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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


„Ich komme, Dir meinen Bräutigam vorzustellen, Marianne!“ sagte sie mit großer Herzlichkeit.

„Ach,“ rief Marianne, auf den stattlichen Officier blickend, „das ist eine Ueberraschung … und wie gut und lieb ist es, daß Sie so an mich denken und selbst zu uns kommen; wie gerührt bin ich, daß Sie so gut sind …“

„Gerührt darüber brauchst Du nicht zu sein, Marianne,“ antwortete Frau von Thorbach, mit dem jungen Mädchen die Küche durchschreitend und dem Hauptmann überlassend, sich mit dem Bauern in ein Zwiegespräch zu verstricken – „Du brauchst mir nicht dafür zu danken; es ist umgekehrt, ich muß Dir danken, denn mein Glück ist ganz allein Dein Werk!“

„Mein Werk? Sie scherzen, gnädige Frau!“

„Nicht im Mindesten …“

„Aber wie käme ich dazu, Theil zu haben an …“

„Ja, wie kamst Du dazu? Du sprachst ein Wort, ein einziges, noch dazu unwahres Wort, und dies eine Wort war wie ein Zauber, der Geister beschwor und schlummernde Dinge weckte und in Bewegung setzte … es ist die merkwürdigste Verkettung, die sich denken läßt, und am Ende dieser Kette, als zwei glücklich verbundene Glieder, siehst Du uns, meinen Bräutigam und mich - aber was sage ich, was spreche ich von einem Ende – eine ordentlich geschlossene Kette darf kein Ende haben, das Ende muß sich wieder an den Anfang schließen, und deshalb komme ich zu Dir … wie Du das erste Worte gesprochen, mußt Du auch das letzte sprechen, damit dieser wunderliche Roman seinen Abschluß erhalte … deshalb eben komme ich zu Dir und gehe nicht, bis Du das Wort gesprochen … aber setzen wir uns irgendwo, wo wir ungestört plaudern können.“

Marianne führte die gnädige Frau quer durch die Küche und die offenstehende Seitenthür zu der Bank hinter dem Hause.

„Hier sind wir ganz allein!“ sagte sie leise und sehr beklommen.

„Sag’ mir, Marianne,“ begann hier Frau von Thorbach, „weshalb schlägst Du die Hand Friedrich’s aus, der jetzt ein vornehmer und reicher Herr ist und …“

„Ach, das ist es gerade,“ rief Marianne erbleichend aus, „es ist ja gar nicht möglich - alle Welt würde ja sagen, ich hätte mit meinem Vater zusammen eine ganz schändliche, ganz abscheuliche, ganz elende Speculation gemacht, um ihn zu bekommen!“

„Also, das ist’s allein? Du hast sonst nichts wider ihn?“

„Was sollt’ ich wider ihn haben? Er ist so gut … er war so sanft und so gut gegen mich, wie ich gar nicht verdiente, gar nicht glaubte, daß ein Mann sein könnte …“

„Und wenn ich Dir nun sage, daß er Dich leidenschaftlich liebt, daß er bodenlos unglücklich und wie ganz zerschlagen ist, weil Du seine Hand zurückgewiesen hast; daß er darüber an die Veränderung seiner Lage gar nicht denkt und allem Gefühl von Glück unzugänglich ist, welches ein Anderer an seiner Stelle empfinden würde …“

„Gerechter Gott … das … das ist mir schrecklich, ganz schrecklich … aber ich kann doch nicht anders!“ brachte Marianne mühsam hervor.

„Wenn Du mehr an das denkst, was die Leute über Dich sagen werden, als an ihn, dann kannst Du nicht anders; das ist richtig. Aber bist Du denn solch eine Egoistin? Kannst Du so ruhig denken: wenn nur die Leute mir nichts vorwerfen, mag er dann immerhin beschimpft sein?“

„Beschimpft sein? Er? Das versteh’ ich nicht!“

„Das ist doch klar!“ fiel Frau von Thorbach ein. „Wenn Du jetzt nicht seine Frau wirst, so werden die Leute sagen: da sieht man’s, als er Unterofficier war, da war ihm eine Tochter vom Herbotshof ganz recht, jetzt, wo er ein Baron geworden, läßt er sie sitzen; er ist ein wortbrüchiger, meineidiger Mensch!“

„Mein Gott,“ rief Marianne aus, „werden sie das glauben?“

„Ganz ohne Zweifel! – Und dann noch Eines,“ sprach Frau von Thorbach weiter. „Wenn ein junges Mädchen Einen in sich verliebt macht, so muß sie ihn auch ehrlich nehmen, sonst ist sie eine herzlose Kokette …“

