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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Brückenbaues absolut still. Das Können im Steinbrückenbau scheint in der That von den römischen Meistern vollständig erledigt worden zu sein.“

„Und all’ das mühselige Theoretisiren über dasselbe,“ fiel ich ein, „das besonders in meinem doctrinliebenden Vaterlande mit Aufwand herrlicher Kräfte so breit und behaglich gepflegt wird, hat es um kein Haar breit weiter gebracht. Der Baumeister Trajan’s, Apollodor, der die Donaubrücke bei Turnu-Severin, und der Ingenieur Theodorich’s des Großen, der den Aquäduct von Spoleto baute, waren darin gerade so klug und kühn wie unser bester Techniker.“

„Nur durch Abminderung der Massen des Baues, die Construction der Gerüste,“ ergänzte Swinburne, „die Anwendung aller Hülfsmittel, welche die Mechanik der Neuzeit beim Fundamentiren der Pfeiler und Heben der Lasten an die Hand giebt, kann sich dieser überhaupt des Namens eines Ingenieurs würdig machen. Wer in dieser Wissenschaft nicht im Studium wie im Können vollständig auf der Höhe seiner Zeit steht, dessen Wirken ist eitel Verneinung und vom Uebel.“

„Und,“ fügte ich hier dazwischen, „eitel Vortheil und echteste Nationalökonomie wär’s, alle so beschaffenen Techniker im Amte stracks mit vollem Gehalte zu pensioniren.“

Alles lachte, und Marochetti rief aus: „Nach Allem, was die Herren sagen, scheint’s dem Laien, als sei die Eisenbrücke der eigentliche Charakterausdruck, die eigentliche Hieroglyphe für den Geist des Verkehrs der Neuzeit. Doppelt stolz gehe ich nun an das Erzbild des Mannes, der als Piromis dieses Geistes diese Hieroglyphen am schönsten zu schreiben versteht!“

„Halt! halt!“ rief Stephenson aus, „ist mir’s doch, wenn der Meister da allmorgendlich sich müht, die eckigen Contouren meines altenglischen Gesichts in einigen Einklang mit Schönheitslinien zu bringen, als arbeite er nicht am Bilde des besten Mannes in unserem Fach in England.“ Und auf unsere abweisenden Aeußerungen fuhr er fort: „Gerade im bedeutsamsten Augenblick des Baues der Britannia-Brücke, auf den die ganze Welt mit Spannung blickte, um dessen glücklichen Verlauf sie mich beneidete, habe ich mich im Herzen tief unter zwei Männern gefühlt, die sie meine Rivalen zu nennen pflegt. Sie Alle wissen, daß nach einer durchaus neuen Baumethode die Röhren der Britannia-Brücke am Ufer zusammengenietet, dann untergraben und bei der Ebbe mit Pontons unterfahren wurden, die, mit Eintritt der Fluth, sie heben und zwischen die Pfeiler auf ihre Lager tragen sollten: Bei wegsinkender Fluth mußten dann die Röhren in den Pfeilern liegen bleiben und sollten später mit hydraulischen Pressen auf ihre bestimmte Höhe, hundert und zehn Fuß über den Meeresspiegel, gehoben werden. Diese Röhren sind die schwerste Masse, die jemals auf der Welt gleichzeitig und maßrichtig von Menschenhand bewegt worden ist. Die auf einmal auf diese Weise zu flößende Masse wog immer volle fünfunddreißig tausend Centner, war dabei lang und im höchsten Maße unbequem zu behandeln. Mißrieth die Flößung, kam die ungeheure Masse nicht, bei einem Fluthengange, correct bis auf den Zoll, auf die rechte Stelle in den Pfeilern zu liegen, so war der Schaden unabsehbar, das Gelingen des gesammten Werks in Frage gestellt. Die ganze Arbeit, deren Zeitdauer sich daher kategorisch auf fünf bis sechs Stunden beschränkte, wurde noch dadurch complicirt, daß bei Eintritt der Fluth im Menai-Canal eine rapide, mit dem Wachsen der Fluth steigende Strömung entsteht, die das Dirigiren des mächtigen Objects auf den rasch dahinfließenden Gewässern zu einer Aufgabe machte, die großes Talent und höchste technische Intelligenz und noch bedeutendere Besonnenheit und Entschlossenheit erforderte. Unglücklicher Weise zerfiel sie noch überdies in drei gleich bedeutsame Theile, die drei gleiche Capacitäten beanspruchten. Eine derselben mußte sich jedesmal auf der schwimmenden Röhre und je eine an den mächtigen Ankerwinden sich befinden, die, von den Ufern her, mit Ketten und Tauen das Flößen der Masse leiteten. Letztere hatten genau den Signalen des auf der Röhre befindlichen Ingenieurs Folge zu leisten. Nicht gern wollte ich meinen besten Zöglingen diese Aemter anvertrauen. Sie waren mir zu lieb dazu. Mißrieth die Lösung der großen Aufgabe, so gab ihnen die Welt Schuld daran, und ihr technischer Ruf war vielleicht für immer compromittirt.

