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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

gelenkt, ehe sie selbst etwas davon ahnten. Anfangs lachte Alfred über die zuerst leisen, dann aber immer lauter werdenden Stichelreden seiner Gefährten, die er dem Neide zuschrieb, weil sie sich von der Bekanntschaft mit der schönen Frau ausgeschlossen sahen, und erwiderte die ernsten, wenn auch halb versteckten Warnungen seiner Freunde mit einer leichten Entgegnung. Darauf kam es einige Male zu empfindlichen Reibungen, welche ihm die Spötter vom Halse schafften und die Freunde verstummen ließen, und dann – kam eine Zeit, wo Alfred gegen Spott wie gegen Tadel, auch wenn beide noch zu ihm gedrungen wären, unempfindlich geworden war, denn in seinem Herzen lebte jetzt nur noch ein Gedanke: der an Rosalie und sein Verhältniß zu ihr! Aus seiner Bekanntschaft mit ihr hatte er sich allmählich das Recht einer gewissen Vertraulichkeit gewonnen, das sie ihm zwar nicht geradezu übertrug, aber doch stillschweigend anzuerkennen schien und das er in jeder Weise ausbeutete. Man sah ihn auf der Promenade an ihrer Seite, im Theater erschien er in ihrer Loge und trotzte der Aufmerksamkeit des Publicums, dem Neide der gesammten Herrenwelt, indem er sich eifrig mit ihr unterhielt und auch gar nicht daran zu denken schien, das Interesse zu verbergen, mit welchem er an jedem ihrer Worte, ihrer Blicke hing.

An ihr selbst dagegen war durchaus nicht wahrzunehmen, welchen Eindruck sein Benehmen, seine Huldigungen auf sie machten, denn ihre Haltung war völlig unbewegt und ruhig; sie schien es als etwas Natürliches, Selbstverständliches hinzunehmen, daß er ihr seine Verehrung darbrachte, und es gar nicht zu beachten, daß seine Blicke immer glühender wurden, seine Worte immer leidenschaftlicher klangen. Auch in ihrer Wohnung hatte sie ihn noch einige Male wieder empfangen, wie sie sich jedoch an öffentlichen Orten stets nur in Begleitung ihrer Gesellschaftsdame oder einiger anderen Bekannten zeigte, so sah er sie auch hier nie mehr allein, und zu einem Zwiegespräch unter vier Augen war es daher nicht wieder gekommen.

Es konnte nicht fehlen, daß die Kunde von Alfred’s auffälligem Benehmen endlich auch das Ohr der Familie von Alfred’s Braut erreichte, nachdem diese selbst sich im Stillen über das veränderte Wesen ihres Verlobten schon bekümmert gefühlt hatte.

Einige Andeutungen genügten, um dem bedauernswürdigen Mädchen klar zu machen, was der Grund seiner kühlen Haltung sei, und sie mit eifersüchtigem Haß gegen Diejenige zu erfüllen, welche ihr Alfred’s Herz abwendig gemacht hatte, sowie mit Bitterkeit gegen ihn selbst. Ohne aber den Muth zu haben, offen mit ihrer Anklage ihm entgegen zu treten, griff sie zu der unglücklichsten Waffe, die ein liebendes und verwundetes Herz wählen kann, zur Empfindlichkeit, suchte ihn durch Schmollen zu strafen und – ahnte nicht, daß sie damit den letzten Rest von Zuneigung in ihm vernichtete, daß sie ihm unendlich klein und gewöhnlich erschien neben Rosaliens großartiger Natur. Seine Ungeduld machte ihn reizbar und heftig, und es war schon verschiedene Male unter den Verlobten zu Scenen gekommen, bei denen Helene in heftige Thränen ausgebrochen war; aber auch diese hatten Alfred kaum besänftigen können, denn er konnte es nicht leiden, wenn Jemand sich in solcher Schwäche zeigte. - Die ganze Familie Helenens war erbittert über Alfred, und so sehr sie anfangs die Verbindung erfreut hatte, so wünschenswerth schien ihr jetzt, daß das Verhältniß gelöst würde; doch bebte Helene krampfhaft vor jedem Gedanken daran zurück, und wie sie den Ihrigen gegenüber seine beredteste Vertheidigerin war, vertraute sie immer noch, daß ihre Liebe ihr die seinige am Ende wiedergewinnen würde.

Rosalie hatte in dieser Zeit ihre Wohnung in der Residenz aufgegeben, nur nach einer ungefähr eine halbe Stunde von der Stadt entfernten Villa überzusiedeln, welche leer stand und von ihr für die Sommermonate gemiethet worden war. Alfred hatte sie daher in mehreren Tagen nicht gesehen, indem er es ohne ihre Erlaubniß nicht wagte, sie dort aufzusuchen, und sie erfüllte bereits sein Denken und Leben so, daß ihm jeder Tag ein verlorener schien, der ihm keine Begegnung mit ihr gebracht hatte.

