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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

ehelicher Treue, sondern geradezu vom Gegentheil sprachen. Dadurch ward er bewogen, mir zu schreiben; der arme alte Mann bat mich um Verzeihung, und ich reiste mit meiner Adele hin zu ihm. Mein guter Oheim hat mich vor einiger Zeit in seinem Testament zum Haupterben erklärt und mir schon bei Lebzeiten ein schönes Landhaus in der Normandie abgetreten. Ich hoffe, Sie werden mich im Laufe des Sommers mit Madame Wilhelm besuchen, denn Sie, mein lieber Freund, blieben mir getreu zu einer Zeit, wo alle andern mich verlassen hatten.“

„Und, wenn ich es wissen darf!“ frug mein Landsmann, „wie eroberten Sie Ihre reizende Frau, und welch’ ein Glück widerfuhr Ihnen schon vor der Aussöhnung mit Ihrem Oheim?“

„Das sollen Sie hören, denn Sie werden nicht davon sprechen. Sie erinnern sich wohl noch jenes schönen Lenztages, wo wir einander in den Tuilerien begegneten?“

„Wo jener Unbekannte, Herr L., Sie aufgriff?“ lachte ich.

„Richtig. Nun, der Mann sagte lebhaft aufgeregt: ‚Mein Herr, ich habe eine Bitte, Sie dürfen sie mir nicht abschlagen.‘

‚Und worin besteht dieselbe?‘

‚Begleiten Sie mich nach meiner Wohnung, dort sollen Sie Alles erfahren.‘

„Ich muß gestehen,“ fuhr Dumarsais fort, „daß diese Forderung mich frappirte. Kurz angebunden erwiderte ich: ‚was soll ich in Ihrer Wohnung? Ich habe keine Lust Abenteuer zu bestehen.‘

‚Aber lieber Herr, es handelt sich ja nur um ein Geschäft, ein solides, ich denke, daß Sie es nicht von der Hand weisen werden. Folgen Sie mir nur; ich wohne Rue Rivoli, also ganz in der Nähe.‘

Jetzt war ich neugierig geworden. Was konnte mir in einer so belebten Straße am hellen Tage geschehen? Uebrigens hatte ich ja auch meinen Stockdegen bei mir. So ging ich denn mit dem Manne, welcher mich in seine Wohnung führte, in ein reizendes Cabinet, das ein Künstler bewohnen könnte. Hier nannte er sich mir, zog einen langen Papierstreifen aus der Tasche, nahm mein Maß und verschwand, um bald nachher mit einem höchst eleganten Anzuge zurückzukehren.

‚Erzeigen Sie mir die Gunst, diesen Anzug anzulegen –‘

‚Aber, Herr L., wozu soll –?‘

‚Sie werden Alles erfahren, sobald Sie angekleidet sind.‘

Hierauf ergab ich mich in mein Schicksal und vertauschte meine abgetragenen Kleider mit den neuen. Als ich fertig war mit Ankleiden, führte Herr L. mich vor einen großen Spiegel und sagte stolz: ‚Nun, mein Herr, wie sehen Sie jetzt aus?‘

‚Ich sollte meinen, nicht ganz übel.‘

‚Was? Wie ein junger Gott! Dazu Ihr Anstand, Ihre Art, sich die Handschuhe anzuziehen, man sollte schwören, Sie wären von Adel oder ein Künstler!‘

‚Das Letztere zu sein, kann ich mich nicht rühmen, aber das Wörtchen ‚de‘ darf ich vor meinen Namen setzen.‘

‚Sie entzücken mich, Herr von –‘

‚Dumarsais,‘ schaltete ich ein.

‚Ah, jetzt weiß ich, ließ Ihr Herr Oheim nicht bei R. arbeiten?‘

‚Allerdings.‘

‚Haha, das ist ja köstlich! Hat keinen Geschmack, dieser R. Nun weiß ich auch, daß – daß – verzeihen Sie, Herr von Dumarsais, daß Sie nicht reich sind.‘

‚Leider muß ich sagen: so ist es!‘

‚Nun, desto besser für mich; erzeigen Sie mir die Ehre, eine Flasche Wein mit mir zu trinken, wir können dabei den Contract entwerfen.‘

‚Wein will ich mit Ihnen trinken, aber was wollen Sie mit einem Contract, Herr L.?‘

Der Wein stand auf dem Tisch, Schreibgeräth daneben, Herr L. schenkte mir ein, dann sich und fing an zu schreiben. Es ging ihm gut von der Hand und bald las er mir Folgendes vor:

‚L., Directeur des Kleidermagazins, in der Rue Rivoli, und Herr von Dumarsais schließen freiwillig nachstehenden Vertrag: Herr L. liefert Herrn von Dumarsais ein Jahr hindurch unentgeltlich jeden Monat oder, wenn es Herr L. für gut findet, noch öfter einen vollständigen neuen Anzug nebst dazu gehöriger Wäsche; dafür verpflichtet sich Herr von Dumarsais, diese Anzüge täglich zu tragen, bei schönem Wetter mehrere Stunden sich auf den besuchtesten Plätzen und Promenaden zu zeigen, die ersten Kaffeehäuser zu besuchen und wöchentlich zwei bis drei Mal in den ersten Hotels zu diniren. Ferner verpflichtet sich Herr von Dumarsais, bei schönem Wetter im Boulogner Wäldchen zu reiten und sich mit andern jungen Herrn von Stande bekannt zu machen. Da Jeder, der Geschmack hat und etwas vom Anzug versteht, sich nach dem Magazin erkundigen wird, aus welchem Herr von Dumarsais seine Garderobe entnimmt, so hat derselbe das L.’sche zu nennen, als solid und billig zu preisen und seine Freunde zu Herrn L. zu führen. Zur Bestreitung seiner Ausgaben empfängt Herr von Dumarsais monatlich fünfhundert Franken.‘“

Wilhelm und ich lachten laut.

