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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Der Schatz des Kurfürsten.

Historische Erzählung von Levin Schücking.
(Schluß.)


Wir wollen ihnen auf ihrem gefahrenumgebenen Wege nicht folgen, genug, daß es Mensing’s Umsicht, Behutsamkeit und seiner Geistesgegenwart gelang, mit Wilhelm glücklich die Grenzstadt zu erreichen, wo der Agent des Kurfürsten ihn erwartete, ihnen die Last, die sie Beide getragen, abnahm, und ihnen eine neue Verkleidung zur Rückkehr schaffte. In dieser traten sie den Heimweg an, um dann mit einer neuen Last zurückzukehren und unter ihren goldenen Bürden so lange hin und her zu wandern, bis der ganze Schatz unverkürzt geborgen und in Sicherheit war. Und sowie dann das Gold nach dem dänischen Auslande (zunächst Itzehoe), wo sein Eigenthümer sich befand, geschafft wurde, so war es auch für die beiden Retter Zeit, sich in den Bereich dieses völlig sichernden Auslandes zu begeben.

Sie hatten auf Lohn für ihr muthiges und gefährliches Thun nicht gehofft. Und in der That, sie bekamen auch keinen. Kurfürst Wilhelm schien in dem Gethanen nur eine erfüllte Pflichtleistung zu erblicken. Doch dankte er ihnen mit gnädigem Lächeln, als sie vor ihm erschienen und Mensing ihm die Einzelheiten der Rettung berichtet hatte, wobei man des Obersten La Croix nur als eines französischen Officiers erwähnte, ohne den Namen zu nennen.

„Er ist ein recht durchtriebener Bursche, Mensing; Er hat sich klug und brav dabei benommen,“ sagte er. „Ich werde Ihm das nicht vergessen! Er kann die Rechnung über seine Auslagen einreichen; ich will sie Ihm erstatten lassen.“

„Eine Rechnung?“ antwortete Mensing betroffen; „aber Durchlaucht werden nicht verlangen, daß ich mich all’ der kleinen einzelnen Ausgaben entsinnen soll. Der Inspector Steitz hat mir tausend Gulden gegeben; die sind beim Hin- und Widerreisen, zum Anschaffen von Verkleidungsstücken, Bestechungen, Trinkgeldern in größeren, kleinern und kleinsten Posten daraufgegangen … das ist meine Rechnung!“

„Nun, ist auch gut, ist auch gut!“ versetzte der Kurfürst, den ein wenig zornigen Ton, worin Mensing gesprochen, beschwichtigend.

„Und,“ fuhr Mensing fort, „zu der Bestechung des französischen Officiers, von der ich die Gnade hatte, berichten zu dürfen, sind fünfzigtausend Thaler von dem Schatze selber genommen.“

„Fünfzigtausend Thaler!“ rief der Kurfürst wie erschrocken aus, „zum Teufel, weiß Er, daß das viel ist?!“

„Ja – viel, just so viel wie nöthig war!“

„Hm,“ machte der Kurfürst, Mensing scharf fixirend, „und Er will mir den Namen dieses Officiers nicht nennen?“

„Ich gab mein Ehrenwort, es nicht zu thun.“

„Auch den Grad und die Waffe nicht?“

„Ich glaube nicht, daß ich es darf, Durchlaucht.“

„Da werd’ ich ja wohl Sein bloßes Wort gelten lassen müssen?“

„Ich bitte darum!“

Mensing sprach diese Worte in einem Tone aus, daß der Kurfürst nicht recht den Muth fand, dem Manne, welchem er so viel verdankte, zu antworten. Er entließ Mensing und seinen Begleiter und hielt Beide an seinem bald darauf nach Prag verlegten Hoflager bei sich, wo sie für die Verfolgungen der Franzosen nicht zu erreichen waren.

Denn diese Verfolgungen blieben nicht aus, wie eine Untersuchung dessen, was in der Nacht vom 21. auf den 22. November auf der Napoleonshöhe geschehen, nicht ausblieb. Das Verschwinden Momberg’s, die Entdeckung der erbrochenen und nur nothdürftig wieder hergestellten Mauerstelle unter der Treppe am südwestlichen Flügel reichten hin, um dem ganzen Hofe Jerôme’s die Ueberzeugung zu geben, daß von den Verschwundenen der Schatz entführt sei. Die Aussagen der Gensd’armen, welche dem Fourgon begegnet waren, und die ihres Obersten konnten es nur bestätigen, indem sie von der kecken Ausrede berichteten, womit sie von Mensing getäuscht waren. Der Oberst La Croix hielt dabei an seinem Ehrenworte ehrlich fest. Er gab an, wie er auf dem Balle entdeckt, daß er von Mensing überlistet sei, wie er zu einer Verfolgung des Lieutenants davon gestürzt sei, aber wie alle seine Bemühungen, ihn einzuholen, vergeblich gewesen.

