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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

mußte, als bei dem warmen, aufopferungsvollen und zum Glück auch leicht entsagenden Herzen des tapfern Lieutenant Mensing, des Mannes, welcher der eigentliche Retter jenes Schatzes geworden war, der, zum Theil aus den Seelenverkäufen der Hessen-Cassel’schen Landgrafen stammend, im vorigen Jahre noch ein Gegenstand des Tages-Interesses wurde, als Bestandtheil des hessischen Staatsschatzes, welchen das annectirte Land von dem Gerechtigkeitsgefühl des Siegers von Sadowa zurückerstattet erhielt.




Blätter und Blüthen.


Die Maskenbälle in der großen Oper zu Paris. Wie oft ist nicht schon von den Pariser Opernbällen gesprochen worden! Wie viel stumpfe und spitze Federn haben sich nicht an mehr oder minder weitläufigen Schilderungen dieser Bälle versucht! Und wie sehr hat man nicht bei dieser Gelegenheit über die Lasterhaftigkeit des modernen Babels geschrieen! Das arme Paris! Die meisten Fremden, die nach der Hauptstadt Frankreichs kommen, suchen hier Zerstreuungen aller Art, und nachdem sie sich einige Zeit mit der Tugend überworfen, kehren sie mit einem moralischen Katzenjammer nach der Heimath zurück und werden nicht müde, von der Sittenlosigkeit in Frankreich zu sprechen. Paris ist nicht unsittlicher als irgend eine große europäische Stadt; in keiner andern Stadt unseres Welttheils wird aber so viel, so unablässig gearbeitet. Die Opernbälle selbst zeugen von der unermüdlichen Thätigkeit der Pariser. Jedes Mal, wenn ein solcher Ball stattfindet, sind alle Kaffeehäuser, alle Restaurants die ganze Nacht hindurch geöffnet. Im Opernhause selbst ist ein zahlreiches Personal beschäftigt. Das Orchester zählt nicht weniger als hundertundvierzig Mitglieder. Hierzu kommen noch die Angestellten: die Lampisten, die Machinisten, die Logenwärterinnen, die Controleure, die Aufseher etc., im Ganzen fünfhundertundfünfzig Personen. Es ist statistisch erwiesen, daß ein Opernball elfhundert Wagen die Nacht hindurch in Circulation erhält. Außerdem sind die Handschuhladen, die Costümhändler, die Maskenverleiher, die Friseurs, die Kuchenbäcker bis zu Tagesanbruch in unausgesetzter Thätigkeit. Die Lebhaftigkeit des Besuchs variirt nach dem Grade des öffentlichen Wohlstandes. So betrug im Jahre 1849 die Gesammteinnahme dieser Bälle etwa neunzigtausend Franken, während gegenwärtig das Vierfache dieser Summe erzielt wird.

Der jetzige Capellmeister des Opernball-Orchesters heißt Strauß. Derselbe hat mannigfache Reformen in dieser Anstalt eingeführt. Die Bälle fangen jetzt später an und hören früher auf, und die Bedingungen des Eintritts sind auch etwas erschwert worden. Indessen werden doch noch immer sehr viele Freibillets vertheilt. Die Pariser Presse wird mit zweihundert Freibillets bedacht. Die Demi-monde erhält deren an fünftausend. Etwa zweihundert Männern wird ebenfalls freier Eintritt gewährt. Außerdem werden ihnen von der Administration noch die Costüme geliefert; sie übernehmen aber damit die Verpflichtung, tüchtig die Beine zu rühren und das Publicum heiter zu stimmen. Vier Tänzer, von denen zwei in Frauencostüm erscheinen müssen, werden sogar von der Administration bezahlt. Die Namen der vier Männer, die in der heurigen Saison auf den Opernbällen die tolle Quadrille tanzen, sind: Clodoche, Flageolet, La Comète und Normande. Es sind lauter Spitznamen. Die beiden Letztgenannten sind immer in Frauencostum. Daß dieses edle Doppelpaar nicht von den ersten Schichten der Gesellschaft abstammt, braucht wohl nicht erst besonders erwähnt zu werden. Clodoche war früher Leichenbitter, da er aber seinem Geschäfte, bei dem man nicht leicht Millionär wird, keine heitere Seite abgewinnen konnte, wurde er Cancantänzer. Er sprang ohne vermittelnden Uebergang vom Kirchhof in die öffentlichen Tanzsäle, wo er sich jetzt einer großen Popularität erfreut. Außer dem Honorar, das diese Quadrille von der Verwaltung erhält, wird sie auch von den jungen Leuten reichlich bedacht, vor deren Logen sie die verwogenen Sprünge macht.