„Ich war in Verlegenheit, die mir keine Nachtruhe mehr ließ. Ich fühlte mich gequält und zerstreut in Augenblicken, die wohl die bedeutungsvollsten meines ganzen Lebens waren. Nun wohl! Vier Tage vor Eintritt der Springfluth, die unsere Röhrenkolosse auf den Rücken nehmen sollte, erschienen meine beiden sogenannten Rivalen, Englands erste Techniker, Isambert Brunel und William Fairbairn, bei mir und boten sich an – nach dem Winke meiner Hand – ihres Rivalen Hand – die Arbeiten an den Ufern zu leiten, meine Ehre durch ihre gewaltige Mitwirkung vor jedem Unfalle zu schützen.“ –

Der Meister schwieg tiefbewegt einen Augenblick, – er erschien mir größer jetzt, wo er, stolze Demuth in den starken Zügen, schweigend auf seinen Teller niedersah, als neulich zwischen den Riesenpranken der Sphinx vor seinem Wunderwerke. – Er selbst unterbrach die Stille, indem er weiter erzählte: „Ich war am Morgen, der um zehn Uhr den Eintritt der verhängnißvollen Fluth bringen sollte, vor Tagesanbruch unten am Ufer des Menaicanals. Es war stürmisch, ich hörte die hohe Brandung durch die Nacht brausen. Weithin brannten auf beiden Ufern die Wachtfeuer und Fackeln, bei denen die Nacht über gearbeitet wurde. Mir lag es schwer auf der Seele. Ich begriff jetzt erst das mir bis dahin Unfaßbare, daß Telford, als man die Gerüste unter den Ketten seiner Hängebrücke wegschlug, sich betend in das Brückenhäuschen, dessen Läden er hatte schließen lassen, zurückgezogen hatte. – Da rief mich eine helle Stimme durch die Nacht an: ,All right! All goes well! Good Morning![1] und ich erkannte Brunel, der schon vom Werkplatz seiner Kapstans kam. Ich bin nicht poetisch, aber ich muß gestehen, der handfeste, kleine, große englische Ingenieur erschien mir in diesem Momente wie ein lichter Engel!“

Wir lachten, die wir Brunel kannten, Stephenson lachte mit und fuhr dann heiter fort:

„Der Augenblick kam, wo die Fluth eintrat. Ich stand auf der zuerst zu flößenden Röhre, die seit Jahr und Tag, seitdem die Arbeit an ihnen begonnen wurde, bergfest auf ihren Werklagern ruhte, volle zwei Millionen Pfund schwer. Todtenstille, auf beiden Ufern, mit ihren Hunderten von Arbeitern, die, Hand am Griff, vor ihren Ankerwinden standen, mit Tausenden zugeströmter Zuschauer. Ich sah Fairbairn wie einen Punkt am Anglesea-Ufer auf seinem Gerüst stehen, unter mir, am Hauptkapstan des Walesufers, stand Brunel, die klugen Augen nach mir heraufgerichtet – Alle todtenstill – nur die steigende Fluth brodelte um die Pontons, in deren gewaltigem Zimmerwerk und Rippen es knackte, knurrte und polterte, je mächtiger das Wasser sie gegen die große Last, die sie heben sollten, preßte.

„Endlich wurde auch dies Prasseln still – sie mußten ihre volle Last haben – ich sah nach der Uhr und den Wassermassen – die Fluth war fast auf ihrer Höhe – die Eisenmasse rührte sich nicht – mir stand das Herz fast still – da plötzlich fühlte ich, wie es wie ein Zittern durch die kolossalen Röhren unter meinen Füßen lief – der eiserne feste Boden wich – und im selben Momente sah ich, wie die Gerüste sich gegen uns verschoben. Die Arbeitsmannschaften brachen unaufhaltsam in unermeßliche Cheers aus, die aus tausend Kehlen weit und breit an den Ufern widerhallten. – Die ungeheure Röhre schwamm!! Rasch packte die Pontons die Fluth – ich gab meine Signale. Meine großen Rivalen folgten dem Wink meiner Hand! Die Fluth spritzte an den angestrafften Tauen und Ketten thurmhoch empor, oder brodelte über die erschlafft in’s Wasser sinkenden mit einer Präcision, als belebe ein einziger Wille die Hunderte von Männern hüben und drüben.

„Ich will Sie nicht mit der Erzählung davon ermüden, es ist bekannt, wie die Röhre ohne Unfall und mit bewunderungswürdiger Genauigkeit, trotz Sturm und Stromschnelle, zwischen die Pfeiler trieb und die sinkende Fluth, sie auf ihren Lagern liegen lassend, lustig die davon gelösten Pontons mit fortnahm, während ich mit Entzücken das Knirschen hörte, mit dem der Koloß sich sicher auf die Steinunterlage bettete. Aber Sie werden verstehen, daß ich mich nie so gehoben und so klein zugleich gefühlt habe, wie damals, als meine Rivalen zu mir auf die Röhre kletterten und mir die Hand drückten.“

Der Meister schwieg, – die Stille begann peinlich zu werden, als Wild plötzlich anhub: „Meister, haben Sie sich denn auch gehörig bei Ihrem Hauptarbeiter bedankt, ohne den die Röhren noch heute im Ufersande lägen?“

„Wen meinen Sie?“ frug Stephenson erstaunt.

  1. Alles in Ordnung! Alles geht gut! Guten Morgen!
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_155.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)