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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

zu helfen und ihn von dem Thatbestand letzter Hand zu überzeugen, womit er sich alsdann vollkommen befriedigt erklärte.

Uebrigens hinderte ihn seine Beharrlichkeit nicht, nachzugeben, oft sehr rasch nachzugeben, wenn er den Widerspruch für begründet erkannte. Viele Beispiele stehen mir zu Gebote, ich will mich mit zweien begnügen. Er hat bekanntlich Jean Paul in Baireuth eine Ehrenbildsäule errichtet. Als die Statue gegossen war, kam ich in die Gießerei und sah die für das Postament bestimmte Inschrift: „Jean Paul Friedrich Richter, Schriftsteller.

Ich erlaubte mir, dem König – der, beiläufig gesagt, mehrfach in Betreff der Statue mit mir Rücksprache genommen – zu schreiben: „Entweder ist der Zusatz ‚Schriftsteller‘ nöthig, so verdient Jean Paul die Statue nicht, oder er verdient sie: dann ist die Bezeichnung überflüssig.“ Noch denselben Nachmittag ging der König in die Gießerei und gab den Auftrag, die Bezeichnung „Schriftsteller“ wegzulassen. Ja, er scheint den Fall über zwei Jahrzehnte im Gedächtniß behalten zu haben, denn bevor er im Jahre 1863 die Schillerstatue in München aufstellen ließ, schrieb er unterm 2. November 1862 an mich: „Herr Dr. Ernst Förster, wünsche recht bald zu erfahren, welche Inschrift Sie am Fußgestell Schiller’s für die geeignetste halten. Ihr wohlgewogener Ludwig.“

Nach Errichtung des Ehrenstandbildes von Jean Paul in Baireuth hatte ich im Auftrag der Familie den König gebeten, des Dichters Handschrift zu seinem letzten Werke, der „Selina“, als schwaches Dankeszeichen annehmen zu wollen, und erhielt von ihm die Antwort:

„Herr Dr. Förster! Ich nehme mit Vergnügen die mir von Ihnen und im Auftrage von Jean Paul’s Hinterbliebenen, mit Schreiben vom 10. dieses vorgelegte Handschrift des gesicherten Verfassers letzten Werkes: ,Ueber die Unsterblichkeit der Seele’, als ein Geschenk für Meine Hof- und Staatsbibliothek an, und erwiedere dabey den Mir für das – dem unvergeßlichen Manne, von mir bestimmte Denkmahl, dargelegten Dank mit dem Ausdrucke meiner geneigten Gesinnungen. Ich bemerke zugleich zu Ihrer Verständigung, daß die auf des befraglichen Denkmahles Fußgestelle nach Meiner Vorschrift angebracht werdende Inschrift die Bezeichnung ,Schriftsteller’ nicht enthalten werde. Mit Königlicher Gnade Ihr wohlgewogener

      München, 13. October 1841.

Ludwig.“

Ein anderer Fall war etwas weniger harmlos, aber nicht weniger ein Zeugniß für die Bereitwilligkeit des Königs, gegründetem Widerspruch gerecht zu werden. Seit dem Tode Schorn’s 1842 war ich mit Franz Kugler in Berlin Redacteur des Kunstblattes, einer Zeitschrift, welcher der König aus erklärlichen Gründen viel Aufmerksamkeit schenkte. Die Gemäldesammlung der Pinakothek war 1843 durch drei Bilder bereichert worden, von denen das eine den Namen Giotto’s, das andere den des Montagna, das dritte den des Giov. Bellini, und zwar nach meiner Ansicht ein jedes mit Unrecht, trug. Ich hatte es unter den kleinen „Nachrichten“ im Kunstblatt einfach mitgetheilt. Einige Zeit danach wurde mir von Stuttgart aus ein Manuscript als „Berichtigung“ zur Redaction für das Kunstblatt zugeschickt, das von hier aus dorthin gegangen war und in welchem ich wegen jener Nachricht mit Uebermuth und mit Verunglimpfung angegriffen wurde. Ich kannte die Handschrift des Verfassers, erkannte aber auch sogleich an einigen Correcturen darin des Königs Handschrift. Ich schrieb deshalb sogleich an den König, daß dieses Manuscript (das, wie ich ersehen, ihm nicht unbekannt sei) in meine Hände gelangt sei, daß dem Verfasser desselben in seiner Unbekanntschaft mit den Werken der italienischen Kunst jede Berechtigung zu seiner „Berichtigung“ fehle und daß ich dies, wenn der Artikel nicht umgeändert würde, in sehr entschiedener Weise in einer Nachschrift aussprechen würde. Das Manuscript wurde im Auftrag des Königs (im Mai) abgeholt und kam im October zu einer anständigen Kritik umgearbeitet wieder in meine Hände und dann ohne Nachschrift in’s Kunstblatt.