Die Opernbälle werden sehr zahlreich von Fremden besucht. Es ist auch der Mühe werth, eine Stunde lang dieses schwindelerregende Tohubohu anzusehen. Daß die Frauenwelt auf den Opernbällen fast nur durch jene Wesen vertreten ist, die mit der Tugend auf mehr oder minder gespanntem Fuße leben, versteht sich von selbst.

Parkfreuden im Winter. (Mit Abbildung.) Unseren Lesern war in Nr. 49 des Jahrganges 1866 der Gartenlaube ein Blick aus der Vogelschau auf die Sommerpracht des neuen Leipziger Theaters und seiner anmuthigen und geschmackvollen Umgebung geboten. Dort stieg der perlende Strahl des Springbrunnens aus dem Schwanenteich über die Baumwipfel empor, Schwanenpaare belebten die kühlende Fluth und über dem massigen Quaderbau des Halbrunds zwischen den laubbedachten Veranden erhob sich die zierliche Rückwand des Theaters mit ihren schlanken Karyatiden zwischen den hohen Fenstern des Malersaals. Heute stehen wir vor einem Winterbilde mitten im rauschenden Gewoge einer rüstigen Menge, die auf den Flügeln des Stahls über den Eisspiegel des Schwanenteichs dahinschwebt, und zwar ist der rings vom bewegtesten großen Verkehrsleben der rastlosen Stadt umfluthete Raum doch zugleich so geschützt vor den Unbilden luststörender Winde, als ob er für die erfrischenden Freuden der Schlittschuhbahn ganz besonders der Frauenwelt bestimmt sei. Der Künstler führt uns absichtlich nur vor die dem Theater nächste Eisfläche des Teichs, um dieses Hintergrunds willen und weil es in der That jetzt den fahrlustigen Damen möglich ist, einen Theil ihres Wegs zum (am 28. Januar festlich eröffneten) Theater auf ihren Stahlschuhen dahinfliegend zurück zu legen. Wie zur Einladung dazu hat die Natur sich mit dem zierlichsten Eis- und Schneegeschmeide angethan, von der Baumkrone mit den duftigen Zweigen bis zu den in der Sonne glitzernden Zapfen an Rändern und Simsen. Und zwischen den Bäumen hindurch und hoch über den Köpfen der Lustfahrenden schimmern, wie eines Feentempels Riesenglieder, die hellen Mauern des Theaters durch die Winterluft zu uns herab, Alles im schönsten Einklang, die schmückende Kunst und die geschmückte Natur. Ja, wo Beide sich so innig vereinen zur Erhebung und Erfreuung des Menschen, da ist’s schön auf der Welt, – und um so mehr thut es weh, daß die Gaben dieses Glücks so ungleich vertheilt sind.


Berichtigung. Erst jetzt wird uns von competenter Seite die Mittheilung, daß in dem in Nr. 34 unsers Blattes von diesem Jahre veröffentlichten Artikel „Die Humoristen der Fliegenden Blätter“ einem Manne Unrecht geschehen ist, welcher gerade auf die Entwickelung der Holzschneiderkunst in München und speciell auf das Unternehmen des Herrn Braun von wesentlichem, wenn nicht entscheidendem Einflusse geworden ist. Der damalige königl. bairische Hofrath und Consulent der Hof- und Staats-Bibliothek, Advocat von Dessauer in München, jetzt hier in Zurückgezogenheit lebend, ist es nämlich gewesen, welcher, im freundschaftlichsten Einverständniß mit Herrn Braun, gemeinschaftlich die erste Idee zur Entfaltung dieses Kunstzweiges in Süddeutschland durchzuführen versuchte und durch seine bedeutenden und nachhaltigen, als Vertrauenssache gewährten Unterstützungen ermöglichte, daß Herr Braun bei dem damals berühmtesten Xylographen Frankreichs, Brevière in Paris, dem Studium der Holzschneidekunst sich gründlich zu widmen und den Grund zu seinen späteren Erfolgen zu legen vermochte. Dessauer war es auch, welcher, durch vielseitige sonstige Berufsthätigkeit veranlaßt, für die mit seiner Theilnahme gegründete Anstalt in dem nachmaligen Gesellschafter derselben, Herrn Friedrich Schneider, in uneigennütziger Weise einen Nachfolger fand, der durch seine rastlose Thätigkeit und Umsicht die fernere mercantilische Entwickelung mit dem vorzüglichen künstlerischen Streben des Herrn Braun zu verbinden gewußt hat. Es gereicht uns zum Vergnügen, unseren Lesern von diesen Thatsachen berichtigende Kenntniß zu geben.

