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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


Alles, was ich fertig hatte, mußte aus meiner treulosen Rocktasche hervorkommen und wurde mit einem wahren Beifallssturm aufgenommen.“

So geschah es, daß Stifter’s „Studien“ das Tageslicht schauten[1] und eine Zeitlang auf dem großen Büchermarkte eine nicht kleine Rolle spielten. Ihr Erfolg und der Geldgewinn, den dieser mit sich führte, haben dem Leben des Dichters eine andere Richtung gegeben. Eine Weile hochgetragen von den Wogen der Bewunderung, hat er den Rausch befriedigter Eitelkeit gekostet. Da aber seine eigenen Mittheilungen über diesen Gegenstand hier abbrachen, maße ich mir kein Urtheil darüber an, wie er sich auf diesem Höhenpunkte seiner im Uebrigen einfachen Lebensweise benahm. Ich weiß nur, daß er sich eben um jene Zeit in das arme Mädchen verliebte, welches seine Gattin ward, und da er sie bald darauf heimführte, liegt die Vermuthung nahe, daß Ruhm und Gewinn von ihm als Mittel zu diesem Zwecke verwendet wurden. Als ich ihn kennen lernte, hatte das große Publicum ihn mehr als zur Hälfte vergessen und der Büchermarkt andere Werke, andere Namen in die Höhe geschnellt. „Sein Ruhm kann ihn nicht übermüthig gemacht haben, da die Vergessenheit ihn nicht bitter machte,“ dachte ich.

Wie einfach, wie rührend erzählte er mir die Geschichte seiner ersten Liebe!

„Ich hatte nichts und war nichts. Die Mutter des Mädchens zweifelte daran, daß je etwas aus mir werden, daß ich je etwas haben würde. Das kränkte mich und ich ging fort, ohne von dem Mädchen das Versprechen der Treue annehmen zu wollen. Im Stillen hoffte ich freilich, Alles gut zu Ende zu bringen. Die Mutter zwang sie aber zu einer andern Heirath. Sie ward sehr unglücklich und starb früh. – Ich habe sie einmal als blasses, schwindsüchtiges Weib wiedergesehen; das Herz wollte mir brechen, als ich der vergangenen Zeit gedachte!“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Wenn ich Ihnen sage, ich habe das Mädchen so geliebt, daß es ganz hell in mir und um mich ward, wenn sie mir nahe kam – verstehen Sie das?“

Ein ander Mal, als von seinem Bekanntwerden mit seiner Frau die Rede war, sagte er: „Mir wurde ganz heiß, als ich sie zuerst erblickte!“

Eines Abends, als wir so beisammen saßen und Stifter eben recht im Zuge war, mir seine Ansichten über Kunst und Künstler darzulegen, klingelte es an seiner Thür.

„Mein Mann ist nicht zu Hause!“ sagte Frau Stifter rasch zu ihrer Ziehtochter, die dem Dienstmädchen diesen Bescheid überliefern sollte.

„Wie so nicht zu Hause, liebe Frau?“ fragte er, sich unterbrechend, „ich bin ja zu Hause!“

„Nun, ich meinte, Du wolltest nicht gestört werden.“

„Das ist das Richtige, liebe Frau, und das soll auch gesagt werden.“

„Ja, ja! das verdrießt aber die Leute!“

„Die uns kennen, verdrießt es nicht, und die es verdrießt, um die bekümmern wir uns nicht.“

Stifter sagte immer „wir“, „uns“. Er las seiner Frau alle Briefe vor, die er empfing, alle, die er abschickte, und grüßte seine Freunde auch schriftlich immer in Gemeinschaft mit seiner Frau. Er that das seit dem Zeitpunkte, wo er sie über dem Gedanken, „daß sie seiner nicht werth sei“, brütend gefunden hatte.

Während eines längeren Aufenthaltes, den er einmal zur Frühlingszeit in Wien nahm, als eben Jenny Lind anwesend war, trafen sie mit dieser oft in Gesellschaft zusammen. Die Künstlerin entzückte der Dichter, der für Musik ein eben so inniges Verständniß hatte, wie für Malerei und Alles, was Kunst heißt. Jenny Lind war aber auch ein durch und durch gebildetes, edles Mädchen, sittig und fein in Haltung und Rede. Er unterhielt sich viel und gern mit ihr. Da bemerkte er, daß seine Frau verweinte Augen hatte. Er fand den Grund ihres Kummers leicht heraus und reiste am nächsten Morgen mit ihr nach Linz zurück, ohne Jenny Lind wiedergesehen zu haben.

