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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

und Stärke zu erkennen gab, so hatte er sicher auch an Winckelmann’s Schrift „Versuch einer Allegorie, besonders für die Kunst“ wesentlichen Antheil. Zwei Jahre vor Goethe’s Ankunft in Leipzig endlich war Oeser dem durch Hagedorn und Weiße vermittelten Rufe als Professor der allgemeine Kunstakademie nach Leipzig gefolgt und sah sich hier bald zugleich als Director der Zeichenakademie und als Maler hochgefeiert. Sein heiteres und lakonisches, derbes und doch gewandtes Wesen, vor Allem aber sein reicher Geist hatten den jungen Goethe, welcher Privatunterricht im Zeichnen bei ihm nahm, gleich beim ersten Begegnen sehr angezogen. Die Akademie, wie die Wohnung des Directors, befanden sich in der durch Mauern, Wälle und Gräben befestigten Pleißenburg. Im hohen Alter erinnert sich der Dichter noch genau der Oertlichkeit, weil sie ihm wundersam, ahnungsvoll und reizend war, weil er in ihr die bedeutendsten Anregungen empfangen hatte. Die heitere Wendeltreppe, die hellen, geräumigen Säle, der dunkele Gang mit dem Kornboden, die Wohnung mit den Bildern, Büchern, Kunst- und Naturaliensammlungen, die eleganten, doch einfachen Möbeln und Portefeuilles – Alles wird uns mit der bekannten plastischen Erzählungsgabe in „Wahrheit und Dichtung“ dargestellt.

Unter den Mitschülern Goethe’s, deren dieser in späteren Briefen oft grüßend gedenkt, waren auch der nachmalige Staatskanzler von Hardenberg, von Lieven und Gröning; von anderen Freunden, die im gastfreien Hause des jovialen Meisters fleißig verkehrten, sind besonders Weiße, Huber und Kreuchauff zu nennen. Die Seele der Gesellschaft aber war die aufgeweckte älteste Tochter Oeser’s, Friederike, der muthwillige Liebling des Vaters, wie der Kunstfreunde, die dann im Sommer auf dem freundlichen Landsitze des Meisters in Dölitz zu ungezwungener Heiterkeit zusammenkamen. Hier wandelte über die anmuthigen Pleißenwiesen, durch Feld und Wald auch der junge Goethe an der Seite des Mädchens, hörte gern auf ihr gesundes Urtheil und unterwarf ihm, dem bald strengen, bald neckischen, seine eigenen Dichtungen. Die Freundin war die Vertraute der Schwärmereien und Launen, mit denen er das geliebte Käthchen der Schönkopf’schen Weinstube feierte und heimsuchte. Zu Friederiken floh er, um sein Herz zu erleichtern und zu befreien, wenn ihn Liebe und Eifersucht quälten, aber auch ihr unbarmherziges Gelächter erging über ihn, als er an einem tödtlichen Lungenübel zu leiden glaubte. Sie curirte gründlich die eingebildete Krankheit und verstand es vortrefflich, dem verzagenden Freunde den Kopf zurecht zu setzen. Später, nach seiner ihm so schwer gewordenen Abreise, fühlte er sich unglücklich, beklagte sich über die Frankfurter Schönen in einem langen poetischen Briefe an Friederike und schildert diese darin am besten selbst:

„Du lieber Gott! an Munterkeit ist hie
An Einsicht und an Witz Dir keine Einz’ge gleich,
Und Deiner Stimme Harmonie
Wie käme die heraus in's Reich!

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So ein Gespräch, wie unsers war im Garten

Und in der Loge noch, mit diesem selt'nen Zug
So aufgeweckt und doch so klug,
Ja, darauf kann ich warten! …

Ja, denken müßt Ihr oft an mich, das sage

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Ich Euch, besonders an dem Tage,

Wenn Ihr auf Euerm Landgut seid,
Dem Ort, der mir so manche Plage
Gemacht, dem Ort, der mich so sehr erfreut.

Doch Du verstehst mich nicht, ich will es Dir erklären,

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Ich weiß doch, Du verzeihst es mir:

Die Lieder, die ich Dir gegeben, die gehören
Als wahres Eigenthum dem schönen Ort und Dir …

Am Tage sang ich diese Lieder,
Am Abend ging ich wieder heim,

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Nahm meine Feder, schrieb sie nieder,

Den guten und den schlechten Rei.“


Die echten Stimmungslieder, welche er hier erwähnt, sind höchst merkwürdig als die ersten Drucke von Gedichten Goethe’s. Sie erschienen 1770 in Leipzig bei Bernh. Christoph Breitkopf und Sohn ohne seinen Namen, unter dem Titel: „Neue Lieder in Melodien gesetzt von Bernh. Theodor Breitkopf“. Handschriftlich, vom Drucke abweichend, mit der Widmung an Friederike Oeser, werden sie in der bekannten einzigen Goethe-Bibliothek in Leipzig aufbewahrt. Gedruckt erschienen sie ohne diese Widmung, vermuthlich weil freie Stellen der Lieder der mädchenhaften Kritik anstößig erschienen waren. Das zwanzigste, letzte, Lied „Zueignung“ beginnt:

„Da sind sie nun! Da habt ihr sie!
Die Lieder ohne Kunst und Müh’
Am Rand des Bachs entsprungen.
Verliebt, und jung, und voll Gefühl
Trieb ich der Jugend altes Spiel,
Und hab’ sie so gesungen.“

Poetische Huldigungen an die Sängerin Corona Schröter und die Schauspielerin Karoline Schulze sind mit unter die ersten Dichtungen zu zählen, welche Goethe nach genußreichen Theaterabenden durch die Leipziger Presse veröffentlichte; endlich gehören auch seine ersten Lustspiele „die Laune des Verliebten“, in der siedenden Leidenschaft zu Käthchen Schönkopf entstanden, und „die Mitschuldigen“ derselben Periode an.

Seit Gottsched und die Neuberin den Grund zur künstlerischen Entwickelung der deutschen Schaubühne ebenfalls in Leipzig gelegt hatten, stand das Schauspiel besonders in den sechsziger Jahren unter Koch’s tüchtiger Leitung in hoher Blüthe. Unter diesen Umständen nahm Goethe großes Interesse an der Bühne, wie noch besonders am neuen Theaterbau, der sich auf der Ranstädter Bastei erhob und eben seiner Vollendung nahe war. Oeser’s gute Rathschläge in Sachen des Geschmacks wurden wohl dabei benutzt; einige Decorationen, und vor Allem der berühmt gewordene Bühnenvorhang, waren seiner Künstlerhand übertragen worden. Dem alten Grundsätze des Simonides, daß die Malerei eine stumme Dichtkunst sei, standen Winckelmann und namentlich Oeser nicht fern, es konnte also der Vorhang nichts Anderes als erdichtete Bilder haben, er konnte nur eine große Allegorie sein, was er denn auch der Composition nach war. Zwei Säulengänge umschlossen den runden Vorhof des Tempels der Wahrheit, mit der unverhüllten Göttin. Bronzene Statuen des Sophokles und Aristophanes schmückten vorn den Eingang zum Vorhofe. An der Statue des ersteren legte Melpomene, die tragische Muse, einen Kranz nieder; Aristophanes – auf unserm Holzschnitte sichtbar – wurde von Thalia, der heiteren Muse, mit Blumengehängen umwunden, Terpsichore und scherzende Liebesgötter waren ihr dabei behülflich, Zwischen Gruppen, von anderen alten und neueren Dichtern gebildet, schritt Shakespeare, – nach der Idee des Malers – unbekümmert um die großen Vorbilder, ohne Vorgänger und Nachfolger, auf seine eigene Hand der Unsterblichkeit, dem Tempel, entgegen. In den Wolken aber thronten die Grazien, von denen zahlreiche ungeflügelte Genien den Dichtern Lorbeerkränze herabbrachten.

Die Malerwerkstatt war auf dem Boden des Theaterhauses eingerichtet, wo der Meister Besuche von Künstlern und Freunden empfing. Häufig fand sich der junge Wolfgang da ein, das fortschreitende Kunstwerk bewundernd, und es war eben ein glücklicher Tag, da Oeser von Freund Wieland die ersten Aushängebogen des Musarion empfangen hatte und sie dem strebenden Schüler mittheilte, der darin die Antike neu lebendig wiederzusehen glaubte und mit Begeisterung das Werk dem arbeitenden Maler vorlas, wie einen solchen Moment unser Bild darstellt. Unter dem Eindruck geistreicher Unterhaltung war endlich der Vorhang vollendet worden und fand, eine Zierde des neuen Hauses, die Bewunderung von Leipzigern und Fremden bei der im October 1766 mit Schlegel’s „Hermann“ erfolgenden Eröffnung.

Die Theilnahme des Publicums war eine außerordentliche. Der Unternehmer Koch machte jetzt, sowie in der Folge mit den beliebten Operetten des Kinderfreundes Chr. Felix Weiße, zu denen Adam Hiller die angenehme Musik componirte, glänzende Geschäfte, bis er zwei Jahre später dem Rufe nach Weimar folgte, von wo er dann nur zu den Messen nach Leipzig kam.

Zahlreiche anderweitige Werke Oeser’s bestanden in Bildern für die Kirche, in Deckengemälden für die öffentlichen und die Säle der reichen Privatleute, endlich in Zeichnungen zu Kupfern und Vignetten für Bücher. Nicht in großen klaren Contouren, sondern mehr in vertriebenen Umrißlinien, nicht in die Tiefe, sondern mehr in Flächen leicht und licht arbeitete er seine besonders in weiblichen und Kinderfiguren reizvollen Bilder, die vom Zeitgeschmack hochgeschätzt wurden. Sein Schwiegersohn Geyser, wie auch Stock, verstanden trefflich nach seinen Zeichnungen in Kupfer zu stechen. Bei Letzterem versuchte sich auch Goethe im Aetzen und Radiren. Zu dem fleißigen, närrischen Kupferstecher mit den munteren Kindern Minna und Dora, in die Mansarde des neuen silbernen Bären Breitkopf’s, kam der kunstliebende Student oft

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_134.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)