Der König hatte nachgegeben; er mochte es am Ende als die Meinungsverschiedenheit zwischen zwei Kunstschriftstellern auffassen, von der es ganz passend war, wenn sie in gemessener Weise zu Tage trat. –

Der König war sehr ökonomisch und galt darum bei Vielen für geizig, während er nur leichtsinnige sogenannte Ehrenausgaben vermied, aber in großartigster Weise Wohlthaten spendete. Er konnte im Schloßthor umwenden, um sich statt des guten Regenschirmes seinen „alten“ vom Lakai holen zu lassen, „weil es regnete!“ Er führte kein Geld bei sich; es traf sich aber, daß er einen Blumenstrauß für zwölf Kreuzer bei der Verkäuferin am Hofgarten borgte, sie aber durch einen ihm bekannten Herrschaftsbedienten, zu dessen Schuldner er sich nun machte, befriedigen ließ. Den Bedienten ließ er nach einigen Tagen zu sich rufen, um ihm – die zwölf Kreuzer zurückzuerstatten! während dieser wie die Blumenverkäuferin sich auf ein „königliches Douceur“ gespitzt hatte. – Bei einem starken Regenguß, der ihn in der Vorstadt überfallen, trat er in einem kleinen Hause unter und hörte bald laut, bald leise über sich wimmern. Er ging den Lauten nach und trat in ein ärmliches Zimmer, wo eine Frau mit ihrem Kinde neben einem Krankenlager saß. Er erfuhr, es sei ihr Mann, ein Maurer, der vom Gerüste gefallen und arbeitsunfähig geworden, und nun, ohne Verdienst, fehle alle Nahrung; alle Wege, eine Unterstützung zu finden, seien vergeblich gewesen.

„Seid Ihr denn schon,“ frug sie der König, „beim König gewesen?“

„Ach, bei dem Geizhals,“ war ihre Antwort, „ist vollends nichts zu holen!“

Der König, der sich unerkannt sah, bestellte unter einem leicht gefundenen Vorwand sie auf’s Schloß und dort erhielt sie eine Rolle mit hundert Gulden unter der Aufschrift: „Von dem Geizhals Ludwig.“

Diese Kraft der Selbstbeherrschung zu bewähren, bot ihm das Jahr 1848 vielfach Gelegenheit. Ich sah ihn eines Tages vor mir hergehen, es war im März desselben Jahres. An einer Straßenecke saß ein altes Weib mit Lithographien. Der König nahm eines der Blätter auf, sah es an und legte es der Alten ruhig wieder hin. Ich nahm es auch auf: es war eine Caricatur auf König Ludwig am (oder unterm) Galgen! Natürlich zerriß ich die Blätter.

Der Künstlerdeputation, die nach der Thronentsagung ihm unser Aller Schmerz ausdrücken sollte und eine von uns unterschriebene Adresse überreichte, sagte er: „Drei Stunden habe ich gebraucht zu dem Entschluß, mich von der Krone zu trennen, aber drei Tage zur Resignation auf die Kunst!“ Und er hat doch alle seine unternommenen Werke zu Ende geführt! Er dankte in einem Gedicht, das er Jedem, dessen Name unter der Adresse stand, einzeln in Couvert zuschickte.

Im Jahre 1850 wurden die Fresken an der neuen Pinakothek in München begonnen, zu denen W. v. Kaulbach die ausgeführten Entwürfe geliefert hatte. Bekanntlich ist ihr Gegenstand das Kunstwirken des Königs Ludwig und zwar nach einer sehr satirischen Auffassung, die Anklagen und Vertheidigungen in öffentlichen Blättern hervorrief. Ich schrieb damals ungefähr folgende Zeilen in die Allgemeine Zeitung: „Die Gemälde Kaulbach’s an der neuen Pinakothek in München sind entweder wahr, dann ist das ganze Kunstleben des Königs Ludwig eine Thorheit; oder sie sind, was ich glaube, nicht wahr, dann sind sie der Vernichtung verfallen! Wind und Wetter werden bald das Ihrige dazu thun; aber ein hochherziger Entschluß sollte dem zuvorkommen!“

Der König hat die Arbeit den Elementen überlassen, die ihre Schuldigkeit bereits ausgiebig gethan haben; mich aber redete unmittelbar nach meiner obigen Erklärung der König auf offener Straße an: „Nicht Kaulbach, ich habe die Bilder angegeben, ich, der König!“ worauf ich ruhig, aber mit Bestimmtheit erwiderte: „Majestät! wir leben in einem constitutionellen Staate! Nicht der König, sondern wer seine Befehle vollzieht, ist verantwortlich!“ worauf denn natürlich keine Antwort erfolgte. Ich traf aber nach der Zeit mit ihm in der Werkstatt Kaulbach’s zusammen, wo der Entwurf zu einem neuen Gemälde jener Bilderfolge, ein Künstlerfest, auf der Staffelei stand. Den Mittelpunkt bildete die Statue des Königs, die von Mädchen aus dem Volk in nicht sehr anständiger Haltung bekränzt, von einer Schaar ziemlich roh aussehender Künstler angesungen wurde. Kaum, daß der König einen Blick darauf geworfen, brach er in die Worte aus: „Das ist ja Satire! Auf den König darf man keine Satire machen!“ Und als Kaulbach sagte: „Man kann ja da noch ändern!“ rief er: „Man kann? Nein! Man muß!“ Die Aenderung ist erfolgt. Auch ich erfuhr eine Veränderung von Seiten des Königs, der sich meines oben erwähnten Wortes zu erinnern schien. Er war wieder freundlich und gnädig.



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