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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Glauben Sie, ich thu’s des Dankes wegen?“ lachte der Oberst auf.

„Nein – aber wenn die Sache ruchbar wird, so kann es nicht in Ihrem Interesse liegen, wenn man hinzusetzt: Oberst La Croix ist dem flüchtigen Paare mit einer Patrouille begegnet! Es wäre möglich, daß der König Sie früge: ,weshalb haben Sie die flüchtige Schöne ihren Eltern nicht zurückgebracht, mein Herr Oberst?“ –

„Nun ja, mag sein!“ antwortete der Oberst, „Sie haben Recht. Aber das ist meine Sache. Sorgen Sie nur, daß der König Ihnen nicht Dinge sagt, die ärger lauten. Und nun machen Sie, daß Sie fortkommen – adieu beau masque!“

Damit warf der Oberst lachend sein Pferd herum und ritt davon, der Schönfelder Allee zu. Seine Gensd’armen folgten ihm.

„Bei meiner Seele,“ sagte Wilhelm tiefausathmend und wieder auf seinen Bock kletternd, „das ist wunderbar gut gegangen … ich hätt’s nun und nimmer geglaubt!“

Auch Mensing nahm seinen Platz wieder ein.

„Ich habe zehnfache Todesangst ausgestanden,“ flüsterte Elise ihm zu.

„Aber, ich denke, wir haben jetzt alle Gefahr überstanden,“ sagte Mensing – „die schlimmste wenigstens liegt hinter uns. Jetzt vorwärts, Wilhelm, so rasch es nur geht!“

Wilhelm ließ seine Pferde eilen, so gut es bei dem Dunkel der trüben Nacht möglich war.

So wurde bald die Fulda erreicht. Man kam glücklich durch die Fuhrt und ohne weitere Fährlichkeiten bis zum Pachthofe der Mutter Mensing’s. Es mochte gegen zwei Uhr sein, als sich hinter dem Fourgon die Flügel des Hofthores schlossen. –




4.

Als der Oberst La Croix die Schönfelder Allee erreicht hatte, ließ er sein Pferd in einen gestreckten Trab fallen und ritt zur Napoleonshöhe hinauf, auf’s Lebhafteste mit der Begegnung beschäftigt, welche er eben gehabt hatte. Und zwar in der heitersten Stimmung darüber. Dieser kecke Lieutenant, der mit der Tochter Boucheporn’s bei Nacht und Nebel davon ging, rächte ihn auf’s Gründlichste an seinem alten Widersacher und Feinde. Wie ergötzlich mußte es für ihn sein, da oben im Schlosse den Grafen und die Gräfin in vollster Heiterkeit zu erblicken, ganz dem Vergnügen und dem Genuß des Augenblicks hingegeben, ohne eine Ahnung davon, daß unter den vielen Hundert Masken, welche in den Sälen durcheinander wirbelten, Comtesse Julie nicht mehr sei, daß unter den vielen Griechencostumen, die sicherlich nicht fehlen würden, nicht einer dieser rothen goldgestickten Fez das braune lockige Haupt ihres koketten Töchterchens bedecke! Und welche Scene mußte es später, wenn Alles sich demaskirte, geben … wenn Comtesse Julie fehlte, wenn Graf und Gräfin durch die Menge irren würden, vergebens das theure Haupt, welches ihnen fehlte, suchend! Welches Aufsehen, welche Bewegung, welcher Scandal! Es war doch ein wenig leichtsinnig und unüberlegt gehandelt von diesem deutschen Lieutenant, seine Geliebte just von einem Maskenball bei Hofe zu entführen! Freilich, eine vortreffliche Gelegenheit, um unerkannt mit ihr zu entkommen, mochte es gewesen sein – dafür mußte aber auch der Lärm, welcher darüber entstand, hundert Mal größer werden. Man war an König Jerôme’s Hof an starke Dinge gewöhnt. Es waren tollere Liebesabenteuer da vorgekommen, und gegen die Verführungen der Leidenschaft mußte man Nachsicht zu üben. Doch wer wußte, ob der König nicht diesen Streich, der auf seinem Balle ausgeführt, zu dem sein Fest wenigstens benutzt worden, desto ernsthafter, wohl am Ende gar als eine persönliche Beleidigung nahm und den Lieutenant sehr schwer die Folgen seiner Verwegenheit fühlen ließ?

