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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Die größte Papiergeldfabrik der Welt.

Es ist eine bekannte Thatsache, daß seit dem zweiten Jahre der südlichen Rebellion das schöne Gold- und Silbergeld der Vereinigten Staaten von Nordamerika gänzlich aus dem täglichen Verkehre, und mit ihm eine andere jener schönen Illusionen des Eingewanderten verschwunden ist, in dessen Augen es ein erheblicher Vorzug seines Adoptivvaterlandes war, daß es, weder „Cassenscheine“ noch die kleine Kupferscheidemünze hatte. Was aus dem Gold- und Silbermünzen der Vereinigten Staaten geworden, ist eine schwer zu beantwortende Frage, die ihre Lösung wohl erst dann findet, wenn der Congreß die Wiederaufnahme. der Baarzahlungen beschließen wird, was schwerlich vor dem 1. Januar oder 4. Juli 1869 geschehen dürfte, nicht etwa weil man die Vereinigten Staaten nicht genügend erstarkt dazu hielte, sondern weil man auch die Interessen der mit dem jetzigen Zustande eng verbundenen Capitalien zu berücksichtigen hat und einen allmählichen Uebergang anzubahnen wünscht.

Die Summe des in Circulation befindlichen Papiergeldes, der sogenannten Greenbacks (als Gesammtheit werden sie auch legal tenders, gesetzliches Zahlmittel, oder Currency, zur Unterscheidung von Gold, genannt), beträgt etwa dreihundert Millionen Dollars, ist jedoch seit Anfang 1867 durch den Schatzsecretär, auf Grund einer Ermächtigung des Congresses, monatlich um vier Millionen Dollars reducirt worden. Kaum an irgend eine Folge des Kriegszustandes konnte das Volk sich so schwer gewöhnen wie an das Papiergeld, und jetzt hat man sich so sehr damit ausgesöhnt, ihm so viele gute Seiten abgewonnen, daß die Rückkehr zu Baarzahlung nicht allein unter den Speculanten von Wallstreet in New-York, der bekannten Börsenmännerstraße, sondern auch im Volke Gegner findet.

Unserm großen Staats- und Finanzmann Salomon Chase lag mit der unendlichen Last der Beschaffung der Geldmittel zu den beispiellosen Ausgaben auch die Aufgabe ob, das Papiergeld herzustellen, und es ist ihm und seinen Gehülfen gelungen, nicht nur das am schwierigsten nachzuahmende Papiergeld vom Tausend-Dollarscheinen bis zu dem von fünf Cent zu beschaffen, sondern auch die großartigste und wunderbarste Papiergeldfabrik zu errichten, die je existirte.

Bei Papier und Druck ging man von der gewiß richtigen Ansicht aus, daß ersteres so dauerhaft wie möglich sein solle, ohne jedoch der durch den schnellen Umschlag bedingten Biegsamkeit Eintrag zu thun, und daß letzterer einmal Feinheit und größte Complication verbinden und weiter jede Note mehrere schwierige Druckprocesse durchgehen müsse. Zeit und Geschicklichkeit mochten die ersten beiden Erfordernisse auch im verschwiegen abgeschlossenen Zimmer des Künstlers liefern, aber diese Druckprocesse erheischten theure Maschinen, vielen Raum und daher eine gefährliche Oeffentlichkeit. Der Feind, vor dem man sich am ängstlichsten zu hüten hatte, war die Photographie, da sie jede Linie mit der absolutesten Genauigkeit wiedergiebt. Dr. Gwyne, ein alter geistreicher Erfinder, entdeckte indeß gleich Anfangs ein Papier, das nachzuahmen selbst der Photographie unmöglich war. Kein Mensch hat je ausgespürt, wie er das Wasserzeichen von matten, sich ausspreizenden Linien, unter dem Namen „Spinnenbeine“ bekannt, herstellte. Keine chemische Substanz vertilgte sie, ohne zugleich das Papier zu zerstören. Selbst gegen ein starkes Licht gehalten, waren nur mit Mühe die matt-gelben Linien zu entdecken, während auf der photographirten Nachahmung ein ganzes Netz von groben, verrätherischen und ganz schwarzen Spinnenbeinen dem· Auge bestimmt entgegentrat. Ueberdies konnte man das Papier waschen und reinigen, selbst mit Seife, ohne Nachtheil; die Substanz blieb fest, der Druck klar, der Golddruck unverlöscht. Dieses wunderbare Papier wurde während sechs Monaten benutzt. Schatzsecretär Mac Culloch schaffte es, wie es scheint, aus sehr schwachen Gründen ab.

Vielleicht kann ich mir hier ein kleines Verdienst um bedrängte europäische Regierungen erwerben, wenn ich ihnen mittheile, daß jüngst der Regierung der Vorschlag gemacht wurde, die Scheine auf eine besondere Gattung Leinwand zu drucken, mit einem neuen, unvertilgbaren Zeichen, ähnlich dem Wasserzeichen. Die dazu nöthige Jaquardmaschine kostet zwanzigtausend Dollars.