Die Redaction.     

Opferstock für Ostpreußen.

Es gingen ferner ein: Von S. Bach in Altenstedt 1 Thlr. 4 Sgr. 2 Pf.; Oberf. Roch in Gohrisch 2 Thlr.; Hedwig Helmbodt in Kloster Nimbschen 3 Thlr.; P. Bauer in Redwitz 1 Thlr.; einige Freimaurer aus Marbach und Gießen 20 Thlr.; A. v. Seckendorf in Heinrichshalle 6 Thlr.; A. K. in Henningen 1 Thlr.; Versammlung Stolze’scher Stenographen in Leipzig 3 Thlr. 10 Sgr.; G. K. in Köln 1 Thlr.; Amanda und Karl in Reichenbach 1 Thlr; G. Schfr. in Apolda 1 Thlr.; aus Cöslin 20 Sgr.; Sammlung des Bergsträßer Anzeigeblattes 24 Thlr. 25 Sgr.; von der Kindtaufsgesellschaft bei Br. Wagner in Crimmitzschau 3 Thlr. 71/2 Sgr.; aus Gotha 1 Thlr.; B. L. in Teplitz 5 Thlr. 15 Sgr. und 1 fl. österr.; von der Tochter eines Veteranen vom freiwilligen Ostpreußischen Jägerbataillon 1 Thlr.; K. W. in Frankfurt 1 Thlr.; Alfred Keil in Paris 10 Thlr.; N. N. in Annaberg 2 Thlr.; W. M. in Jena 10 Thlr.; aus Weimar 1 Thlr.; aus Greiz 6 Thlr.; aus L–a’s Sparbüchse in Crimmitzschau 4 Thlr. 10 Sgr.; O. E. in Strauchnitz 4 Thlr.; eine Schweizerin in Gera 1 Thlr.; vom Turnerball in Geestendorf 7 Thlr 3 Sgr.; F. B. 1 Thlr.; Buchb. Hentzner in Leipzig 1 Thlr.; Margarethe Keil 3 Thlr.; G. W. in Brandenbrg 1 Thlr.; Carl Reinhold in Witten 5 Thlr.; Leipziger Liedertafel 25 Thlr.; eine kleine Pfälzerin 1 fl.; E. St. in Reichenberg 1 fl. österr.; Kindtaufsschmauß am 27. Jan. in Waldkirchen 5 Thlr. Einer der oben aufgeführten Geber sendet uns zugleich ein längeres Gedicht, das die Noth in Ostpreußen ergreifend schildert und dessen beide Schlußstrophen wir hier anfügen:

Die letzte Kartoffel, das letzte Stück Brod!
Und dann nur der Hunger! O gräßlicher Tod!
     Und Rettung ist nicht zu erschauen.
Zwei Tage schon rauchte der Schornstein nicht mehr,
Nicht Kohlen, nicht Holz zu erbetteln umher:
     Da schwindet auf Gott das Vertrauen.
Es wimmern die Kindlein, die Mutter sie weint,
Durch’s Fenster die Sonne schon längst nicht mehr scheint.
     Begreift ihr den Jammer der Armen?
     Erbarmen, Erbarmen, Erbarmen!

Es schleicht sich der Frost in das innerste Mark;
Die Hände, sie sind wohl noch kräftig und stark
     Und möchten noch schaffen und ringen.
Verschneit sind die Wege, verweht ist die Bahn,
Nicht Arbeit, nicht Brod ist zu schaffen heran,
     Schon reget die Seuche die Schwingen.
O, öffnet die Herzen, ihr Reichen umher!
Gar bald ist zum Geben die Zeit nicht mehr,
     Wenn hungernd verdorben die Armen.
     Erbarmen, Erbarmen, Erbarmen!

Die Redaction.     

Inhalt: In sengender Gluth. Von F. L. Reimar. (Fortsetzung.) – Bilder aus den deutschen Alpen. Nr. 1. Das Fingerhackeln. Von Karl Stieler. Mit Abbildung. – Garibaldi’s Flucht aus Caprera. Von ihm selbst beschrieben. – Plaudereien aus meinem Leben. Von Karl v. Holtei. – Der Dichter und der Maler des deutschen Philisters. – Der Schatz des Kurfürsten. Historische Erzählung von Levin Schücking. (Schluß.) – Blätter und Blüthen: Die Maskenbälle in der großen Oper zu Paris. – Parkfreuden im Winter. Mit Abbildung. – Berichtigung. – Opferstock für Ostpreußen.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_096.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)