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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 9.   1868.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Wort.


1.

Unser Schauplatz ist eine große Bauernschaft, wohl eine kleine Stunde lang. Es gehören zwei Rittergüter dazu, die an den entgegengesetzten Enden liegen, Haus Stromeck, das einer verwittweten Frau von Thorbach gehört, und Haus Mechtelbeck, dessen Besitzer in der nächsten Provincialhauptstadt als Officier lebt und sehr selten nach seinem Eigen zu schauen kommt. Dann gehören sehr große Bauernhöfe dazu und viele kleinere, ganze Erben und halbe Erben und Kotten.

Zu den größten zählt der Herbothof; der Bauer darauf hat ihn vor Jahren gekauft, er schreibt sich seitdem Hendrick Herbot, geborener Schulte Willhering. Er ist ein rascher, etwas hitziger Mann, auch wohl ein wenig zäh und gerieben, aber nicht störrischer und hartköpfiger, als es einem richtigen Bauer zukommt.

Und ein glücklicher Mann muß Bauer Herbot sein. Sein Haus steht, wie es allein gescheidt und vernünftig ist, mitten in seinem Besitzthum. Vor den Seitenthüren liegen links der Garten und rechts der Obstgarten mit Gaden und Backhaus darin; er hat beide Gärten sich just so groß abzäunen können, wie ihm irgend beliebt hat; hinter dem Hause ist der Bleichplatz am Bache, und jenseits des Baches liegen die Wiesen, und im Kranz darum herum die Holzung. Vor der Niederthür aber erstreckt sich das weite Feld für Sommer- und Winterfrucht, ein guter, gemischter Boden, der eine Mittelsorte Weizen, in nicht zu trockenen Jahren dagegen vortrefflichen Roggen trägt.

Erzählt man dem Bauer Herbot, daß nach altdeutschem Gesetz des Hofbesitzers Recht an die Mark so weit gehe, wie er den Hammer schleudern könne, so muß er herzlich lachen … er müßte zwanzig Mal den Hammer schleudern, um an seine nächste Grenze zu kommen.

An der langen Tenne sind die Viehstände rechts und links mit wohlgenährtem Rindvieh besetzt; in der wie eine Halle großen Küche glänzt das Geschirr und hängen an den Wihmbalken die reichen Wintervorräthe, und so viel ist gewiß, die alten Classiker, welche das Glück des Landmanns gepriesen haben, hätten in der Küche des Herbotbauern nur aufzuschauen brauchen, um vom Werth ihrer Philosophie durchdrungen zu werden.

Wer jedoch nicht ganz davon durchdrungen schien, das war der Bauer selbst, so schön auch eben gerade sein ländliches Heim dalag, denn eine warme, dem Westen sich zuneigende Nachmittagssonne strahlte zwischen goldumsäumten Wolken hindurch auf sein dunkles, altes Strohdach, und indem sie die Laubpartien der weitgeästeten Eichenwipfel, welche es umschatteten, auf’s Malerischste hervortreten ließ, schien sie sein Haus vergolden, es ihm in seinem ganzen Glanze zeigen zu wollen. Man konnte in der That nichts Idyllischeres, nichts, was mehr von einer stillen und friedenathmenden Poesie umwoben wäre, sehen, als dies einsam in seiner Eichen Mitte daliegende Bauernhaus.

Bauer Herbot aber war trotz dem allen offenbar nicht glücklich. Was ist dem Menschen Poesie, Idylle, malerische Laubpartie und wechselndes Spiel der Sonnenstrahlen – wenn er Verdruß hat, Verdruß mit seinen Mägden, Verdruß mit seinen Knechten, Verdruß mit seiner Tochter und einen besondern, nicht so laut wie die übrigen Verdrüsse ausgesprochenen, scheu im Herzen steckenden Verdruß noch obendrein!

„Du weißt nun einmal mit dem Volk nicht umzugehen,“ sagte der Bauer zu seiner Tochter, die neben ihm auf der Bank hinter dem Hause saß, wo man über den Bach hinweg auf die Wiesen und den Kranz von Gehölz blickte, der sie umgab; „Du weißt sie nicht in Respect zu halten! Die Knechte lachen über das, was Du sagst, und die Mägde thun, was sie wollen!“

Wenn man das junge Mädchen neben ihm ansah, so mußte man Bauer Herbot Recht geben. Sie hatte eine so feine Gestalt, hatte, trotzdem daß sie eine Landschönheit war, Farben, so klar und hell wie Milch und Blut. Ihre Augen waren blau und es lag etwas von rührender Harmlosigkeit darin, etwas Sanftes, Ernstes, Gutes … gewiß, sie verdiente die Vorwürfe, die Bauer Herbot ihr machte. Ein rohes Dienstbotenvolk in Ordnung zu halten und sich bei widerspenstigen Mägden in Respect zu setzen, verstand sie nicht.

„Auch ist es ein Elend,“ fuhr der Bauer fort, „daß Du niemals mehr als ein Ding im Kopfe halten kannst. Wenn ich Dir sage: geh’, laß heute Nachmittag den Hanf aufreißen, gut, so wird der Hanf aufgerissen, aber Du denkst nicht daran, daß Du um vier Uhr nach Hause kommen mußt, weil der Wagen von der Mühle kommt und Du ihm die Säcke mit Korn aufladen lassen mußt. Wer soll es anders thun? Du weißt, daß ich mit dem Großknecht beim Grummet bin … doch Du steckst bis über die Ohren im Hanffeld und denkst an die übrige Welt nicht mehr.“

„Ach ja, Ihr habt Recht, Vater,“ sagte das junge Mädchen mit einem tiefen Seufzer.

„Ich hätte Dich nicht auf ein Jahr zu der gnädigen Frau gehen lassen sollen,“ fuhr der Vater fort. „Du bist seitdem nichts mehr nutz für eine ordentliche Bauernwirthschaft; seit Deine Mutter todt ist, geht Alles den Krebsgang auf dem Hof und ich habe Verdruß über Verdruß. Wird auch wohl nicht besser werden für’s Erste!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_129.jpg&oldid=- (Version vom 4.10.2021)