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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Vom Statisten zum Sängerkönig.


Wer das stille und schmucke Dessau jemals an einem schönen Frühlingstage gesehen, wird die heitere Anmuth, den lieblichen Festtagsglanz seiner idyllischen Umgebungen nicht wieder vergessen haben. Trübseliger ist es dort freilich im Spätherbst und ganz besonders trübselig war es in jenem Spätherbst des traurigen Jahres 1849, als von Berlin und Wien aus der eisige Reactionswind bis in die verborgensten Winkel Deutschlands blies und die kaum ersprossene Blüthe eines stolz und frisch aufstrebenden Volkslebens überall wieder geknickt und gewaltsam zu Boden getreten wurde. Auch dem kleinen Dessau konnte dieser schnöde Wechsel der Verhältnisse nicht erspart bleiben und er wirkte hier um so verwirrender, je inniger der überwiegende Theil der Bevölkerung dem kurzen Freiheitstraum sich hingegeben hatte. Dieser Schmerz und grimmige Erbitterung erfüllten viele Gemüther, während die reactionäre Strömung auf der andern Seite allen zeitweilig zurückgedrängten Schmutz, alle Beschränktheit und niedrige Gesinnung des kleinresidenzlichen Lebens von Neuem zu entfesseln und zu widerwärtigster Hetzerei an die Oberfläche zu treiben wußte. Wer derartige Stürme in einem Glase Wasser niemals selber mit durchlebt hat, kann sich keine Vorstellung machen von dem Grade der Unverschämtheit und des höhnenden Uebermuthes, mit welchem unter ermunternden Umständen Wankelmuth und speichelleckerische Kriecherei, Verrath, Angeberei und übelriechende Antriebe der verschiedensten Art sich als eben so viele Tugenden zu brüsten und über Manneswürde und Ueberzeugungstreue zu triumphiren vermögen. Zu einem gewaltsamen Zusammenstoße kam es in Dessau nicht, aber ein tiefer Riß, eine in engen Verhältnissen doppelt empfindliche Zwietracht ging durch das bürgerliche Leben und machte namentlich die Wirthshäuser und Erholungsorte zu Stätten leidenschaftlichen und endlos gährenden Streites.

Unter diesen Umständen, die sich mit dem allmählichen Erlöschen der freundlichen Jahreszeit immer unheimlicher und beklemmender gestalteten, wurde es natürlich von vielen Bewohnern wie eine wahre Erlösung betrachtet, als endlich die Theatersaison begann und wenigstens nach einer Seite hin eine beliebte und altgewohnte Ablenkung versprach. Dessau hatte damals noch kein stehendes Hoftheater, sondern wurde während des Winterhalbjahrs von der trefflichen Gesellschaft des Directors Martini besucht, der hier für seine Vorstellungen das herzogliche, mit allem Ausstattungsmaterial reichlich versehene Schauspielhaus, ferner eine tüchtige Ergänzung seines Opernpersonals und neben vielen anderen Erleichterungen vor Allem eines der großartigsten Orchester Deutschlands unter der ausgezeichneten Leitung des berühmten Friedrich Schneider fand.

Auch Friedrich Schneider gehörte in jenen Tagen zu den „mißliebig“ gewordenen Persönlichkeiten. Der mit außerordentlicher Hingebung seinem künstlerischen Schaffen und seinen amtlichen Pflichten lebende Componist des „Weltgerichts“ hatte zwar niemals eine irgend prononcirte politische Rolle gespielt. Aber hinter seiner mächtigen Stirn, hinter der wortkargen Originalität und gedrungenen Barschheit seinen Wesens barg sich der helle und aufgeklärte Sinn eines humanen Denkers, besonders aber ein ehrenfester deutscher Charakter, der, trotz seiner abhängigen Stellung als Hofbeamter, niemals in liebedienerischer Schmeichelei sein Haupt gebeugt und auch jetzt dem Siege der rückschrittlichen Gewalten kein Lob- und Jubellied gesungen hatte. Unter keiner servilen Adresse, in keiner Liste eines treubündlerischen Vereins war der Name dieses alten „herzoglichen Dieners“ zu finden. Dies war genug, ihn bei einer gewissen Hof- und Bureaukratenpartei verhaßt zu machen und einen selbstbewußten Wortführer des fanatisirten Lakaienthums zu der Aeußerung zu veranlassen: „Wenn mir der Herzog Vollmacht gäbe, würde ich den alten Kerl von dem Dirigentenpulte weg arretiren und in’s Loch stecken lassen. Er ist, weiß es Gott, der unverbesserlichste Demokrat im ganzen Lande!“ Als dem ehrwürdigen Meister diese Worte von empörten Freunden hinterbracht wurden, schüttelte er mit lächelnder Zustimmung den mehr als ausdrucksvollen, von langen weißen Locken umwallten Charakterkopf und sagte dann mit seiner heisern Stimme:

„Der Mann hat Recht, wer hätte jemals so vielen Scharfblick in ihm vermuthen können, es muß bei ihm zu tief gelegen haben, zu tief! Hat er nicht auch gesagt, daß ich ein schlechter Capellmeister bin?“

