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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Ihr Leute im Dorfe hier seid ihr wahrscheinlich alle viel zu schlau, und sie läßt sich einen aus der Stadt kommen, von dem sie weiß, daß er ihr nur die Wahrheit über ihre Sachen sagt.“

Vater Tillmann antwortete hierauf nicht; er war entweder in seinen persönlichen Gefühlen durch das Mißtrauen, oder in seinen moralischen durch die Unwahrheit gekränkt, welche sein Gast ihm gezeigt, und deshalb stand er auf und ließ Mutter Gertrud Raum, den Tisch zu decken und Friedrich sein Abendessen aufzutragen.

Friedrich aber grübelte über die verwunderliche Behauptung nach, welche sein Wirth mit solcher Bestimmtheit aufgestellt. Die Sache selbst freilich focht ihn nicht sehr an. Wenn der Bauer Herbot selber erzählte, er habe ihm seine Tochter versprochen, so konnte er ihn nicht daran hindern, es lag weder eine Beleidigung seiner militärischen noch seiner bürgerlichen Ehre darin; im Gegentheil, der Herbotbauer war ein angesehener Mann, sein Hof war einer der größten in der Bauernschaft und die Marianne, seine einzige Tochter erster Ehe, war ein hübsches rosiges Kind gewesen, auffallend fein für solch’ ein Landgewächs … aber gerade darüber gerieth Friedrich in’s Grübeln. Er dachte daran, daß er an dem Tage, wo Marianne zur ersten Communion gegangen, ihr in der Kirche gegenüber gesessen und daß er sie damals betrachtet hatte; es dämmerte die Erinnerung in ihm auf, daß er sich gesagt, sie sei die hübscheste von all’ den weißgekleideten bräutlich geschmückten Backfischen in Kranz und Schleier, und keine sah so zierlich, so rosig und so sanft aus wie diese selbe Marianne vorn Herbothofe; diese Marianne, die jetzt mit Gewalt seine Braut sein sollte – die ganze Bauernschaft wollte es so, hatte Vater Tillmann ja gesagt.

Friedrich überkam dabei ein seltsames Gefühl. Der Gedanke, ein weibliches Wesen, und wäre es uns auch vorher noch so fremd und unbeachtet geblieben, sein nennen zu dürfen, hat einen eigenthümlichen Reiz und Zauber für einen Mann, es weckt eine Ader der in seiner Seele schlafenden Zärtlichkeit und setzt die Saite des Liebesbedürfnisses in stille, sanfte und verführerische Schwingungen … es ist immer sehr gefährlich, sich mit solchen Versicherungen überfallen zu sehen, wie die waren, welche Vater Tillmann mit so genauer Kenntniß der Thatsachen unserem Unteroffizier von der reitenden Artillerie auf den Kopf zugesagt hatte.

Und bei Friedrich doppelt. Denn Friedrich war ein eigenthümlicher Mensch, auch er hatte sein Liebesbedürfniß, wie alle andern bewaffneten Söhne des Vaterlandes, aber er hatte einen aristokratischen Geschmack, und in der Lebenssphäre, in welcher er hätte Eroberungen machen können, war ihm nie ein Wesen aufgestoßen, welches genug von den anziehenden Eigenschaften besaß, die seine wählerische Phantasie von seinem Ideale verlangte. Und so war Friedrich ganz sicherlich der einzige Unterofficier in seinem Regimente, dessen Herz noch so jungfräulich war wie damals, als er sein heimathliches Dorf verlassen.

Doch waren die Gedanken und Empfindungen, welche seiner Wirthe Versicherungen in ihm erweckt, nicht heftiger und erregender Art. Sie hinderten ihn, als er sich zur Ruhe begeben, nicht, sofort in einen gesunden Schlaf zu sinken; die Gestalt Mariannens wob sich nicht einmal in seine Traumbilder, falls er deren hatte; und als er am andern Morgen erwachte, hatte er Marianne Herbot vergessen. Er wurde erst an sie wieder erinnert, als er im Gastzimmer von seiner Wirthin begrüßt wurde, die ihm sagte, daß der Peter schon in den Wiesen beim Heuen sei – der Peter sei immer so rastlos zum Fortkommen, wenn’s draußen Arbeit gebe, setzte Frau Gertrud hinzu, die es zu den Pflichten einer treuen Lebensgefährtin zu rechnen schien, ihres Gatten Thaten, Meinungen und Eigenschaften mit ihren kritischen Randglossen zu versehen.

Als es auf dem Thurm der Dorfkirche zehn Uhr schlug, trat Friedrich seine Wanderung nach dein Schlosse Stromeck an. Der Edelhof lag zwanzig Minuten vom Dorfe entfernt, in einem Park, der eine fruchtbare Thalsenkung ausfüllte; eine Allee von alten Eichen führte fünf Minuten lang auf das freundliche, weiße, mit grünen Jalousien versehene und mit Balconen geschmückte Landhaus zu, welches in der ganzen Bauernschaft nicht anders als „das Schloß“ genannt wurde … der alterthümliche, eine Stunde weit am andern Ende der Bauernschaft liegende, mit breiten Gräben und grauen Thürmen versehene, ziemlich verfallen ausschauende Edelhof, von welchem der Hauptmann von Mechtelbeck stammte, hieß dagegen „die Burg“.