Für die Mehrzahl der Leser werden diese Mittheilungen über das jetzt in den Vereinigten Staaten gangbare Papiergeld genügen. Mögen sie nun mit mir die Bureaux betreten, in denen dieses Tauschmittel, das vom atlantischen bis zum stillen Oceane und von den britischen Besitzungen in Amerika bis zum Rio Grande in Jedermanns Händen ist, geschaffen wird. Es befinden sich dieselben in der Westseite des Schatzamtgebäudes, das unter den großartigen, meistens von weißem Marmor erbauten öffentlichen Gebäuden der Bundeshauptstadt Washington an Ausdehnung nur dem Capitol und in edlem Stile und Verhältnissen blos dem Patentamte nachsteht. Das Material ist weißgrauer Granit und die ungeheuren Säulen sind alle aus einem Stücke.

Die verschiedenen Maschinerien werden von dreizehn, im Kellergeschoß aufgestellten Dampfmaschinen, mit einer Gesammtpferdekraft von dreihundert Pferden getrieben. Einige sind wahre Wunder, die durchaus ohne Geräusch oder Reibung, gleichsam auf Strümpfen gehen, aber mit dem Arme eines Riesen eingreifen. Neben dem Dampfmaschinen liegen in dem Kellerraume die Schmiede, wohin Roheisen und Stahl zum Verarbeiten gebracht werden, und die große Maschinenwerkstätte, wo jeder Apparat, vom größten und schwersten bis zum kleinsten und complicirtesten, reparirt und gestaltet wird. Auf sie folgt die Farbenfabrik. In ihr wird wöchentlich eine Tonne Farbe von zwölf verschiedenen Farben und Schattirungen zubereitet. Geschäftig summende kleine Dampfmühlen mahlen die Bestandtheile; die mit dem Mischen, Messen und Abwägen beschäftigten Arbeiter gleichen wandelnden Regenbogen; ihre Kleider, Angesichte und kräftigen Arme schimmern schwarz und blau, grün und röthlich. Dann kommt die Papiermühle. Das Rohmaterial erhält sie aus den Abschnitten des Binde- und Umschlagraumes und anderen Abfällen des Schatzamtes. Der Vorrath ist stets größer als der Bedarf. Hohe Gewölbe sind vollgestopft mit beschmutzten Bogen und Streifen, die ihrer Verarbeitung entgegensehen. Ganze Haufen von unbenutzten Formularbüchern für das innere Steuersystem, wegen kleiner Fehler verworfen, erwarten ihre Auferstehung zum vielbewegten Leben eines Greenback. Alle abgenutzten, beschmutzten, theilweise oder ganz zerstörten Greenbacks werden ersetzt. Nach den bisherigen Erfahrungen wird angenommen, daß zehn Procent der ersten Ausgabe nie zurückkehren werden, ein Gewinn für die Regierung von dreißig Millionen Dollars. In dem Maschinenraume fällt dem Besucher zunächst ein langsam sich umdrehender kolossaler Cylinder auf, von dem Durchmesser eines Oxhoft und vierfach von dessen Länge. Er wird mit drei Schlössern verschlossen, deren Schlüssel sich im Verwahr von drei vom Schatzsecretär dazu bestellten Vertrauensmännern befinden.

Wenn die abgenutzten und alten Scheine zerschnitten und durchlöchert worden, um sie unbrauchbar zu machen, werden sie in Gegenwart der drei Schlüsselbewahrer in den Cylinder geschüttet und von diesen die Schlösser verschlossen. Vierundzwanzig Stunden dauert das Umschütteln in Wasser und Chemikalien.Nach Ablauf dieser Zeit kommen die Bewahrer mit ihren Schlüsseln zurück, Jeder ein Beobachter des Andern und Alle zusammen des Papiermachers, und halten eine genaue Schau, ob nicht Scheine unverletzt geblieben, so daß sie aufgeflickt, wieder zusammengesetzt und als Geld in Umlauf gesetzt werden könnten. Regelmäßig sind sie jedoch sämmtlich vollständig zersetzt und erheischen keinen weiteren Verschluß. Diese Masse wird nun von einer Dampfpumpe in ungeheure Behälter in einem darüber gelegenen Raume gepumpt, worin die Farbestoffe so rein ausgewaschen werden, daß die Masse geronnener Milch (Quark) vollkommen ähnlich sieht, worauf diejenigen Farbestoffe beigemischt werden, welche für das neue Papier erforderlich sind. Die breiartige Masse wird hierauf durch ein außerordentlich feines Sieb hindurchgezwängt und demnächst auf einem anderen Siebe von Stahldraht dünn und gleichmäßig ausgebreitet. Obwohl sie nun das Ansehen von Papier gewinnt, so besitzt sie doch noch zu wenig Stärke, um selbst das eigene Gewicht zu tragen. In diesem Zustande wird der Masse vermittels eines Drahtrahmens, der auf dieselbe von oben herabdrückt und sie an den gedrückten Stellen verdünnt, das Wasserzeichen gegeben. Es besteht aus einem T in einem kleinen Viereck, das in dem fertigen Papiere leicht sichtbar ist, wenn es gegen Licht gehalten wird.

Der endlose Breibogen auf dem endlosen Siebe bewegt sich fort zwischen erhitzten Rollen, die das Wasser theils ausquetschen und theils verdampfen, während die Masse immer fester und fester wird, bis sie, am Ende des langen Raumes, als eine endlose Rolle fertigen und sechs Fuß breiten Papieres herauskommt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_056.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)