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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

königlichen Partei waren natürlich schlechte, nichtswürdige, verrätherische Subjecte; denn ein ehrlicher Mensch gab sich nicht zum Handlanger einer Böses sinnenden Regierung her. Die frechsten dieser saubern Herren waren Hutchinson und Oliver, Statthalter von Pennsylvanien und Massachusetts. Dies waren die ältesten englischen Niederlassungen, hier war auch der erste Heerd der Freiheit und hierher waren zumeist die argwöhnischen Blicke der Regierung gerichtet, um die Funken desselben zu ersticken. Sie hatte dazu die gewaltthätigsten Menschen gewählt und glaubte Wunder wie trefflich diese Wahl sei. Die beiden Herren ließen es denn auch nicht fehlen, sich in ihren einflußreichen Aemtern im Sinne des Königs und der Parlamente aufzuführen. Sie verschworen sich gegen die Verfassung und beantworteten jede Klage über Unrecht und Gewaltthat mit Hohn und Verachtung.

Die also gemißhandelten Provinzen wählten einen schlichten, ehrlichen Bürger zu ihrem Anwalt, durch welchen sie ihre gerechten Klagen über Verfassungsbruch, Rechtsverletzung und Gewaltthat vor den Thron zu bringen beschlossen. Dieser Mann war bereits achtundsechszig Jahre alt, aber ein nüchternes, geschontes und thätiges Leben hatte ihn an Körper und Geist kräftig und jugendlich erhalten. Dabei besaß er wegen großen Rechtssinnes, wegen Bravheit, Einsicht in die öffentlichen Angelegenheiten und strenger Loyalität die allgemeine Achtung seiner Mitbürger und war von diesen zu dem Ehrenamte eines Agenten der Provinzen Pennsylvanien, Massachusetts, Newjersey und Georgia berufen worden. Seines Gewerbes war er Buchdrucker, er hatte sich jedoch durch Selbststudium einen Namen als Gelehrter und Naturforscher erworben, der auch in Europa Geltung besaß, und bekleidete das Amt eines Postmeisters in Boston, seiner Vaterstadt. Doch ich muß endlich den Namen – den unsterblichen! – nennen: der Mann war Benjamin Franklin. Es gab in den ganzen Colonien kein passenderes Individuum für ein so heikliges Geschäft; denn Franklin war der besonnenste, ruhigste, gesetzlichste und ehrwürdigste Mann. Er hatte in London als Buchdrucker gearbeitet, war auch schon ein paarmal als Agent dort gewesen, um die Differenzen zwischen der Regierung und den Colonien auszugleichen, und kannte die Verhältnisse im Allgemeinen. Seinem Vaterlande (Massachusetts) mit anspruchsloser Liebe ergeben, bewahrte er auch dem Könige unerschütterliche Treue.

Franklin faßte die Klagschrift mit der gewandten und umsichtigen, parteilosen Feder ab, die ihn schon längst zum beliebtesten Schriftsteller Amerikas gemacht hatte, und übersandte das Document dem Könige. Er hatte darin mit leidenschaftloser Würde um die Entfernung der Herren Hutchinson und Oliver petitionirt. Hierauf erhielt er eine Vorladung vor den geheimen Staatsrath und reiste mit seinen Vollmachten nach London. Die Petition hatte in den maßgebenden Kreisen der Hauptstadt böses Blut und ungemeine Aufregung gemacht, und als Franklin sich meldete, erfuhr er, wie erbittert der König, der Hof, das Ministerium und das Parlament gegen ihn seien. Auch war ihm der Alles beherrschende, schier allmächtige Einfluß der genannten Gewalten auf die öffentliche Meinung nicht unbekannt, und er mußte erwarten, daß ganz London, vom Könige bis zum Straßenkehrer, gegen ihn und seine Sache in Schlachtordnung standen. Er wußte das Alles, aber er zagte nicht.

Zu Ende des Jahres 1773 war er nach London gekommen, zu Anfang des folgenden Jahres erhielt er die Weisung, am 29. Januar vor dem geheimen Staatsrath zu erscheinen, um seinen Antrag zu begründen. Am bezeichneten Tage stellte er sich mit zwei Rechtsbeiständen, den berühmten Sachwaltern Dunning und John Lee, vor dem hohen Gerichtshof und beantragte mündlich noch einmal mit Gründen die Entfernung Hutchinson’s und Oliver’s von ihren Stellen als Gouverneure von Pennsylvanien und Massachusetts.

Mit außerordentlicher Spannung hatten sowohl die Mitglieder des geheimen Staatsraths als auch das intelligente Publicum dieser Verhandlung entgegengesehen; fünfunddreißig Lords waren zugegen, eine größere Anzahl, als jemals einem solchen Verhör beigewohnt hatte, und der Zuhörerraum des Saales war dicht gedrängt voll Menschen.