„Aber können Sie mir denn vorwerfen …?“

„Gewiß, Marianne – hab’ ich Dir nicht eben gesagt, daß Dein Wort die schlummernden Geister ganz allein geweckt habe, und unter diesen Geistern ist auch die schlummernde Leidenschaft in ihm gemeint!“

Marianne schüttelte den Kopf und sah vor sich hin. „Nein, nein,“ sagte sie, „daran bin ich nicht schuld. Aber wenn er wirklich für wortbrüchig und meineidig gehalten würde … wenn das die Folge wäre …“

„Es wird die Folge sein!“

„Dann hätte ich freilich die Schuld. O, rathen Sie mir, liebe gnädige Frau, ich bin so grenzenlos unglücklich, Sie glauben es gar nicht!“

Frau von Thorbach legte lächelnd ihre Hand auf die Mariannens.

„Ich rathe Dir ja … rathe auf’s Eifrigste und Wärmste … und wenn Du Dich unglücklich fühlst, so giebt es ja das vortrefflichste Mittel, dem ein Ende zu machen. Du sprichst: Ja, und Du wirst sehen, wie bald eine so aufrichtige Liebe, wie die Friedrich’s, Dich glücklich macht. Redet denn nichts in Deinem Herzen für ihn?“

„Ach, das ist’s ja gerade, daß er mir gar zu gut gefällt und ich Niemanden auf Erden möchte, als gerade ihn, und nun Sie sagen, daß auch er so unglücklich sei … nun mein’ ich, ich könnt’ gar nicht mehr leben ohne ihn!“

Frau von Thorbach legte ihren Arm um die Schulter des in ein herzbrechendes Schluchzen verfallenden jungen Mädchens.

„Dann ist’s doch klar, daß Euch Beiden nichts Anderes übrig bleibt, als Euer beiderseitiges bodenloses Unglück zusammenzulegen,“ rief sie lachend aus. „Und das sollt Ihr gleich thun. Komm’ mit, Friedrich ist drüben im Wagen geblieben und harrt in tödtlicher Spannung auf uns … komm’, komm’!“

Frau von Thorbach zog Mariannen fort. Aber sie hatten nicht bis zum Wagen zu gehen. Friedrich hatte ihn verlassen und stand im Obstgarten an einen Baum gelehnt; als sie um die Ecke des Hauses kamen, eilte er stürmisch auf sie zu.

„Friedrich,“ rief Frau von Thorbach lachend aus, „bei Ihnen kann man nicht sagen: Wer das Glück hat, führt die Braut heim, sondern: Wer die Braut hat, führt ein ganzes Häuflein Unglück heim. Da nehmen Sie’s und umarmen es, Ihr Häuflein Unglück, da es doch nun einmal – Ihre Braut ist!“





Zwei Tage im Schnee.

Aus dem Leben eines Locomotivführers.

Anfang Februar dieses Jahres brachten die Zeitungen unter andern Nachrichten auch die, daß die Eisenbahnlinie von Herlasgrün, einer kleinen Station bei Reichenbach im sächsischen Voigtlande, nach Eger in Böhmen durch anhaltende Schneefälle und Schneewehen unfahrbar geworden sei; eine Nachricht, die an und für sich nichts Ungewöhnliches gewesen ist und jeden Winter vorkommt. Denn nicht blos im Norden, sogar im Süden, in Spanien und Italien, gelingt es wohl Sturm und Schnee im Verein, die flüchtigen Renner aufzuhalten, die uns Zeit und Raum verrückt haben.

Als daher die ersten telegraphischen Nachrichten von diesen eingetretenen Verkehrsstockungen auf der obenerwähnten Linie im Bahnhof zu Reichenbach eintrafen, überraschten sie eigentlich nur insofern, als wir in diesem Winter noch keine größere, tagelange Störung gehabt hatten. Deshalb trat ich auch am 31. Januar früh vier Uhr die Fahrt von Reichenbach nach Eger mit einer gewissen Neugierde an, besonders da ein widerwärtiges, garstiges Wetter das Möglichste versprach. Lang anhaltende, dichte Schneefälle hatten vorgearbeitet und eine zwei bis drei Fuß hohe, weiße, lockere Decke über das Voigtland ausgebreitet, die bei den beiden hochgelegenen Orten Auerbach und Falkenstein diese Höhe noch um ein Beträchtliches überstieg. Heftige Windstöße jagten und trieben darüber hin, warfen Hügel und Wände auf und veränderten im Handumdrehen die Oberfläche durch ihr launiges Spiel. Mühsam, aber unaufgehalten durchkämpfte die starke Lastzugsmaschine die zahlreichen, im Augenblicke entstandenen kleinen Wehen bis Auerbach; hier stand noch querfeldein die durch Schnee und Eis Tags vorher am Eingänge des Bahnhofs aus dem Geleise

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_198.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2021)