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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

gewaltsam dazu gebracht werden, Schulen einzurichten. Später dankten sie dem Landammann für diesen Zwang. Daß es auch ohne äußere Nöthigung ging, wenn der rechte Mann sich fand, die Gemüther praktisch aufzuklären, soll hier durch einen Abschnitt aus dem Leben des Mannes gezeigt werden, der im ersten Capitel dieser Mittheilungen zu charakterisiren versucht wurde.

Am Ostermontag 1838 wurde in der Kirche von Grenchen, der größten Gemeinde des Kantons, ein Lehrer für die neuerrichtete Bezirksschule eingeführt. Die Gemeinde war katholisch, der Lehrer Protestant und aus politischen Gründen aus Deutschland nach der Schweiz übergesiedelt. Sein Name aber war Karl Mathy, derselbe, der zehn Jahre später deutscher Reichsminister war und abermals zwanzig Jahre später als Premier von Baden starb.

Grenchen, durch ein jetzt aus der Schweiz und dem Elsaß vielbesuchtes Heilbad ausgezeichnet, liegt in den Vorhügeln des Jura über der Thalebene der Aar in einer Gegend von ebenso lieblichem als großartigem Charakter. Im Vordergrund das Dorf, das sich in einzelnen Häusern und Gruppen von solchen, von Gärten und Saatfeldern umgeben und von den Armen eines schnellen, klaren Baches durchflossen, den Berg hinaufzieht. Im Westen die Spiegel der Seen von Murten, Neuenburg und Biel. Im Osten und Süden die weißen Riesenhäupter der Alpenkette. Die Einwohner nähren sich als Ackerwirthe, Sennen und Waldarbeiter. Sie sind ein hochgewachsener, kräftiger Menschenschlag von echtem Alemannenblut, fleißig, geschickt, sich in jeder Lage zurecht zu finden, und von so urthümlicher Ehrlichkeit, daß verschlossene Thüren bei ihnen unbekannt sind und daß es ein Unerhörtes war, als vor etlichen Jahren einmal im Dorfe eine Uhr gestohlen wurde. Nur einen Mangel hatte in den Augen des gesitteten Europäers der Grenchner: er stand im Rufe unbändiger Wildheit und starker Neigung, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen.

Das war der Ort und das Volk, wo Mathy von jenem Ostermontag an das Schulscepter führen sollte. Es war etwas aus den Leuten zu machen, aber es war – wie wenigstens ferne Freunde besorgten – auch Gefahr vorhanden, daß die wilden Grenchner dem Apostel der Aufklärung das Schicksal des heiligen Bonifacius bereiteten oder, deutlicher gesprochen, den fremden Ketzer kurzweg todtschlugen.

Es ist wahr, die Gemeinde hatte die Bezirksschule freiwillig errichtet, und der Lehrer war der Mann ihrer Wahl. Aber diese Wahl war nur die der Mehrheit gewesen, und auch diese Mehrheit, aufgeweckten Sinnes zwar, aber ungebildet, hatte keinen rechten Begriff von dem Nutzen guten Unterrichts. Die Minderheit aber, angestachelt von den Ultramontanen, trug dem neuen Lehrer bitteren Groll entgegen. Die schwarze Presse schmähte ihn, den Gemeinderath, die Regierung in der ihr geläufigen Weise. Die Geistlichen in Grenchen wurden angewiesen, nach Möglichkeit, gegen die Schule zu wirken. Sie leisteten darin Einiges, aber nicht viel. Der Pfarrer war als stattlicher Mann von Einfluß auf die Frauen, allein statt zu streiten, zog er vor, in Ruhe und Behagen sich mit Geigenspiel zu vergnügen. Er hielt eine Anzahl Knaben vom Besuch des Unterrichts ab und setzte niemals einen Fuß in die Schule. Der Caplan hatte seine Freude an Landwirthschaft und Bienenzucht und kümmerte sich nur, so viel er mußte, um theologische Dinge oder sonst um wissenschaftliche Gegenstände. Im Uebrigen war er ein guter Mensch, der zugab, daß es einem rechtschaffenen Nichtkatholiken im Jenseits wie guten Heiden gehen könne, und welcher der Schule nicht gefährlich war. Auch die benachbarten Franciscaner, fleißige und gelehrte Leute, waren ihr eher förderlich als hinderlich.

Aber es gab bedenklichere Elemente im Orte. Zunächst war ein großer Theil der Frauen gegen die Neuerung überhaupt, dann gegen den ketzerischen Wolf im katholischen Schafpferch. Dann waren vorzüglich Leute, welche durch die neue Ordnung der Dinge aus Gemeindeämtern verdrängt worden, Feinde der Schule, und unter diesen gab es recht tückische Gesellen. „Von einem derselben,“ so erzählt Mathy selbst, „nahm ich die Milch für den Hausbedarf. Die Kinder erkrankten, sie glühten im Fieber; wir erfuhren, daß uns die Milch von einer kranken Kuh gegeben worden und daß die Verkäufer sich dessen rühmten.“

Die Ränke dieser Gegner bewirkten, daß die Schule zuerst nur ein Dutzend Schüler zählte, wenig für eine Gemeinde, die über zweitausend Mitglieder hatte und von Dörfern umgeben war, denen die Anstalt ebenfalls offen stand. Erst die Leistungen der Schule konnten ihr bessern Willen gewinnen. Doch kam vorher einige Verstärkung. Das reformirte Nachbardorf Lengnau im Kanton Bern fragte bei den katholischen Solothurnern an, ob Knaben aus ihm der Besuch der Bezirksschule gestattet sei, die Antwort lautete bejahend, und alsbald erschien von dort ein Zuwachs von acht bis zehn jungen Leuten. Dieses Beispiel wirkte auf die solothurner Nachbardörfer. Es stellten sich einzelne Schüler aus Staad, Bettlach, Selzach, später selbst aus dem französischen Jura ein.

