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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

gemacht ist; ich komme gleich,“ rief die Stimme ein wenig ärgerlich zurück, und zugleich wurde die Thür von innen eilig zugeschlagen.

Die Magd warf noch einen, wie es Friedrich schien, etwas verwunderten und fragenden Blick auf ihn zu und sagte dann:

„Kommen Sie nur.“

Damit ging sie die Treppe hinauf, bog oben in einen Corridor ein und schritt bis zum Ende desselben. Hier öffnete sie eine Thür vor Friedrich und sagte:

„Treten Sie hier nur ein und warten ein wenig, Fräulein Runde wird gleich kommen.“

Damit zog sie die Thür hinter ihm zu.

Friedrich befand sich in einem langen, schmalen, einfenstrigen Zimmer, das sehr hübsch, aber einfach und mit schlichten Meubeln ausgestattet war; rechts stand ein kleines mit blendend weißem Linnen überzogenes Bett und dahinter ein allerliebster, mit weißem Zeug umhangener kleiner Toilettentisch.

Wenn, wie die Stimme hinter der Thürspalte her angedeutet hatte, dies Zimmer für ihn hergerichtet sein sollte, fand Friedrich es von einer überflüssigen Zierlichkeit. Mit seiner Casernenstube stand es in einem merkwürdigen Contrast.

Am oberen Ende desselben, links, stand eine Thür halb geöffnet.

Friedrich warf seine Mütze auf den Tisch und schritt dann dem Fenster zu; aber er hatte dieses noch nicht erreicht, als seine Schritte plötzlich gehemmt wurden, er vernahm das Rauschen eines Kleides, ein paar trippelnde Schritte, und aus dem Nebenzimmer heraus blickte ein ziemlich hübsches, wenn auch ein wenig verblühtes, von blonden Korkzieherlocken umwalltes Mädchengesicht.

Das Gesicht drückte bei dem Anblicke des Unterofficiers das äußerste Erstaunen aus, die blauen, ein wenig wässerigen Augen waren so rund, wie sie sich schwerlich in Momenten größerer Ruhe zeigten.

Mit einem „O du meine Güte!“ fuhr sie zurück … dann, wie sich fassend, aber sehr ängstlich und rasch aufathmend, erschien sie wieder, trat ganz aus die Schwelle und sagte:

„Um´s Himmels willen, wer sind Sie, wie kommen Sie hierher?“

„Es thut mir leid, Fräulein, daß ich Sie erschreckt habe,“ versetzte Friedrich, seinerseits ein wenig verlegen, „aber man hat mich hier hereingewiesen, das Zimmer soll für mich bestimmt sein …“

„Für Sie … für Sie bestimmt? … ist denn … aber das kann ja nicht sein … dies Zimmer ist für ein junges Mädchen bestimmt, das hier erwartet wird und das ich neben mich und unter meinen Schutz nehmen soll, und nun weist man Sie hierher …! ist die alte Runde toll geworden?“

„Es muß dann ein Mißverständniß obwalten,“ sagte Friedrich lächelnd, „und wenn der Gedanke, daß Sie mich unter Ihren Schutz nehmen sollen, Sie so empört, so will ich gern gehen.“

„Bleiben Sie nur, ich will gleich zur Runde gehen.“

„Ich weiß nicht, wer Fräulein Runde ist, aber ich habe gehört, daß sie just Toilette macht und keine Audienzen giebt. Auch brauchen Sie sich nicht zu ängstigen, Fräulein, ich warte nur, bis ich die gnädige Frau gesprochen habe, und dann werde ich wohl sogleich wieder abziehen.“

„Nun, dann werde ich hier die Thür schließen,“ sagte die Zofe, und mit einem langen prüfenden Blick, den sie auf den stattlichen Soldaten warf, verschwand sie in ihrem Zimmer. Nachdem sie die Thür hinter sich geschlossen, hörte Friedrich, wie sich rasch drüben ein Nachtriegel vorschob.

Er trat an’s Fenster und blickte in den Park aus der Rückseite des Hauses hinaus. Etwa fünf Minuten lang. Dann vernahm er, wie der Nachtriegel behutsam drüben wieder zurückgezogen wurde; die Thür öffnete sich leise und der Kopf mit den Korkzieherlocken blickte wieder in sein Zimmer hinein, mit Augen, die weit weniger rund waren als vorher.

„Sie haben vielleicht schon einen langen Marsch gemacht – wünschen Sie eine Erfrischung?“ sagte sie.

„Ich danke Ihnen, Fräulein,“ versetzte Friedrich; „ich komme heute nur aus dem Dorfe.“

Das Fräulein verschwand; die Thür schloß sich wieder, der Nachtriegel schob sich abermals vor.