Eine Haussuchung auf dem Pachthofe der Mutter Mensing’s und die Vernehmungen dieser Frau gaben keine Resultate. In Folge von Graf Boucheporn’s Angaben, unter welchem Vorgeben der Inspector Steitz ihn bewogen, ihm den Fourgon zur Disposition zu stellen, wurde Steitz wiederholt vernommen. Er blieb in seiner Vertheidigung consequent bei der Angabe, daß er nichts beabsichtigt habe, als seine Tochter zu entfernen, und zwar aus den Gründen, die er dem Grafen Boucheporn vertraut; daß, wenn der Lieutenant Mensing diese Gelegenheit benutzt, den Schatz zu entfernen, er völlig ohne Mitschuld daran sei; daß er nimmermehr, wenn er geahnt, wie gefahrvoll diese Fahrt werden solle, geduldet haben würde, daß sein einziges Kind solche Gefahren theile … es müsse Jedermann einleuchten, daß, wenn er auch seinem früheren Herrn noch anhänglich sein sollte, diese Anhänglichkeit doch nimmermehr so weit gehen würde, um sein eigenes Leben nicht blos, sondern auch das seines Kindes auf’s Spiel zu setzen!

Dieser Grund leuchtete ein und er schlug durch. Daß althessische Dienertreue so weit gehen könne, konnte den Franzosen allerdings nicht in den Sinn kommen anzunehmen. Und so mußten sie davon abstehen, Steitz zu inquiriren, wie sie überhaupt davon abstehen mußten, hinter das Geheimniß zu kommen, wer Gehülfe und wer Mitwisser gewesen bei der mit so viel Verwegenheit wie Glück ausgeführten That. Sie trafen eben bei allen Nachforschungen auf die große einträchtige Verschwörung des ganzen Volkes wider die aufgedrungene fremde Herrschaft.

Ein gewisser Verdacht blieb jedoch stets auf dem Inspector Steitz haften, und damit hing es wohl zusammen, daß der alte Herr plötzlich als Inspector nach dem königlichen Schlosse Corvey an der Weser versetzt wurde.

Die Herrlichkeit des „niedlichen“ Königs hatte, Gott Lob, keine lange Dauer. Am 30. September 1813 verscheuchten die Kosaken Czernitschew’s König Jerôme aus seinem Reich. Der Inspector Steitz hatte kaum diese Freudenbotschaft vernommen, als er sich hochklopfenden Herzens auf den Weg machte, um seine geliebte Wilhelmshöhe zu erreichen, von der er sofort als Inspector wieder Besitz nahm. Aber ach, der Jubel war so voreilig gewesen, wie Czernitschew’s Streifzug keck und ohne unterstützenden Rückhalt unternommen; nach achtzehn Tagen war Jerôme wieder da! Die russischen Truppen hatten sich zurückgezogen und Jerôme war wiedergekommen, um sich zu retten und mitzunehmen, worauf er die Hand legen konnte. Nur acht Tage lang dauerte diese zweite Herrschaft, aber es waren acht Tage des Schreckens. Der Inspector Steitz wurde nebst zahlreichen Anderen verhaftet und in das Casseler „Castell“ gesperrt. In Angst und Zagen harrte er dort seines Schicksals, bis die russischen Vortruppen noch einmal vor den Thoren der Stadt erscheinen und Jerôme mit der gesicherten Beute die Flucht zum zweiten Male, und diesmal für immer, ergreift. Die Kerkerthüren öffnen sich und Steitz ist frei.

Im November 1813 kehrte Kurfürst Friedrich Wilhelm der Erste in die Residenz seiner Väter zurück, umjubelt von seinen getreuen Unterthanen, von ihren Armen statt von Pferden durch die Straßen Cassels zu seinem Schlosse gezogen.

„Er habe nur sieben Jahre geschlafen,“ sagte der alte Herr, und in der That, er sah, wie er aufrecht in dem offenen Wagen stand, ganz so aus, als ob er viele, viele Zeit, nicht sieben Jahre, sondern ein Vierteljahrhundert verschlafen habe, dieser häßliche alte Mann in einer lächerlichen Uniform, mit einem dicken Zopf an der Perrücke und einem großen Gewächs am Halse, das ihn zwang, den Kopf seitwärts zu halten.

Den Jubel seiner vom Druck und Drang der Fremdherrschaft befreiten Unterthanen aber störte das nicht. Die Enttäuschungen sollten erst später kommen; doch für Niemanden so früh, wie für den treuesten aller Treuen, für den Schloßinspector auf der Wilhelmshöhe.

Steitz harrte in freudigster Aufregung des ersten Besuchs seines Herrn auf der Wilhelmshöhe; sein Herz pochte dem seligen Augenblicke entgegen, wo er ihn wieder sehen werde, wo er ihm die Hand küssen und glücklich sein werde durch ein Wort des Dankes von seinen eigenen Lippen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_094.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2021)