Mißmuthig erinnerte er sich eines Abends, daß er seiner Braut seit Tagen einen Besuch schuldig war, und da er sich doch wieder dachte, daß sie jetzt vielleicht die Leere seines Innern auszufüllen vermöchte, ging er zu ihr. Sie empfing ihn freundlicher und heiterer als gewöhnlich, denn sie hatte ihr Herz wieder durch den Vorsatz gestärkt, ihn durch Sanftmuth zu gewinnen, und wirklich schien es, als wenn ihr Bemühen heute nicht vergeblich bleiben und er seinen früheren Ton wiederfinden würde. Sie brachte das Gespräch auf Hermann, an dem sie mit großer Verehrung hing, und da sie hierin völlig mit seinen Empfindungen harmonirte, so hatte sie eine gute Saite angeschlagen und sie zu lebhaftem Eingehen hingerissen.

„Wie schade,“ sagte sie mit echt weiblichem Bedauern, „daß er so einsam lebt und von keiner Familie umgeben ist! Hat er nie daran gedacht, sich zu verheirathen?“

„Ja, er war in früheren Jahren einmal verlobt,“ entgegnete Alfred kurz.

„So ist seine Braut gestorben?“ rief sie theilnehmend. „Wie hieß sie?“

„Sie ist nicht todt, Helene, die Verbindung hat sich gelöst.“

„So war sie eine Unwürdige!“ rief sie in unbesonnener Heftigkeit.

Das Wort trieb ihm das Blut in's Gesicht. „Nein, Helene, es war keine Unwürdige! Du sprichst von der Baronin Brinkhorst!“

„Die Spanierin?“ schrie Helene entsetzt auf; „dann bleibe ich bei meinem Wort – sie konnte Hermann’s nicht würdig sein.“

Er war dicht vor sie hingetreten. „Was weißt Du von ihr, die Du verleumdest?“ sagte er jetzt mit harter Stimme.

Sein Wort, sein Ton machten, daß sie in Thränen ausbrach. „Ist es nicht genug,“ rief sie leidenschaftlich aus, „daß sie auch mir das Herz bricht, daß sie Dich in ihr Netz, in Dein Verderben lockt? O Alfred, fliehe dieses Weib, ehe sie Dir und mir zum Fluche wird!“

Er richtete sich hoch auf. „Zum Fluche, sagst Du? Weißt Du, daß für mich ein Segen wie der des Himmels in jedem Blick liegt, den sie auf mich richtet, in jedem Wort, das sie zu mir redet?“

„Alfred, Du liebst sie!“ rief Helene in tödtlichem Erschrecken.

Sein Gesicht überflog eine flammende Röthe. „Ja, ich liebe sie!“ rief er aus. „Einmal mußte das Wort gesprochen werden, sonst hätte es mir das Herz, die Brust zersprengt! Helene, ich war es, ich, um den sie ihr Herz von dem Bruder wandte, und ich Thor glaubte damals, es stände in meiner oder ihrer Macht, dem Herzen zu gebieten und einem Andern wiederzugeben, was nicht mehr sein war! Ich glaubte mich einer Sünde gegen den Bruder schuldig und war nicht groß und stark genug, um wie sie zu begreifen, daß unser Herz unser Schicksal ist und wir uns ihm beugen müssen, ihm folgen dürfen, wie der Stimme Gottes selber! Ein enges Pflichtgefühl trieb mich damals, vor den vermeintlichen Rechten des Bruders zu weichen, ihre mächtige, reiche Liebe von mir zu weisen es hat uns Beide elend gemacht!“

„Elend?“ stöhnte das unglückliche Mädchen. „Mein Gott, vergieb ihm!“


(Schluß folgt.)


Stille Gesellschaft.

Es war zur Zeit der Rosen, sie blühten in voller Pracht,
Da bebte der deutsche Boden von mancher Bruderschlacht;
Recht zwischen Blumen streute die bleiche Saat der Tod
Und färbte den grünen Rasen so roth, so grausig roth.

5
Heiß ist die Junisonne, noch heißer ist der Kampf,

Die zitternden Sommerlüfte ersticken in Rauch und Dampf.
Vergeblich mahnt das Kirchlein, den Friedhof stürmt der Krieg;
Da feiert im eignen Hause der Tod den großen Sieg.

Vom Brand der tiefen Wunden, von Kampf- und Feuersgluth –

10
Wie ruht sich’s in dem Schatten der Kirchenmauer gut!

Da röchelt es und wimmert zum ew’gen Schlaf sich ein;
Es sehen’s nur Rosen und Flieder im Abendsonnenschein.

Nun schwebt die Nacht darüber, von süßem Duft erfüllt,
Als hielt’ ein Fest der Liebe ihr Mantel zart umhüllt.

15
Des Mondes Blicke strahlen herab durch das Gezweig

Und spielen auf Todtenmalen vom alten Todtenreich.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_100.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)