5.

Einige Tage vor diesem, an welchem wir Friedrich auf dem Wege zum Schlosse erblicken, hatte die Beschließerin auf Haus Stromeck einen Brief ihrer jungen Gebieterin, der Frau von Thorbach, aus Karlsbad bekommen, worin diese ihre Ankunft ihr für einen der folgenden Tage anzeigte und ihr allerlei Aufträge über häusliche Einrichtungen gab. Außerdem enthielt der Brief folgende Stelle.

„Und nun noch Eins. Denken Sie sich, liebes Fräulein Runde, welche merkwürdige Mittheilung mir Doctor Rostmeyer in einem Geschäftsbriefe, den ich eben von ihm erhalte, macht. Er schreibt mir: ,Und da Sie nun nach dem Heimgange Ihres Herrn Vaters in alle seine Verhältnisse und Verpflichtungen eintreten, so darf ich Ihnen auch Eines, was Ihnen bisher unbekannt geblieben sein dürfte, nicht verschweigen. Ihrem Herrn Vater ist vor Jahren eines schönen Morgens ein Findelkind auf die Schwelle gelegt worden. Es ist das keine angenehme Bescheerung, und obwohl Ihr Herr Vater keinen Augenblick angestanden hat, seine Christenpflicht an dem armen ausgesetzten Geschöpf zu thun, so hat er doch seines Rufes willen und vielleicht noch aus andern Gründen Sorge getragen, daß die Sache auf’s Strengste geheim gehalten werde. Derselbe vertraute Diener, der das Kind gefunden, hat es mir, dem bewährten Rechtsbeistand und Geschäftsführer Ihres Herrn Vaters, überbracht; ich habe es bei zuverlässigen Leuten erziehen lassen und bisher für sein Fortkommen gesorgt, die Geldmittel hat Ihr Herr Vater regelmäßig bewilligt, so daß die Art Vormundschaft, die ich geführt habe, von meiner Seite durchaus kein Verdienst hatte; ich erlaube mir aber anzufragen, ob Sie, gnädige Frau, gewillt sind, auch diese Erbschaft Ihres Herrn Vaters zu übernehmen; ich würde alsdann die Ehre haben, Näheres über Namen, Aufenthalt und bisherige Situation unseres Findelkindes mitzutheilen?

„Sie können sich denken, liebe Runde, wie mich das frappirt hat. Mein Vater hat ein Findelkind angenommen, aber Herrn Doctor Rostmeyer überlassen, dafür zu sorgen. Das arme Geschöpf! Was mag daraus geworden sein? O, diese Männer! Wenn sie die ‚Geldmittel‘ hergeben, glauben sie genug gethan zu haben. Ich denke, meine Verpflichtungen gegen das junge Mädchen nicht so leicht zu nehmen. Ich will selbst sehen, was daraus geworden ist, was man daraus bilden, wie man für seine Zukunft sorgen kann. Ich habe gleich an Rostmeyer geantwortet, daß ich im Begriff stehe, abzureisen, daß er mir sofort das Findelkind zusenden solle, daß ich es in Stromeck bereits vorzufinden hoffe und daß mich die Sache im höchsten Grade interessire. Es wird sich also vielleicht noch vor meiner Ankunft mit einigen Zeilen Rostmeyer’s auf Stromeck melden; nehmen Sie es in diesem-Falle wohl auf und sorgen dafür, bis ich komme.“

Fräulein Runde, die Beschließerin, hatte nach dieser Anweisung ihrer Gebieterin insofern verfahren, als sie für das Findelkind ein Zimmerchen hergerichtet. Aber es war vor ihrer Herrin, die schon am vorgestrigen Abend eingetroffen, nicht angekommen. Frau von Thorbach hatte gleich danach gefragt und gemeint, der Doctor Rostmeyer, der bei der Nachricht von ihrer Ankunft sich bald einstellen werde, würde es wohl selbst ihr zuführen wollen.

Als Friedrich Haus Stromeck erreicht hatte und über die Stufen einer kleinen Portaltreppe den breiten mit Marmorplatten ausgelegten Flur betrat, in welchem in zwei Flüchten eine blankgebohnte Treppe in das obere Stockwerk hinaufführte, fand er einen dienstbaren Geist in Gestalt einer Hausmagd, welche eben beschäftigt war, mit einem Staubbesen die Ecken der Treppenstufen sehr sorgfältig auszukehren. Friedrich wandte sich an sie; er sagte, daß er von Doctor Rostmeyer gesandt und mit einigen Zeilen an die gnädige Frau versehen sei.

Das Mädchen sah neugierig die Gestalt des vor ihr stehenden Unterofficiers an, dann den Kopf hebend rief sie laut aus:

„Fräulein Runde!“

„Was giebt es?“ erwiderte eine ziemlich scharfe Frauenzimmerstimme, die durch eine nur angelehnt stehende Thür links auf dem ersten Treppenabsatz, welche Friedrich erst jetzt bemerkte, herabtönte.

„Da ist Jemand mit einem Briefchen vom Doctor Rostmeyer an die gnädige Frau. Ist die gnädige Frau zu sprechen?“

„Ist die Person da? … ja, mein Gott, ich bin ja beim Ankleiden, führ’ sie nur auf das Zimmer, welches für sie zurecht

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