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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

einen königlichen Souffleurkasten hinabgestiegen und dabei Präsident der allbekannten Stammkneipe „Vater Siechen“ in Berlin ist). Meyerbeer’s „Prophet“ war damals wie ein leuchtendes Meteor von Paris aus am Opernhimmel aufgegangen, alle bedeutenderen Bühnen Deutschlands wetteiferten, die neue Oper mit entsprechendem Glanze in Scene zu setzen, und auch Martini klopfte nun indirect im Interesse seiner Casse deswegen bei Schneider an.

„Wollen sehen,“ brummte dieser endlich in seiner gewohnten Weise. „Will’s dem Herzoge vorschlagen. Habe die Partitur durchgesehen, ist ganz hübsche Musik d’rin, namentlich hat mich Meyerbeer durch das Trio im Krönungsmarsch zu ganz besonderem Danke verpflichtet.“

„Sie, Herr Capellmeister? wie so?“ frugen Alle.

„Weil er es aus meinem Oratorium ,Absalon“ so vortrefflich abgeschrieben,“ antwortete der“ alte Schneider seinen erstaunten Freunden, indem sich ein Schimmer ungeheuchelter Freude in seinem rothen Gesichte zeigte.

„Und Sie sind darüber nicht böse?“ frug man wieder.

„Wie sollte ich das?“ versetzte der Capellmeister ruhig. „Mit meinem vor Jahrzehnten einmal aufgeführten Absalon wäre das dankbare Motiv nun bald den Würmern und der Vergessenheit überliefert, während es in Meyerbeer’s Oper die Mit- und Nachwelt noch lange erfreuen wird; für diese Rettung bin ich ihm entschieden Dank schuldig.“

Bei diesen Worten ging die Thür auf und herein trat, das unvermeidliche Käpfelchen ein wenig lüftend, der greise Wirth des Hauses. Vorsichtig, als ob er das Gespräch zu stören fürchte, trat er an Martini heran und flüsterte ihm etwas in’s Ohr. Dieser antwortete verdrießlich: „Ich habe es ihm ja heute Morgen schon gesagt, ich kann seinen Jungen jetzt nicht gebrauchen. Wiederholen Sie ihm das noch einmal,“ rief er dem schnell sich entfernenden Wirthe nach und fuhr dann, wieder zur Gesellschaft gewendet, fort: „Was heutzutage alles zur Bühne gehen will! Bringt mir da bei dem Wetter ein alter Bauer oder Gastwirih aus Erxleben bei Magdeburg seinen achtzehnjährigen Sohn her, klagt mir die Ohren voll, daß der Junge durchaus bei der Maschinenschlosserei in Magdeburg nicht mehr bleiben wolle, und bittet mich, da er von der Liebe zum Theater nicht abzubringen sei, ihn als Choristen und für kleine Rollen im Schauspiel zu engagiren. Was soll ich aber mit der ungeschlachten Gestalt anfangen? Brauchten wir gerade einen Coulissenschieber – dazu wäre der Junge allenfalls zu verwenden – aber zum Schauspieler – – –“

Hier schwieg er, denn die Thür war wieder aufgegangen und des Hauses redlicher Hüter, bei Alt und Jung in Dessau als „der alte Herre“ bekannt, erschien zum zweiten Male in derselben Angelegenheit. „Herr Director,“ sprach er, „der alte Niemann läßt sich durchaus nicht abweisen, und der junge ist erst ganz und gar des Teufels! Er will nicht wieder mit nach Erxleben, und da der alte Mann keinen andern Rath weiß, so hat er sich entschlossen, lieber Lehrgeld zu zahlen, als seinen Albert wieder mitzunehmen.“

Die Gesellschaft brach in ein herzliches Lachen aus, auch des Directors martialische Züge erheiterten sich bei diesem „Worte von gutem Klang“, und der alte Schneider rief: „Nun, Martini, wenn er partout nicht anders will, so können Sie ja den Versuch machen und ihn zunächst noch mit ,statiren’ lassen. Man weiß ja nicht, was aus dem Menschen werden kann.“

Der Director nickte beifällig und folgte dem alten Wirthe, der ihn am Arme fast hinwegschleppte, zum Zimmer hinaus, um draußen unter dem Heulen des Novembersturms den verhängnißvollen Seelenkauf persönlich abzuschließen.

Schmunzelnd und eine gefüllte Brieftasche vorsichtig versenkend, trat er nach einer kurzen Weile wieder ein und sprach, nachdem er sich gesetzt und einen tüchtigen Zug aus seinem noch gefüllten Glase gethan hatte: „Das Geschäft war gemacht! Dreihundert Thaler Lehrgeld und drei Jahre unentgeltlich als Chorist und in kleinen Rollen spielen –“

„Das ist kaum zu glauben und in meiner Praxis bis jetzt nicht vorgekommen!“ lachte der alte Capellmeister. „Sie müssen aber nun auch redlich Ihre Pflichten gegen den jungen Menschen erfüllen!“ Dann erhob er sein Glas – er trank seit Jahren nur äußerst mäßig – stieß mit den Freunden in der Runde an und verließ unter dem Ausrufe: „Auf daß uns mehr Solche geboren werden!“ mit heiterem Schmunzeln das Zimmer.