„Nein, Herr Capellmeister, das hat er nicht gesagt.“

„Nun, dann hat’s nichts auf sich; um das, was ich sonst sein und denken will, wird weder er noch der Herzog sich zu kümmern haben!“

Wußte sich aber auch der wackere und schlichte Mann in dieser Weise mit dem großsinnigen Humor des echten Künstlers über manche unangenehme Folgen seiner nagelneuen Anrüchigkeit hinwegzusetzen, so konnte ihn doch in jener Zeit der mildherzige, persönlicher Verfolgungssucht widerstrebende Sinn seines Fürsten nicht immer gegen manche ungewohnte factische Kränkungen schützen, die ihm das Leben hier und da verbittern mußten. Er war daher gleichfalls froh, als endlich Martini mit seinen Schaaren einrückte und die Wiedereröffnung der Oper eine Fülle von ablenkender Arbeit brachte. Seit Jahren hatten Concert und Oper in Dessau unter Friedrich Schneider's Leitung eine ganze Reihe von unvergeßlichen Glanzperioden durchlebt und noch immer widmete er sich dieser Lebensaufgabe mit ungeschwächtem Jugendfeuer. Ihn dirigiren, und namentlich classische Musik dirigiren zu sehen, war allein schon ein Genuß, so ergreifend prägte sich bei dieser Gelegenheit in seinen maßvollen Bewegungen und in seiner zwar unschönen, aber imponirenden Erscheinung der heilige Ernst und hoheitsvolle Eifer einer von der Weihe der Kunst durchglühten Seele aus. Wie ein Imperator beherrschte er Sänger und Orchester, und wie sehr auch zuweilen hinter dem Weinglase die rauhe Schale seines Wesens zu schmelzen, wie heiter und gemüthlich ihn ein fröhliches Gelage oder ein geselliger Verkehr zu stimmen vermochte, in musikalischen Dingen und besonders in solchen, welche seine Aufführungen betrafen, verstand er keinen Spaß, kannte er keine Schonung, weder für sich noch für Andere. Dieselbe schöne Sängerin, welcher er noch gestern Abend in überfließender Zärtlichkeit die Hand geküßt, derselbe hochbejahrte Kammermusikus, mit dem er vor einer Stunde noch Jugenderinnerungen ausgetauscht, mußten oft in der nächsten Probe die drastische Grobheit seines wuchtigen und schnell auflodernden Zorns empfinden, wenn sie durch irgend einen kleinen Fehler, einen leisen, von Anderen kaum vernommenen Mißton sein bis zur wunderbarsten Feinheit ausgebildetes Gehör beleidigt hatten.

Trotzdem wurde er von seinen Untergebenen nicht blos gefürchtet sie zitterten allerdings vor ihm, aber sie verehrten ihn auch und hingen ihm mit jener stolzen Liebe an, wie der Soldat an seinem strengen, aber großen Feldherrn hängt. Das zeigte sich mit besonderer Wärme nach seinem Tode. Als seine ergrauten Capellisten bei seinem Begräbnisse manche verdiente officielle Ehrenbezeigungen vermißten, nahmen sie selber den Sarg auf ihre Schultern und trugen ihren todten Meister von seinem Landsitze erst durch die Straßen der Stadt und dann unter dem Zudrange der ganzen Bevölkerung zum Friedhofe hinaus. Es war ein denkwürdiges und ergreifendes Schauspiel. Ueberhaupt ist wohl selten ein großer Musiker zugleich eine so volksthümliche Figur gewesen, als es der „alte Schneider“ in Dessau war. Obwohl eine gewinnende Leutseligkeit keineswegs zu seinen Tugenden gehörte, witterte man doch hinter der wenig freundlichen Außenseite den edlen und tiefen Kern eines ganzen Mannes.

In jener traurigen Zeit des Jahres 1849, von der wir sprechen, konnte man Schneider, der sonst gern ein paar Stunden in einem Wirthshause verkehrte, nur noch selten an solchen öffentlichen Orten begegnen. Unangenehme Erfahrungen, die er gemacht, sowie der ewige Parteihader, mochten wohl noch störender als die Mißtöne aus dem Orchester in seine Künstlerseele gegriffen und ihn zu größerer Zurückgezogenheit gezwungen haben. Nur nach den anstrengenden Vormittagsproben erholte er sich hin und wieder bis zur Zeit des Mittagessens im traulichen Parterrezimmer des Gasthofs „Zum goldenen Hirsch“, wo sich dann ein wenig zahlreicher Kreis von Getreuen um ihn versammelte und nur von Kunst- und Theaterinteressen gesprochen wurde. Es war ein sogenanntes „trockenes Plätzchen“, das der Alte in der allgemeinen Sündfluth sich erobert hatte. Hier saß er auch einst, behaglich in die Sophaecke gelehnt, an einem trüben Novembertage und schaute bald in die todte, von Schneegestöber erfüllte Straße hinaus, bald hörte er schweigend einem Gespräche zu, das zwischen dem Baritonisten Nusch, einem der tüchtigsten und beliebtesten Mitglieder der Dessauer Oper, und dem Director Martini geführt wurde (der jetzt längst nicht mehr Theaterdirector, sondern in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_062.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)