Seite:Die Gartenlaube (1868) 147.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Du willst Urlaub? Das ist ja bei Dir nicht vorgekommen, seid ich Dich kenne. Also bewilligt! Wozu willst Du denn Urlaub?“ setzte der Hauptmann hinzu.

„Es ist eine merkwürdige Geschichte,“ versetzte Friedrich lächelnd. „Ich will in meine Heimathgegend zurück, aus der ich seit so langer Zeit fort bin und die ich kaum je wiederzusehen dachte.“

„Und wozu?“

„Das Wozu ist mir selber räthelhaft. Ich habe da einen kurzen Brief von dem Doctor Rostmeyer bekommen, Herr Hauptmann erinnern sich vielleicht des Namens …“

„Rostmeyer … ich glaube, Du sagtest mir, daß der Mann Dein Wohlthäter geworden, das; er Dir möglich gemacht, die Unterofficiersschule zu besuchen.

„Ganz recht, und derselbe Herr Rostmeyer schreibt mir nun, ich solle unverzüglich mich auf Haus Stromeck einstellen und mit einigen Zeilen von ihm dort legitimiren; die Frau von Thorbach wolle mich sprechen, ich werde das Weitere von ihr hören.“

„Die Frau von Thorbach?“ rief der Hauptmann lebhaft und die Farbe wechselnd aus, „Frau von Thorbach hat mit Dir zu sprechen … und weshalb, worüber, das weißt Du nicht?“

Ueber Friedrich’s gutmüthige Züge flog ein helles Lachen.

„Nein, ich weiß es nicht,“ sagte er, „ich könnte in aller Welt nur Eines denken, was sie mir zu sagen hätte!“

„Nun und was?“ fragte hastig der Hauptmann.

Friedrich sah zu Boden und sagte ein wenig stotternd:

„Ich fürchte, Herr Hauptmann nehmen’s ungnädig …“

„Heraus damit, Friedrich, Du brauchst auch nicht so steif in dienstlicher Haltung dazustehen, wir sind aus einem Dorfe und außer Dienst alte Freunde; also, was wolltest Du sagen?“

„Ich könnt’ mir nur denken, daß die gnädige Frau von mir wissen wollte, wie es meinem Herrn Hauptmann ginge und ob er noch an sie dächte.“

„Das wird das Letzte sein, wofür sie sich interessirt,“ sagte der Officier rasch und mit unwilligem Tone sich von ihm wendend.

Friedrich lächelte wieder.

„Ich glaub’s nicht,“ versetzte er. „Ich kann mir nicht denken, daß sie sich nicht für ihren Gutsnachbar interessiren sollte – Ihr Gut und Stromeck liegen ja keine Stunde auseinander – und einige Aufmerksamkeit haben Sie doch gewiß für Ihre Landsmännin gehabt, als sie im vorigen Winter hier war … ich meine, ich hätte davon gehört,“ setzte Friedrich wie forschend hinzu.

„Du davon gehört?“ fiel der Hauptmann ein. „Possen, Du mußt wissen, daß Frau von Thorbach und ich geborene und geschworene Feinde sind.“

„Feinde?“ fragte Friedrich verwundert.

„So ist es. Kennst Du die Geschichte von den Montecchi und Capuletti?“

„Zu Befehl, nein, Herr Hauptmann!“

„Nun, sieh’, zwischen deren Häusern herrschte eine Todfeindschaft, die sich von Geschlecht zu Geschlecht fortspann. Und so ist es mit den Stromecks und uns Mechtelbecks.“

„Und deshalb hassen Sie die schöne Dame, die so viel Bewunderer hat?“

Der Officier schüttelte den Kopf.

„Ich hasse sie nicht, ich weiß nur, daß sie mich als den Träger meines Namens haßt!“

Friedrich, dem die Dinge überhaupt leicht eine heitere Seite zu bieten schienen, lächelte wieder.

„Wenn Sie’s nicht ungnädig nehmen, Herr Hauptmann, ich glaub’ es nicht!“

„Doch, doch, Friedrich,“ rief der Officier sehr aufgeregt aus. „Sieh’, unsere Väter haßten sich auf’s Blut. Noch auf seinem Todesbette hat mein Vater mir gesagt, daß ihm der Baron Stromeck, der Frau von Thorbach Vater, das Leben vergiftet habe, daß er der einzige Mensch auf Erden sei, den er hasse, und daß er mir seinen Fluch gebe, wenn ich dies je vergessen könne, je eine Gelegenheit, ihn zu rächen, ungenutzt vorübergehen lassen werde.“

„Das war nicht sehr christlich,“ sagte Friedrich, „mir ist’s lieber, daß ich niemals etwas geerbt habe, noch erben werde, als solchen Haß gegen Jemand, der mir nichts gethan hat, oder gar noch gegen seine hübsche Tochter erben zu sollen!“

„Mag sein, mein lieber Friedrich, aber auf Deinen Standpunkt kommt es nicht an. Die Dinge stehen einmal so.“