Zwei Jahre waren seit dieser Scene verstrichen und zwei Mal war Martini mit seiner Gesellschaft nach Halberstadt übergesiedelt und wieder nach Dessau zurückgekehrt. Hier trank der alte Schneider noch immer nach den Vormittagsproben den Wein des Hirschwirthes; aber von Niemann war in seiner Nähe nur selten wieder die Rede gewesen. Zuweilen sah er freilich die hohe, aber etwas ungeschickte Gestalt des jungen Mannes im Chore stehen und mit großem Eifer singen, oder bemerkte ihn wohl auch, wenn er bei Verwandlungen mit großer Kraft, aber auffallendem Mangel an theatralischem Anstand, Tische und Stühle ab- und zutrug. Blickte er dann, wenn er anderen Tages im Kreise der Freunde saß, auf den zufällig vor ihm liegenden Theaterzettel und fand auf demselben: ein Ritter – Herr Niemann, oder: ein Mönch – Herr Niemann, ein Diener – Herr Niemann, so fragte er wohl: „Nun, Martini, wie steht’s mit Ihrem Zögling für dreihundert Thaler?“ Worauf dieser antwortete: „Aus dem wird sein Leben nichts, er bleibt steif wie ein Bock und der Hansnarr des Publicums.“

In der That war dem so, aber die Schuld lag nicht allein auf Niemann’s Seite. Kleinere Städte ohne reges öffentliches Leben entwickeln oft aus ihrer socialen Atmosphäre eine ganz besondere Sorte von boshaften Harmlosigkeiten; sie bedürfen zu ihrer Unterhaltung einer Persönlichkeit, an der sie sich reiben, an der die Humoristen des Ortes ihren wohlfeilen Witz üben und die klugen Köpfe mühelos ihre Ueberlegenheit bewähren können. Ein solches Stichblatt und Opferthier war damals Niemann für manche Kreise des Dessauischen Publicums geworden. Der blonde und hochgewachsene junge Mann, der Schulen besucht und seine Jugend in Magdeburg verlebt hatte, war im persönlichen Verkehr keineswegs, was man einen ungewandten Burschen nennt. Aber gerade der Widerspruch seiner mehr als untergeordneten und höchst unbeholfenen theatralischen Leistungen mit seiner außerhalb der Bühne zwar treuherzig offenen, aber etwas kecken, streitlustigen und immer kampfbereiten Manier hatte ihn in eine schiefe Stellung gebracht. Kaum war er einige Wochen in Dessau, so hatte sich zwischen ihm und vielen einflußreichen Gästen der Bierhäuser ein Kriegszustand entwickelt, der ihn von hier aus bis auf die Bühne verfolgte, wo er natürlich die vom Parterre beharrlich ihm gespielten Neckereien und losen Streiche nicht mit seinem lebhaften und furchtlosen Mutterwitze zu pariren vermochte. Kurz, „der ehemalige Maschinenbauer, der sich in den Kopf gesetzt hatte, ein Schauspieler zu werden,“ stand ein paar Jahre hindurch auf dem Belustigungsprogramm gelangweilter Residenzbewohner, die unermüdlich waren, ihn zum Kampf zu reizen und mit ihm Scenen herbeizuführen, an denen die Schadenfreude professionirter Schabernacksspieler noch lange gezehrt hat. Daß er von dieser Seite her mit stürmischem Beifallsklatschen und johlendem Bravorufen belohnt wurde, wenn er ungeschickt aus der Coulisse trat und klanglos ein paar sorgfältig einstudirte Worte sprach, war etwas ganz Gewöhnliches und sicher schallte ihm jedes Mal Gelächter nach, wenn er nach Ausrichtung einer ernsten Botschaft die Bühne in feierlicher und meistens allerdings komisch sich ausnehmender Haltung verließ. Man sieht, der Weg dieses jugendlichen Kunstbeflissenen war reichlich mit Dornen besäet und es gehörte für ihn kein geringes Selbstgefühl dazu, sich schutzlos, wie er war, durch all’ diesen Hohn, diese vielseitigen Einschüchterungen und Entmuthigungen hindurchzuringen und dem einmal gefaßten Entschlusse treu zu bleiben. So war denn beinahe auch das dritte Lehrjahr verstrichen und die Zeit seiner Entlassung rückte immer näher heran, ohne daß er es auf dein Wege zum tragischen Helden und Liebhaber, diesem Ziele seines Ehrgeizes, weiter gebracht, als bis zum Statisten und Choristen. Da spielte ganz plötzlich eines Abends der Zufall einen seiner launischen Streiche. Meyerbeer’s Hugenotten wurden gegeben und der aller Welt bekannte Nachtwächter von Paris hatte sich auf seiner nächtlichen Fahrt in der Bartholomäusnacht erkältet und konnte die Rolle nicht ausführen, um die ihn sein College Niemann schon längst beneidet hatte. Dieser faßte sich ein Herz und meldete sich als Lückenbüßer. Der kleine Director maß den großen Nachtwächter vom Kopf bis zum Fuß, dann sprach er ironisch: „Fast zu viel für die kleine Lücke; indeß, meinetwegen, es giebt ja in der Welt auch große Nachtwächter.“

Wie ein Wetter hatte Niemann den Mantel um, die Pudelmütze auf dem Kopfe, Stab und Laterne in der Hand und ließ sein „Verwahrt das Feuer und das Licht“ so leidenschaftlich bewegt in die Welt hinausschallen, daß ihn das ganze Publicum wieder ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_063.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)