Der Zuzug von außen stimmte allmählich auch das Uebelwollen gegen die Schule in Grenchen selbst einigermaßen um, und nach einiger Zeit hatte die Anstalt schon gegen vierzig Zöglinge. Mathy änderte den vorgeschriebenen Unterrichtsplan nach dem Bedürfniß um und fand nicht nur die Billigung der Regierung, sondern dieselbe sprach auch den Wunsch aus, es möge an den übrigen Bezirksschulen ebenso gehalten werden. Im Sommer hielt er nur von sechs bis zehn Uhr Schule, damit die Knaben noch zu Haus- und Feldarbeiten verwendet werden konnten. Die Lehrgegenstände beschränkte er in der Zahl, gab ihnen aber mehr Inhalt. Mit Eifer wurden deutsche und französische Sprache, Geschichte und Geographie, Arithmetik und Geometrie betrieben, und es war eine Freude, zu sehen, „wie weit man in kurzer Zeit fähige naturwüchsige Knaben bringen kann, wenn man allen Schwulst wegläßt, die Dinge einfach darstellt und den Einzelnen in seiner geistigen Arbeit zweckmäßig unterstützt“.

Für besonders Befähigte that der Lehrer etwas mehr als vorgeschrieben. Er gab ihnen in besondern Stunden Unterricht im Lateinischen und benutzte diese Gelegenheit, um ihren Gesichtskreis zu erweitern und ihren Lerntrieb zu leiten. Sie bildeten einen Kern, welcher der Schule festeren Halt gab; denn ihr ernstes gesetztes Wesen imponirte Allen. „Ich habe in den drei Jahren meines Lehramts“, so berichtet Mathy, „nie eine Strafe verhängt. Verhielt sich ein Knabe faul oder unwahr, so pflegte ich der Ermahnung zur Besserung die Andeutung beizufügen, daß die übrigen Schüler keine schlechten Burschen unter sich dulden würden. Es ist wohl vorgekommen, daß nach Beendigung der Stunde, in welcher eine solche Warnung nöthig geworden, von geringer Entfernung her Töne, die nicht gerade Jubel bedeuteten, zu meinen Ohren drangen; allein ich unterließ es, mich nach der Ursache zu erkundigen.“

Noch war kein Jahr verflossen, als man im Dorfe merkte, daß die Schule nütze. Die begabteren Knaben wurden vielfach zum Schreiben und Uebersetzen deutscher und französischer Briefe, zur Prüfung und Abfassung von Rechnungen und Aehnlichem in Anspruch genommen. Man sah sie auf dem Felde Messungen vornehmen und Höhen oder Entfernungen trigonometrisch bestimmen. Man hörte einen Knaben von fünfzehn Jahren vor versammelter Gemeinde eine Rede für seinen in Gant gerathenen Vater halten, und derselbe sprach mit solchem Ausdruck, solchem Geschick und solcher Wärme, daß den harten Männern Die Thränen in den Bart rollten. „So lernen sie reden in der Schule,“ sagte man. Von da an stand die Anstalt fest, und als im zweiten Jahr der Landammann mit mehreren Mitgliedern des Regierungsrathes auf Mathy’s Wunsch eine Prüfung der Schüler vornahm und Alles gut ging, war die Schule als eingelebt in die Gemeinde zu betrachten.

Die Osterzeit des Jahres 1840 brachte den Grenchnern eine große Leistung der Schule. In früherer Zeit halten sie ähnliche Stücke aufgeführt, wie das bekannte Passionsspiel in Oberammergau, eine Sitte, die allmählich außer Uebung gekommen war. Jetzt erinnerten Knaben den Lehrer daran, äußerten ihm den Wunsch, wieder einmal etwas der Art zu haben, und baten ihn um Rath, wie das zu machen. Er überlegte die Sache, erkundigte sich weiter, wie man es mit jenen Darstellungen gehalten, und schlug endlich das vaterländische Trauerspiel „Hans Waldmann“ zur Ausführung vor, welches die bekannte Geschichte jenes Bürgermeisters von Zürich zum Gegenstände hat, der in seiner Vaterstadt als Brecher der Adelsherrschaft und Reformator auftrat, dann aber die Volksgunst verlor und schließlich enthauptet wurde. Der Vorschlag gefiel, da es dem Stücke nicht an aufregenden Scenen, Aufständen, Gefechten, Kettengeklirr und Waffengerassel fehlte, und die Schüler gingen rüstig an das Werk. Sie bildeten mit älteren Burschen einen Verein mit Vorstand, Seckelmeister und Schreiber, vertheilten mit

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