Dumarsais stimmte herzlich in dieses Gelächter ein und fuhr fort: „Ich lachte damals auch und fragte Herrn L-, ob er klug sei?

‚Vollkommen!‘ entgegnete er. ‚Mein gefährlichster Concurrent, Herr R., hat mir meine besten Kunden entzogen durch Reclamen aller Art. Ich habe es herausgebracht, daß er einige Künstler von Ruf bestochen hat, seine mittelmäßige Arbeit zu tragen und zu empfehlen. Da kam ich auf einen sublimen Gedanken, ich‘“ – hier lächelte Dumarsais, strich seinen zierlichen Schnurrbart und fuhr mit drolliger Bescheidenheit fort – „‚suchte mir einen jungen, tadellos schönen Mann; in Ihnen, Herr von Dumarsais, habe ich denselben gefunden. Ihre schlanke Gestalt wird meine Anzüge in das gehörige Licht stellen, und da Jeder eitel ist, so denkt auch Jeder, daß ich im Stande bin, durch Kleider, die aus meinem Atelier hervorgegangen sind, seine Figur zu verschönern. Schlagen Sie mein Anerbieten nicht aus, Herr von Dumarsais!‘

Nun, ich nahm es an, ging und ritt spazieren in den schönen Anzügen, führte Herrn L., der sich zwar Director nennt, aber selbst zuschneidet und sein Handwerk gründlich versteht – viele Kunden zu und lernte in einer Gesellschaft, in der mir meine glänzende Garderobe Einlaß verschaffte, meine Adele kennen. Sie liebte mich; daß ich arm war, machte ihre Liebe zu mir nicht schwächer.

Ich errang ihre Hand und kündigte Herrn L. an, daß ich Paris verlassen und den Contract, vier Monate vor Ablauf, lösen müsse. Er war sehr betrübt und weigerte sich auch das Geld zu nehmen, das ich ihm zurückerstatten wollte. Erst seit ich ihm versicherte, daß ich jetzt reich sei, ließ er sich einige tausend Francs von mir zurückzahlen, denn ich habe ihn gestern besucht.“

„Und wie geht es dem speculativen Manne?“

„Vortrefflich; alle Kunden, welche ich ihm zugeführt habe, sind ihm geblieben, da seine Arbeit gut ist; auch hat er jetzt einen berühmten Sänger zum Lockvogel gefunden, und da er oft bei schönem Wetter spazieren geht, wird er schon wieder einen jungen Mann auftreiben, welcher ihm würdig scheint, seine Erfindungen zur Schau zu tragen.“

„Nun?“ sagte Wilhelm und sah mich mit schelmischem Lächeln an.

„Du hast Recht, mein Freund, mit Deinem Spruch; freilich ist in Paris nicht Alles Gold, was glänzt, aber bei Alledem: Paris ist die chancenreichste Stadt von der Welt, wie Du sagst.“



Kleiner Briefkasten.

Dame in Cosel. Ihre hübschen Gedichte haben an der betreffenden Stelle sehr freundliche Aufnahme gefunden. Leider müssen wir Ihnen zugleich mittheilen, daß E. Marlitt durch ein anhaltendes Unwohlsein an der Vollendung der neuen Erzählung: „Reichsgräfin Gisela“ noch behindert ist – wir hoffen nicht lange mehr.

An unsere Leser. Bitte, bitte, hören Sie auf zu segnen! Die Fluth der auf unsere „Rechenaufgabe“ in Nr. 7 der Gartenlaube einlaufenden Auflösungen schwillt zu solcher Höhe an, daß wir nicht mehr Zeit und Hände genug haben, um die betreffenden Briefe und Telegramms – denn auch solche sind gekommen! – zu öffnen. Daß sich unser Exempel wegen seiner Leichtigkeit zu keiner Preisaufgabe eignete, wußten wir übrigens im Voraus; wir gaben es nur, weil wir glaubten, die einkleidende Form des Scherzes werde unsere Leser nicht minder ansprechen, als sie uns selbst ansprach.

D. Red.


Inhalt: Ein Wort. Novelle. – Der Lehrer eines großen Schülers. Mit Illustration. – Der Pfadfinder im Hochgebirge. – Der moderne Prometheus auf der Anklagebank. Eine geschichtliche Scene von Ludwig Storch. – Nachtfeste der Lagunenkönigin. Von Friedrich Hofmann. Mit Illustration. – Pariser Bilder und Geschichten. Wie man in Paris sein Glück macht. – Kleiner Briefkasten.

Quittung der eingegangenen Beiträge für Ostpreußen in nächster Nummer.

Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_144.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)