manchmal ein Stündchen in einem verborgenen Betstuhl träumend zuzubringen, während der Maler seine Studien im Chore machte.

Den vereinten Anstrengungen der Y’schen Familien gelang es endlich den Maler zu einigem Verkehr zu bewegen, er nahm Einladungen an und tanzte auch – ja, sogar einen Cotillon mit Ada – und begann, dem wahrhaft schönen und geistreichen Mädchen zu huldigen.

Da wurde immer katholischer und immer ,malerischer’. Stundenlang saß sie in der krausköpfigen Laube, von Kletterrosen umrankt, zu den Füßen des Domes, ihres steinernen Freundes, lauschte den brausenden Orgelklängen und dachte Dessen, der die fromme Stätte täglich betrat.

Beunruhigende Gerüchte tauchten auf, der eifrig katholische Maler werde nie eine Protestantin heirathen; er selbst hatte dies einer Verwandten Ada’s ausgesprochen. Leute, welche seine Familientraditionen kannten, bestätigten es. Ada hätte gewiß mit Ueberzeugung übertreten können, aber eine Convertitin? Würde er sie würdig finden, mitzuarbeiten an seinen kirchlichen Bestrebungen?

Das bang Geahnte traf ein, der Maler vollendete seine Bilder und reiste ab, ohne sich zu erklären. Ada war zerschmettert. Der alte Dom und der wilde grüne Garten, die ihre Kindheit und ihre erste junge Liebe beschirmt hatten, wurden nun die Zeugen ihrer Verzweiflung, in der sich ihre Seele oft sogar verirrte zu bösen Gedanken und gefährlichen Plänen. Der friedliche Klang der Orgel versöhnte ihr trotziges Herz nicht, und die stille Laube verbarg Schmerzen, von denen der fromme Maler wohl keine Ahnung hatte. Ada hat ihre erste Liebe nie vergessen, sie gedenkt ihrer als der schnell verschwundenen Morgenröthe einer hoffnungsreichen Zeit, und noch jetzt erkundet sie mit Theilnahme das Wohlergehen des Malers.

Er hat nie mehr nach ihr gefragt. Er kasteite sich wegen seiner Neigung zu einer Protestantin und wurde mehr und mehr Asket. Für ihn war die Episode in Y. die Versuchung des heiligen Antonius gewesen. Nach Jahren sah ich ihn wieder am Rhein, beschäftigt am Bau und an der Ausschmückung der herrlichen Apollinariskirche bei Remagen. Er war nun berühmt geworden und sah aus wie ein Klostermaler des Mittelalters, bleich, schlank, mit langen Locken. Seine Madonnen sind Idealbilder himmlischer Weiblichkeit, sie ähneln denen Raffael’s, alle sind blonde, sanfte Lichtgestalten, ganz das Gegentheil von Ada, aber unter seinen profanen Figuren, unter den Ketzern und Verdammten, sah ich öfter ein wunderschönes Weib, mit schwarzen Schlangenhaaren und mit Flammenaugen zum Himmel blickend, nach Erlösung schmachtend – das war Ada. –

Und nun beginne ich Gretchen Hein’s kurzen Jugendtraum, eine Novelle mit wenig Handlung, aber vielen Täuschungen. Gretchen lernte in einem Badeort die Verkörperung der Wünsche und Hoffnungen eines armen bürgerlichen Mädchens kennen. Graf Wyhrn war Majoratsbesitzer, schön wie ein junger Antinous, und dabei ungewöhnlich bescheiden und liebenswürdig. Er machte dem reizenden ,Sturmwind’ sehr den Hof und besuchte nach der Badesaison einen verheiratheten Freund in Y., offenbar mit der Absicht, Gretchen wiederzusehen. Aber Gretchen war krank und mußte wegen eines Zahngeschwüres vierzehn Tage zu Bett liegen. Als sie wieder hergestellt war, wurde sie eines Abends zum Thee eingeladen zu der Familie, wo Gras Wyhrn zum Besuch war; hier traf sie freudige Aufregung an, man proclamirte die Verlobung des Grafen mit der jungen Schwägerin des verheiratheten Freundes, einem Mädchen, welches ebenso arm und bürgerlich wie Gretchen war, nur lange nicht so hübsch.

Nach dieser Erfahrung fiel es wie Mehlthau auf Gretchens Schönheit und Heiterkeit, doch nützte ihr dieselbe insofern, als sie etwas besonnener wurde und endlich den Bewerbungen des soliden ältlichen Regierungsrathes Reich Gehör schenkte, der ihr jetzt wenigstens ein sorgloses Leben des Reichthums bereitet, wenn auch das Glück ausblieb, das sie verdiente. –

Agnes Gansberg’s Liebesroman ist ohne jeglichen grellen Uebergang gewesen; die meisten Herzen werden im Stillen gebrochen! Agnes sprach öfters von Liebe, so daß man leicht merken konnte, wie sehr sie ihr terra incognita war. Ich sagte dann wohl zu ihr: ,Kind, wie Du und die meisten jungen Mädchen sich die Liebe denken, das ist nur Phantasiegebilde der Eitelkeit und des Müßigganges. Aber wenn mir eine von Euch hochmüthigen putzsüchtigen jungen Dingern sagt: ich liebe Herrn Maier oder Müller-Schulze, ich kann nicht ohne ihn leben, dann will ich an Eure wahre echte Liebe glauben!’

Eines Abends fuhr ich mit meiner Nichte von einem Balle nach Hause. ,Wie hat Dir Herr Maier gefallen?’ fragte sie mich zwei Mal. ‚Kind, ich habe keinen Herrn Maier bemerkt,’ sagte ich müde und gähnend.

Andern Tags machte ein baumlanger Lieutenant Maier bei uns einen Besuch. Er schien ein intelligenter befähigter Mensch zu sein, man hörte viel Lobenswerthes von ihm und prophezeite ihm eine glänzende Laufbahn.

Ich nahm also Herrn Maier in meinen Salon auf. Er besuchte uns häufig zum Thee und widmete sich dann ausschließlich meiner Nichte, die unter diesem Einflüsse ein ganz anderes Mädchen wurde, sich vollständig nach seinem Geschmack ummodelte, studirte und gute Bücher las, ja es erging ihr wie Ottilien in den Wahlverwandtschaften, ihre Handschrift begann der des Lieutenants zu ähneln. Dabei war sie blendend schön geworden in ihrer Liebe; Titian’sche Farben- und Formenschönheit war geistig verklärt, und sie sah aus wie des Meisters schönste Gestalt seiner Kunst, wie Lavinia, Titian’s Tochter.

Trotz Maier’s Vortrefflichkeit und großer Liebenswürdigkeit schien er mir doch von kalt berechnender Natur und mit brennendem Ehrgeiz begabt zu sein.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_212.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2020)