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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Eine Audienz bei dem König von Italien.

Mit der Eisenbahn in der freien Schweiz angekommen, durchzog ich dieselbe zu Fuß und eilte dann raschen Schrittes dem schönen Italien zu. Ausgeruht und gestärkt im gastlichen Hospiz, drückte ich zum Dank hierfür und als einzige Belohnung den braven Vätern vom Orden St. Bernhard nochmals die Hand, blickte wiederholt rückwärts auf die Schweiz und beflügelte sodann meinen Fuß, die prächtige Simplonstraße abwärts steigend, um Italien zu erreichen. Wenig kümmerten mich die schwindelnden Höhen der Alpen und das Riesigschöne der Natur; nur vorwärts dachte mein Sinn. Nach Italien hieß die Losung, und nach Italien hieß die Parole.

Endlich erblickte mein Auge einen hohen Marmorstein mit der einfachen Inschrift Italia. Es war die Grenze. Schneller eilte ich nun abwärts und vorbei an den italienischen Zollwächtern und Carabinieri, ihnen ein „Evviva Italia!“ zurufend. Freudig und mit Enthusiasmus wurde mein Ruf erwidert. Rascher und rascher ging ich durch die schönen Städte und Dörfer, am herrlichen Lago Maggiore entlang, nach dem glänzenden reichen Turin. Gastfreundlich und großherzig von der edlen und freien Stadt aufgenommen, war mein Erstes, mich auch im königlichen Schlosse umzusehen. Ich schritt durch das Schloßthor und dessen Hofraum. Beides war der eisernen Gitter und der Thorflügel entledigt, gleichsam zum Zeichen, daß hier nur Friede und Einigkeit herrsche und daß man das Schloß nur der Obhut des Volks anvertraue. Eine Doppelschildwache der activen Armee und der Nationalgarde stand am Hauptportale, und beide Posten unterhielten sich gerade so miteinander, als wenn sie nur einer und derselben innig verbündeten Familie angehörten.

Weiter schreitend, gelangte ich an eine Marmortreppe, an deren Fuß ein herculischer Portier, gleich einem Riesen, in scharlachrothem, goldverbrämtem Rocke, mir auf alle Fragen mit einer Gefälligkeit und Höflichkeit Auskunft gab, wie es nur bei Italienern und Südländern überhaupt vorkommt. Meine Frage, ob ich wohl Audienz bei Seiner Majestät dem Könige erhalten könne, wurde schnell beantwortet. Der Portier lächelte bei dem Aufdrucke „Sr. Majestät“, und sagte einfach: „Der König verweigert Niemand, wer es auch immer sei, eine Audienz;“ zu diesem Behufe habe ich mich nur in ein Buch einzuschreiben, worauf dann das Nöthige erfolgen würde. Er wies mich sodann an einen andern Diener, welcher mich in das Secretariat des Königs begleitete. In einem schönen, aber nicht überreich geschmückten Zimmer wurde ich hier empfangen und zum Sitzen genöthigt. Ohne mich nur zu fragen, was ich denn eigentlich bei dem Könige wolle, ließ man mich meinen Namen in ein großes Buch einzeichnen und bedeutete mir hierauf, daß ich des andern Tags Morgens neun Uhr wieder nachfragen könne, wann die Stunde der Audienz bestimmt sei. Ein Diener begleitete mich abermals die Treppe hinab und bemerkte mir sogar dabei, daß ich, wenn ich morgen nicht selbst kommen wolle, die Bezeichnung der Stunde brieflich in meine Wohnung zugesandt erhalten würde. Ich dankte jedoch für das letztere Anerbieten und antwortete, daß ich selbst kommen würde, indem ich müßige Zeit genug besäße.

Andern Tags um neun Uhr Morgens war ich wieder im Schlosse und in dem mir bekannten Secretariatszimmer. Hier erhielt ich eine Karte, auf welcher mein Name stand und daß ich morgen um eilf Uhr mich zur Audienz bei dem Könige einzufinden hätte. Innerhalb achtundvierzig Stunden von meiner Anfrage an sollte ich also vor dem Könige stehen. Dies ist gewiß schnell und pünktlich. Ich machte deshalb auch dem Secretär eine Bemerkung hierüber, indem ich zugleich meinen Dank beifügte. „Nicht dankenswerth, ist gern geschehen, Signor,“ hieß die freundliche Antwort, „wenn Sie aber mit der Audienz Eile haben, so ist vom Könige der Befehl gegeben, daß Jedermann allsogleich angemeldet werden solle; Sie können deshalb auch, wenn Sie Dringliches haben, in wenigen Stunden zur Audienz zugelassen werden.“ Ich verneinte die große Dringlichkeit, verbeugte mich, noch mehr verwundert, und ging dann auf dem nämlichen Wege wieder fort, den ich gekommen war.