Diesen tiefen sittlichen Grundton seines Wesens übertrug Stifter auf Alles und Jedes, was er in den Kreis seines Urtheils zog. Mit dieser Forderung trat er an jedes Kunstwerk, an jede Action heran.

Französisches Leben wie französische Literatur hielt er sich fern. „Was soll ich mich befassen mit Sachen, die mir zuwider sind!“ Meine Gewohnheit, französische Worte in die deutsche Rede zu streuen, rügte er streng, und als ich mir das einmal in einem Briefe zu Schulden kommen ließ, schickte er diesen umgehend zurück und schrieb darunter: „Verdient keine Antwort.“

Unter den großen Musikern erschien ihm Mozart als der größte. „Er ist so kindlich und so göttlich zugleich, daß man ihn nur mit Homer vergleichen kann.“ Unter den alten Schriftstellern war Aeschylos sein Liebling. Seine Verehrung für die alten Griechen war unbegrenzt.

„Selbst die Gräuel, wenn sie solche schildern, lösen sich in hohe Erkenntniß des Göttlichen auf, und dem Sünder folgt die Strafe im Gewissen rächend nach, findet er sie auch im Leben anders nicht.“

Unter den Dichtern seines Vaterlandes stellte er Grillparzer am höchsten. Er kannte und liebte ihn persönlich. Ueber Hebbel äußerte er sich sehr scharf: „Ich sage nicht, daß er ein schlechter Dichter ist – nein, beileibe! er ist gar kein Dichter. Er wirft mit Mühlsteinen um sich, und weil ihn das gewaltig anstrengt, hält er dafür, daß es gewaltig wirkt. Ein Glück ist’s, daß er keinen Einfluß auf Literatur und Welt gewonnen hat, sonst müßte sich ein Ehrenmann wohl die Mühe nehmen, gegen ihn aufzutreten. So läßt man die Mühlsteine fallen und geht vorbei.“ Hebbel’s „Judith“ machte eben damals volle Häuser und war der Gesprächsstoff aller Gebildeten Wiens. Stifter nannte die Judith eine Mißgeburt und den Holofernes einen Hanswurst.

„Dem Künstler,“ sagte er, „darf nichts schön erscheinen, was nicht vollkommen wahr und rein ist. Moralische Kraft ist ihm die Hauptbedingung des Charakters überhaupt, und ohne diese erkennt er jenen nicht an. Der Dichter darf nicht an den Effect denken, den sein Werk beim Publicum hervorbringen dürfte; der Schauspieler darf mit keinem Blick verrathen, daß die Zuschauer für ihn da sind; nur so können Beide die künstlerische Vollendung anstreben. – Was wir in der Gegenwart zumeist als Kunstwerk bewundern, in der Dichtkunst sowohl, wie in der Musik, Bildhauerei und Malerei, ist sehr oft nur Virtuosenthum, große technische Fertigkeit, die mit allerlei Mitteln schlagende Effecte hervorbringen soll. Ein wahrhaft künstlerisches Gebilde muß dagegen, mit dem geringsten Aufwande äußerer Drittel, durch die aus der Tiefe herauf arbeitende Idee, in kindlicher Einfalt groß, seinen Zweck erreichen. Dieser Zweck ist nicht, das Auge zu blenden und den Geist zu bestricken, sondern das Menschenherz zu rühren, zu erheben und folglich zu bessern.“

Mariam Tenger.     




Bilder aus dem Berliner Rechtsleben.

Von F. K.
I.

Das in Preußen zur Herrschaft gelangte Centralisationsprincip hat eine Justizbehörde geschaffen, die unter ihren Schwestern hervorragt, wie Goliath unter den Philistern, ich meine das Berliner Stadtgericht. Keine Behörde der Welt ist in so kolossalem Maßstabe angelegt. Gegen zweitausendzweihundert Beamte sind dem großen Mechanismus eingefügt, der, von einem Präsidenten und drei Directoren geleitet, mit einer Präcision und Schnelligkeit arbeitet, an der sich manches kleine Gericht ein Beispiel nehmen könnte. Das Ganze, bei dem mehr denn siebenmalhunderttausend Menschen Recht nehmen, zerfällt in drei Abtheilungen: die für Civil- und Vormundschaftssachen in der Jüdenstraße, eine Criminalabtheilung am Molkenmarkte und eine andere im sogenannten Lagerhause, jenem alten Residenzschlosse der ersten brandenburgischen Kurfürsten. Die Abtheilungen selber sind wieder in Commissionen und Deputationen so vielfach zergliedert, daß es dem Publicum unmöglich ist, das Ganze zu durchschauen, und dies ist ein schwerer


  1. Von anderen Seiten wird freilich der Hergang etwas anders erzählt. D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_122.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)