Abermals vergingen einige Minuten. Dann erfolgte abermals das Friedrich schon bekannte Geräusch am Schlosse. Abermals ging die Thür auf und das junge Mädchen kam herein. Sie ging zu dem Toilettentisch, nahm ein Glas von demselben und sagte:

„Entschuldigen Sie – ich hatte mein Glas hier stehen lassen.“

„O bitte, ich hoffe nicht, daß ich Sie irgend genire,“ antwortete Friedrich.

Das junge Mädchen schritt rasch wieder auf ihre Thür zu, dann, an ihrer Schwelle, zauderte sie; die Hand auf den Drücker ihres Schlosses, fragte sie:

„Sind Sie hier erwartet, daß man Ihnen gesagt hat, es sei ein Zimmer für Sie hergerichtet?“

„Ich denke, ich bin’s,“ versetzte Friedrich; „der Doctor Rostmeyer sendet mich mit einem Billet an die gnädige Frau; das ist Alles, was ich weiß.“

Das junge Mädchen schien so verwundert über diese Antwort, daß sie das Schloß der Thür fahren und beinahe ihr leeres Trinkglas aus der Hand fallen ließ.

„Der Doctor Rostmeyer? … Sie? … Sie sind doch nicht … nein, das ist ja nicht möglich … das junge Mädchen? …“

„Das junge Mädchen bin ich nicht,“ erwiderte Friedrich lachend, „welches junge Mädchen meinen Sie?“

„O, es ist ein …“ Die Zofe stockte, indem sie ein wenig erröthete; auch wurde sie der Antwort überhoben, denn die vordere Thüre öffnete sich und eine höchst elegante, in schwarze Seide gekleidete, fein und zierlich gebaute und auffallend hübsche junge Dame von lebhaften Bewegungen rauschte herein; gleich hinter ihr wurde eine ältere, fast um einen Kopf größere magere weibliche Gestalt, ebenfalls in einem schwarzen Kleide, sichtbar.

„Hier soll sie sein!“ rief die Dame eifrig aus, „aber wo ist sie denn – wer ist dies, wer ist dieser Mann?!“ Sie fuhr bei diesem Ausruf erschrocken zurück.

„Um Gottes willen, das ist ja ein Unterofficier!“ rief in kreischendem Tone die ältere zu gleicher Zeit.

„Ein Unterofficier von der reitenden Batterie des * Artillerieregiments,“ sagte Friedrich, über diese Ausrufe befremdet und deshalb in ziemlich militärischem Meldeton.

„Ein Unterofficier!“ sagte mit der Betonung eines wahren Entsetzens die erste Dame.

„Gnädige Frau, ich war auch so verwundert,“ warf hier die Zofe dazwischen.

„Sprechen Sie doch, was dies bedeutet, wie Sie hierher kommen, was Sie wünschen!“ rief die ältere Dame aus.

„Aber mein Gott,“ sagte Friedrich betroffen, die drei so erschrocken vor ihm stehenden weiblichen Wesen ansehend, „was ist denn eigentlich, was die Damen so überrascht? Der Doctor Rostmeyer trug mir durch ein paar Zeilen auf, dies Billet hier“ – Friedrich zog es hervor – „der Frau von Thorbach zu …“

„Der Doctor Rostmeyer … Ihnen? Aber er schrieb mir doch, mein’ ich, von einem Mädchen! Das sind Sie ja gar nicht!“

„Dieser Vorwurf ist mir noch nicht gemacht worden,“ antwortete Friedrich, „aber es ist allerdings richtig!“

„Das ist aber doch abscheulich!“ fuhr die ältere Dame, das Fräulein Runde, dazwischen.

„Abscheulich, daß ich kein Mädchen bin?“ sagte Friedrich, dem die Sache jetzt lächerlich vorkam. „In der That, hätte ich bei meiner Geburt ahnen können, daß Sie’s so übel nehmen würden, so …“

„Es ist richtig,“ rief jetzt die gnädige Frau, die unterdessen das Billet des Doctor Rostmeyer an sich genommen, aufgerissen und die wenigen Worte, welche es enthielt, überflogen hatte, „es ist das Pflegekind meines … des Doctors … aber Sie haben Recht, Runde, es ist abscheulich, uns so in die Irre zu führen … ich erwarte ein junges Mädchen, und es ist ein Unterofficier von der reitenden Artillerie … das ist denn doch zu toll, das ist ja unerhört, was beginne ich nun mit Ihnen? sagen Sie mir das um’s Himmels willen…“

Die kleine Frau schien außer sich, sie schien über diese unerwartete Wendung der Dinge den Kopf verloren zu haben.

„Jedenfalls,“ rief die Zofe, die zweckmäßig finden mochte, dem Zorn ihrer Gebieterin zu secundiren, „jedenfalls, hoff’ ich, beginnt Fräulein Runde damit, ihn hier auszuquartieren …“

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