Am nächsten Tage suchte ich mich in mein bestes Aussehen, nämlich in ein militärisches, zu werfen. Ich besorgte mit einer gewissen Sorgfalt Haar und Bart, weil ich hörte, daß auch der König viel auf seinen langen Schnurr- und Knebelbart und auf sein militärisches Aussehen halte. Schon etwas vor eilf Uhr traf ich nun ein, wo ich in den Saal der ehemaligen Schweizer, welcher, als eines der äußeren Vorzimmer des Königs, jetzt der Leibgarde zu Fuß als Versammlungsort dient, geführt wurde. Der Saal ist groß und geräumig, mit schönen Frescomalereien, Gold- und Silbersachen, sowie Möbels mit Sammet überzogen, geziert. Von dem Plafond herab hängen in schönster Symmetrie fünf große Gaskronleuchter, ebenso sind an den Wänden noch viele Vorrichtungen für Gasflammen. An einer Thür zu den innern Gemächern des Königs stand ein Leibgardist mit einfacher, aber dennoch schöner und praktischer Uniform und Armatur als Schildwache. Dieser Gardist gehörte zur Leibwache zu Fuß, bei der alle Soldaten Unterofficiersrang besitzen. Dem gedienten Soldaten sah man die Garde aber nicht allein an den Orden und Medaillen an, die ihn zierten, sondern auch an seinen wahrhaft schönen Gesichtszügen und dem hohen und schlanken Wuchse des Italieners. Mit dem Schlage eilf Uhr erschien aus den Zimmern des Königs ein Kammerherr und ein Adjutant und bedeuteten uns – da mittlerweile alle Gesuchsteller, sieben an Zahl, eingetroffen waren – einstweilen hier Platz zu nehmen. Nachdem man uns einiges Nöthige erklärt hatte, wurde bemerkt, daß nunmehr die Audienz beginnen werde, und daß wir nach der Reihenfolge unserer Anmeldung und Einzeichnung vorgerufen werden würden.

Vom Schweizersaal aber sah man in einen anderen kleineren und offen stehenden Saal, in welchem es ungemein anmuthig und lieblich aussah. Feine Teppiche lagen hier auf dem Boden und außer anderen Zierrathen standen auch in den Ecken des Zimmers auf vergoldeten Etageren viele wohlriechende Gewächse und Blumen. An der inneren Thür war von der Leibgarde zu Pferd eine Schildwache aufgestellt. Von dieser Garde ist jeder Soldat Officier und aus den besten und tüchtigsten langgedienten Officieren der Armee ausgewählt. Diese Schildwache hatte etwas wahrhaft Imposantes, man glaubte einen Kriegsgott selbst zu sehen. Auch hier war nichts mit Flitterwerk überladen; eine dunkelblaue Uniform mit scharlachrothem Kragen, silbernen Litzen, Epaulettes mit Fransen, Bandelier und Cartouchier von Silber, sowie ein Säbel mit gerader Klinge, dienten allein als Schmuck und Waffe zugleich. Die blaue Officiersschärpe hing über Schulter und Brust und ein Federhut mit der Tricolorkokarde bedeckte – schräg auf den Kopf gedrückt – die halbe und hohe Stirn; Schnurr- und Knebelbart aber zeigten schon viele graue Haare; die rechte Hand des Officiers hielt den Carabiner. Auch diese Wache trug, wie jene der Garde zu Fuß, die Orden des Unabhängigkeitskrieges. Nach dem kleineren Saale aber kam das Gemach des Königs selbst und hier stand die Officiersschildwache. Wir saßen nun Alle, wie wir uns angemeldet hatten, ohne Rücksicht auf Stand oder Alter. Der erste der Eingezeichneten schien mir, dem Aeußern nach, ein gewöhnlicher Arbeiter zu sein. Derselbe that aber nichts weniger als fremd, vielmehr als wenn er hier zu Hause und heimisch wäre. Er ließ sich ohne weiteres auf den ersten Sammetsessel nieder. Der zweite war ein schlichtes Bäuerlein, der sehr extrem-demokratische Grundsätze haben mochte, denn währenddem alle Anwesenden im Saale die Kopfbedeckung natürlich abnahmen, behielt der Bauer den Hut auf dem Kopfe. Wir mußten Alte lachen, den Bauer genirte dies aber nicht. Er behielt noch so lange den Hut auf dem Kopfe, bis ihm ein Adjutant freundlich lächelnd bedeutete, daß er doch den Hut abnehmen möge, indem er sich hier in den Vorzimmern des Königs befinde und er auch mit dem Hute in der Hand mit dem Könige sprechen müsse. Der bäuerliche Demokrat nahm nun ganz gelassen den Hut ab und meinte, daß hier eine andere Mode als bei seinem Bürgermeister sei. Dieser spräche nie mit ihm, ohne daß er zuvor gesagt hätte: „Aufgesetzt!“ und er dürfe nur mit dem Hute auf dem Kopfe mit dem Bürgermeister sprechen. Der Adjutant gab unter abermaligem allgemeinem Lachen nun wieder die Antwort, daß es überall Ausnahmen gäbe, und so bestände auch eine solche hier, wo man gewöhnt sei, den Hut abzuziehen; wenn er, der Bauer, aber wieder zu seinem Bürgermeister komme, so könne er immerhin seinen Hut aufbehalten.

Höchst auffallend ist es wirklich, mit welcher wohl beispiellosen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_071.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)