Dunning hatte den Vortrag für Franklin übernommen und sprach gut und den Gegenstand klar beleuchtend. Für die angeklagten Gouverneure traten der Anwalt Israel Mauduit, der alte Feind der Anglo-Amerikaner und Anrather der berüchtigten Stempelacte, und der Generalanwalt Wedderburne auf. Dieser, allgemein als Rabulist, Rechtsverdreher und schlechter Mensch bekannt, drehte die Sache in seiner pathetischen Rede so, als ob Franklin als Angeklagter hier vor Gericht stände, und übergoß ihn und die von ihm vertretenen Petenten mit einem schmutzigen Strome der ärgsten Schmähungen und Verdächtigungen. Seine ganze Rede war ein ununterbrochenes Gewebe von Lüge, Verleumdung, Falschheit, Frechheit und unerwiesenen Beschuldigungen. Franklin, ehrwürdig wegen seines Alters, seiner Rechtlichkeit und Sittlichkeit, seines reinen Wandels und seiner Loyalität, so wie wegen seines Ehrenamtes als erwählter Vertreter seines Vaterlandes, wegen seines Talentes als allgemein beliebter Volksschriftsteller und endlich wegen seines Ruhmes als wissenschaftliche Autorität (die ganze Welt feierte ihn als Erfinder des Blitzableiters), dieser so vielfach Ehrwürdige wurde öffentlich vor dem höchsten Gerichtshof des Landes vom Generalanwalt unter dem Hohngelächter und Zujauchzen der hochadeligen Beisitzer wie ein nichtswürdiger Bube behandelt.

Wedderburne zog auf die abgeschmackteste, ja widersinnigste Weise eine Parallele zwischen Hutchinson und Sejanus, dem gewaltthätigen Günstling des verächtlichen Kaisers Tiberius, zwischen Boston und Capri, zwischen der bescheidenen Petition der Legislatur von Massachusetts und einer schwülstigen Epistel des Tiberius. Und die Lords bemerkten den Unsinn nicht. Den schlichten Franklin, dessen Charakter Güte, Wohlwollen, Menschenliebe war, schilderte er als ein Ungeheuer von überlegtester Bosheit, der im Leben das übe, was die Phantasie des Dichters bis jetzt blos in die Gedanken eines blutdürstigen Afrikaners gelegt habe; ihn, den weisen Greis, der seit zwanzig Jahren seine wunderbare Fähigkeit als Versöhner und Vermittler zwischen der Regierung und den Colonien aufgeboten und auch nicht ein einziges Mal die ihm zu Gebot stehende amerikanische Presse benutzt hatte, um das mit dem schreiendsten Unrecht behandelte Volk seines Vaterlandes aufzureizen, sondern vielmehr die ungesetzliche Besteuerung Amerikas durch das Parlament durch schriftliche und mündliche Vorstellungen in London (als Beauftragter der Colonien) bei den Ministern und andern einflußreichen Personen, durch wahrheitsgetreue Angaben und Schilderungen vor dem Unterhause und durch den besten Rath als wahrer Freund beider Länder zu verhindern gesucht hatte, – einen solchen Mann bezeichnete nun vor den höchsten Richtern des Staates in einem öffentlichen Rechtsact ein gewissenloser Generalanwalt als „echten Aufwiegler“! Und diese Richter, diese Lords des Staatsrathes, diese Corporation, welche auf die höchste Ehre und Achtung Anspruch machte, welche behauptete, hier als Appellhof für die Colonien zu Gericht zu sitzen, ermunterte den ohnedies unverschämten Vertheidiger der beklagten Partei zu immer größeren Schmähungen eines ehrenwerthen öffentlichen Gesandten, welcher blos als Ueberbringer der Petition einer großen und loyalen Colonie vor ihnen stand, durch Gelächter, Witzworte und den Ruf: hört! hört! Und doch verachtete ihn der König, auch in dessen Sinne dieser Wedderburne sprach, doch verachteten diese zustimmenden Lords ihn als einen schlechten Menschen, doch wußten der König und die Lords des Staatsrathes, welch’ ein edler, trefflicher und allgemein geachteter Mann Benjamin Franklin war, doch wußten sie, daß der große deutsche Philosoph Immanuel Kant ihn wegen seiner Erfindung des Blitzableiters den „modernen Prometheus“ genannt hatte! Und der moderne Prometheus im weißen Haare stand ruhig aufrecht in der Sturmfluth der Verleumdung, die seiner Ehre den Todesstreich zu versetzen suchte. Seine beiden Rechtsbeistände waren durch die maßlose Bosheit Wedderburne’s so bestürzt, daß sie kaum etwas Erkleckliches vorbringen konnten. Dunning war so unwohl geworden, daß man seine Worte gar nicht verstand. Es würde aber auch die beste Vertheidigung von ihrer Seite dem verleumdeten Greise nichts gefruchtet haben, denn der Bericht der Lords war schon vor der Sitzung fertig gewesen und wurde sofort unterzeichnet. Sie ließen das ihrer Meinung nach niedergeschmetterte Opfer der Gewalt liegen und gingen stolz und in gehobener Stimmung davon, wie Fox später sagte, „nahe daran vor Freuden die Hüte in die Luft zu werfen, als ob sie durch die heftige und beredte Philippika gegen den ehrwürdigen Franklin einen Triumph erlangt hätten“.

Doch auch Franklin verließ den Schauplatz dieser beispiellosen Gemeinheit ruhig und gefaßt, getragen vom Freispruch eines guten Gewissens. „Niemals,“ sagte er, „habe ich die Macht eines guten Gewissens so lebhaft gefühlt wie an diesem Tage;

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