„Nun ja,“ sagte Friedrich, „dann wär’s aber immer noch möglich, daß die schöne Dame mich fragen will, ob der Rittmeister vielleicht nicht bewogen werden könne, den Haß fahren zu lassen; sie ihrerseits bestände nicht so sehr darauf.“

„Geh’ und höre, was sie Dir sagen will; ich bitte mir nur aus, daß Du meinen Namen nicht in ihrer Gegenwart nennst.“

„Zu Befehl, Herr Hauptmann.“

„Und wenn Du zurückkommst, so melde Dich sofort.“

„Ich werde dem Herrn Hauptmann sogleich berichten, ob die Voraussetzung von dem grimmen Hasse richtig ist,“ versetzte Friedrich wieder lächelnd … „aber lieber wäre mir, statt des Verbots, Ihren Namen zu nennen, eine kleine Instruction, was ich sagen soll, wenn sie mich geradezu nach Ihnen fragt … und,“ setzte Friedrich, aus dem scherzenden Tone, den er sich bis jetzt erlaubt hatte, herausgehend hinzu, denn der Officier zog seine Stirnfalte kraus, „und eine kleine Instruction, wie ich mich denn überhaupt zu betragen habe; ich habe noch in meinem ganzen Leben nicht mit einer vornehmen Dame gesprochen und es ist mir ein wenig beklommen dabei zu Muthe, um es aufrichtig zu gestehen.“

„Wie Du Dich betragen sollst? … nun, wie ein tapferer Soldat; Du kannst etwas weniger steif und reglementmäßig dastehen, als Du jetzt thust, und reden kannst Du, wie Du mit mir redest, wenn wir nicht im Dienst sind, sondern als zwei gute Cameraden aus einem Kirchspiel, die in des Königs Rock fast mitsammen aufgewachsen sind, zusammen plaudern. Das wird ihr am besten gefallen. Die Mütze mußt Du abnehmen, ich denk’, das weißt Du selber, und – nun sieh, wie Du Dich aus der Affaire ziehst und Deinem Corps Ehre machst. Also, geh’ und höre, was sie Dir zu sagen hat; wir werden ja sehen, was es ist!“

Friedrich legte die Hand an die Mütze und machte Rechtsumkehrt. Als er gegangen, sprang der Officier auf und rannte in auffallender Erregung in seinem Zimmer auf und ab.

Das Gespräch mit Friedrich hatte in seinem Herzen grausam den wunden Fleck, die thörichte, aber nicht zu bezwingende Leidenschaft für die einzige Frau in der Welt, die er nicht hätte lieben sollen, berührt. Sein Vater hatte ihn im Hasse wider den Namen Stromeck auferzogen. Dann war der Vater gestorben und hatte sein Besitzthum sehr verschuldet hinterlassen. Der junge von Mechtelbeck war, während die Vormünder die Schuld abzutragen sorgten, in der fernen Residenz in Militärschulen für seinen Beruf auferzogen; seine Mutter war mit ihm in die Residenz gezogen und lebte noch dort; er selbst, mit Leib und Seele Soldat, dabei mit einem eisernen Fleiße begabt, hatte sich rasch befördert gesehen, aber über seinem Interesse für den Dienst gänzlich sein Stammgut vernachlässigt, das er unter guter Hut wußte und, in seinen Bedürfnissen anspruchlos, wie er war, sich ungestört aus der Verwirrung loswickeln ließ, in welcher sein Vater es hinterlassen.

So kam es, daß er Agathe von Stromeck, die jetzt die junge Wittwe eines vor einigen Jahren gestorbenen Legationsrathes von Thorbach war, weder als Knabe noch später je gesehen. Erst als seine jüngste Beförderung ihn in die Provincialhauptstadt brachte, in welcher sie den Winter verlebte, sah er sie; schon der Gedanke, daß er diese Frau hassen solle, ließ sein Auge mit doppeltem Interesse auf ihr ruhen, und dabei entdeckte dies Auge eine solche Anmuth, einen solchen Reiz, etwas so Verführerisches in der hübschen, lebhaften, vielumworbenen Frau, daß sein ganzes Herz den Blicken nachflog. Aber ach, er war ja nicht der, welcher sich unter die Werber, die Frau von Thorbach umringten, drängen durfte! Der Gedanke, bei ihr auf den unverhohlenen Ausdruck der Gesinnungen, welche sie gegen ihn hegen mußte, zu stoßen, war etwas so Schmerzliches, daß seine scheue Natur sich nicht zu dem Entschluß aufraffte, es auf die Erfahrung ankommen zu lassen, nicht zu dem Versuch, ob jene Gesinnungen nicht zu überwinden seien. Dazu war Frau von Thorbach ja stets so umringt, eine Schaar von Bewunderern umgab sie; Frau von Thorbach war reich, sehr reich, es war nicht möglich, sich ihr zu nähern, ohne einen Schein auf sich zu laden, wider den der Stolz des Hauptmanns von Mechtelbeck sich hoch aufbäumte und empörte … und so kam es, daß er ihr fremd und fern geblieben, daß er der einzige Mann in der Gesellschaft geblieben, der Frau von Thorbach nicht huldigte.

Der Hauptmann von Mechtelbeck aber war durch seine äußere

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_147.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)