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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 13.   1868.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Wort.
(Schluß.)


Marianne wurde bleich, bleicher als das vor ihr liegende Linnen. Sie stieß einen Schrei der Ueberraschung, des Schreckens aus, sie sank auf ihre Bank zurück, während ihre Hände schlaff die Strähnen zu Boden fallen ließen, die sie hielten. Sie hatte Friedrich nicht an seinen Zügen, nicht an seiner Gestalt erkannt, sie hatte ja gar nicht zu ihm aufgeblickt; ihr Gewissen sagte ihr, daß er es sei.

„Sie erschrecken ja gewaltig,“ sagte Friedrich gutmüthig lächelnd und leicht die Hand mit einer Bewegung nach seiner Mütze hin aufwerfend.

In einer andern Stimmung hätte er wohl sehr ernst und bitter von dem jungen Mädchen Rechenschaft verlangt. In dem Gefühl von Glück und in den glänzenden Hoffnungen schwelgend, welche ihm gemacht waren, nahm er es leichter und war geneigt, die ganze Sache wie einen schlechten Spaß aufzufassen.

Sie faltete die Hände zusammen, lispelte ein leises „Du gerechter Gott!“ und brach in einen Strom von Thränen aus, die über ihre bleichen Wangen niederrannen, während sie mit einem flehenden Blicke zu dem großen jungen Mann aufsah, der vor ihr stand.

„Nun, weinen Sie nicht!“ sagte dieser, gerührt von der Sprache dieses merkwürdig innigen Blicks, und dabei ließ er sich neben ihr auf die Bank nieder, „ich kam ja nicht, um Ihnen etwas Uebles anzuthun! Sie sind ja,“ setzte er lachend hinzu, „meine Braut, ich wollte nur gern hören, wie das eigentlich zusammenhängt … und dazu komme ich …“

„O mein Gott!“ rief das junge Mädchen noch einmal, „wenn ich nur todt wäre, nur todt und begraben unter dem Rasen läge!“

Friedrich ging es, wie so manchem Manne, der in der Absicht auszieht, einer Frau eine gerechte Vorhaltung zu machen, und bald inne wird, daß sich die Sachen umgekehrt verhalten, daß er die Vorwürfe verdient und daß ihm die Rolle des Beschwichtigens und Entschuldigens zukommt. Er ergriff eine der Hände, welche Marianne wie im tiefsten Leid, in grenzenloser Beschämung vor ihr Gesicht geschlagen hatte, und sagte:

„Seien Sie doch nicht so außer sich, Marianne … weshalb versündigen Sie sich denn mit solchen Reden? Sehen Sie, ich kann mir ja Alles denken und messe Ihnen ja keine Schuld bei. Ihr Vater und der Doctor Rostmeyer haben zusammen ein kleines Complot geschmiedet … ist’s nicht so? … Ihr Vater hat dabei einen wunderlichen Hintergedanken gehabt und hat ihn zu früh ausgeschwatzt, und so ist’s in aller Leute Mund gekommen … und das Unglück ist ja so gar groß auch nicht … was die Leute schwatzen, thut uns Beiden weiter nicht weh …“

„O nein, nein, nein!“ brach hier Marianne leidenschaftlich aus … „so ist es ja nicht, so ist es nicht, ich habe alle, alle Schuld ganz allein, und Sie können nicht anders als mich auf’s Tiefste verachten … ich … ich … aber wenn Sie wüßten, wie es kam … wie es mir abgepreßt wurde …“

„Nun,“ fuhr Friedrich fort, „so erzählen Sie mir es, wie es kam, hübsch ruhig und ordentlich; wahrhaftig: es ist so vieler Thränen nicht werth … fassen Sie sich, Marianne, erzählen Sie mir, ich schwöre Ihnen, daß ich Sie nicht verachten werde!“

„Ja, ich will es Ihnen erzählen … Alles … Alles … Sehen Sie,“ sagte Marianne von Schluchzen unterbrochen, „der Vater bedarf einer Frau für den Hof und die Wirthschaft, und er hat auch die Anna vom Kamphofe gern und sie mag ihn auch, aber sie wollte ihn nicht nehmen, so lange ich unversorgt auf dem Hofe sei, sie denkt, eine Stiefmutter und eine Tochter von gleichem Alter, das thue nicht gut; und der Vater wurde verstört und unglücklich darüber und drängte mich, und ich konnte mich doch nicht entschließen, unter denen, die mich zur Frau begehrten, einen zu wählen, und neulich, wo der Vater wieder davon anfing und mich ganz außer mich brachte vor Verdruß und Pein darüber, da dacht’ ich, du sollst ihn nur erst einmal beruhigen und ihm sagen, du seiest verlobt und werdest der Stiefmutter Platz machen, dann hat er doch seinen Frieden. Und da sagt’ ich ihm, ich sei verlobt, ich dacht’, in den nächsten Tagen werd’ ich’s ja doch sein und mir ein Herz fassen und dem Raffelsberger oder dem Erdmann oder dem Wallfurth mein Wort geben … aber damit war er nicht zufrieden, und ich sollt’ durchaus sagen, mit wem, und ich wußt’ doch keinen zu nennen, und da nannt’ ich in meinem sündhaften Leichtsinn Ihren Namen, weil ich Jemand nennen mußte und zwar Einen, der es nie erfahren würde, der recht weit war und niemals in’s Dorf kommen würde … und da wußt’ ich Niemand anders aus der ganzen Gegend als Sie … und so verführte mich der böse Feind, und ich nannte Sie!“

„So, so, so …“ sagte Friedrich begütigend … „so ist es gekommen? Nun, das Verbrechen ist ja am Ende so groß nicht …“

„Aber ich beschwor den Vater,“ fuhr Marianne hastig fort, „keiner Menschenseele ein Wort davon zu sagen … er versprach es mir auch, doch in dem Eifer um seine Anna ging er noch denselben Abend zum Advocaten, um wegen der Abschichtung mit ihm zu reden, und am andern Morgen wußte schon die Großmagd von ihm, was ich gesagt, und den Abend ging er zum Vater Tillmann und … mit einem Worte am verwichenen Sonntage

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_193.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2021)