Aber was ging das Alles den Oberst an – er hatte nur Ursache, sich recht herzlich darüber zu freuen, und das that er aus dem Grunde seiner Seele, und wäre es nicht Nacht gewesen, man hätte die Schadenfreude aus seinen Augen leuchten sehen können, wie er jetzt trotz der Dunkelheit raschen Trabes durch die Schönfelder Allee dahinritt.

Als er vor dem Schlosse oben angekommen war, sprang er aus dem Sattel, gab sein Pferd einem seiner Leute, damit dieser es in den Marstall führe, und entließ die Gensd’armen.

Er eilte alsdann in’s Schloß, durch das hell erleuchtete, mit exotischen Pflanzen geschmückte Vestibül, die Treppen, an deren Fuß zwei Gardes du Corps in ihrem theatralischen, mit Gold bedeckten Costüme Wache standen, hinauf, durch die Gruppen geschäftiger Dienerschaft, an den Festsälen vorüber und in den obern Stock empor, in die Zimmer, welche Graf Boucheporn dort zu seinem Aerger ihm hatte einräumen müssen.

Sein Kammerdiener erwartete ihn. Er hatte Alles, was zum Ballanzuge des Obersten gehörte, zurecht gelegt.

„Wie spät ist es, Jean? – ich glaube, wir müssen uns sputen,“ rief der Oberst eintretend aus.

„Es ist ein Viertel nach Zwölf, Herr Oberst,“ antwortete der Kammerdiener. „Sie kommen also noch immer früh genug zum Souper, das um ein Uhr für die Damen und um halb zwei für die Herren beginnen wird.“

„Und wie ist das Fest?“

„Im höchsten Grade animirt,“ antwortete Jean, eben damit beschäftigt, die Reiterstiefel des Obersten auszuziehen, „der König hat noch kein schöneres, glänzenderes gegeben, höre ich, – die Masken sollen ganz ausgezeichnet schön und reich sein. Hier sind die Ballschuhe und hier die seidenen Strümpfe. Majestät trägt nur einen rosaseidenen Domino. Der Herr Oberst haben sich für Ihren Dienst wahrhaft aufgeopfert, daß Sie unterdeß draußen in dem abscheulichen Wetter umhergeritten sind!“

„Was willst Du, Jean – Dienst ist Dienst und außerdem – gieb mir den Schuhlöffel – außerdem hatte ich besondere Veranlassung, einmal selbst ein wenig zu vigiliren und zu sehen, ob die Posten auf dem Qui vive! sind. Es war mir da eine kleine anonyme Warnung zugekommen … wegen des Schatzes, weißt Du, Jean, der noch immer irgendwo hier auf der Napoleonshöhe verborgen sein muß, weil alle unsere Informationen dahin gehen, daß ihn der Kurfürst nicht mitgenommen hat …“

„Ich weiß, ich weiß,“ sagte Jean aufhorchend. „Der Herr Oberst haben ja geschworen, sich die hunderttausend Franken, die auf die Entdeckung gesetzt sind, nicht entgehen zu lassen – zum Troste gewisser ungeduldiger Leute in Paris …“

„Ach, das Gesindel kann warten!“ sagte der Oberst, „aber die Hunderttausend will ich ma foi verdienen …“

„Und eine anonyme Warnung war Ihnen wegen des Schatzes zugegangen?“

„Eine Andeutung, daß er just in dieser Nacht entführt werden solle …“

„Ah!“ machte der Kammerdiener, seinem Herrn den Frack mit dem Stern der Westfälischen Eichenkrone und dem Kreuz der Ehrenlegion reichend.

„Anfangs,“ fuhr der Oberst fort, „hielt ich die Sache für einen schlechten Spaß, eine Mystifikation, um mich vom Ball fern zu halten, – dann dacht’ ich später, es sei doch leichtsinnig, gar kein Gewicht darauf zu legen, und so ließ ich mich denn hinaus locken … und ma foi, Jean, auch nicht ganz umsonst …“

„Wie, Sie haben doch nicht den Schatz aufgefangen, Herr Oberst?“ rief Jean, seinem Herrn in den Frack helfend, aus.

Der Oberst antwortete nicht. Er reckte die Arme, um den Frack auf die Achseln zu ziehen, dabei aber blickte er, als ob ihn etwas plötzlich stutzig gemacht, starr vor sich hin.

„Wunderlich!“ murmelte er für sich. „Der Lieutenant versicherte mich, die junge Boucheporn habe das Billet geschrieben oder schreiben lassen, – aber wenn sie mit ihm in dieser Nacht durchgehen wollte, so war es doch gegen ihr Interesse, mich in dieser selben Nacht in den Sattel zu bringen! C’est drôle! Vielleicht war die Flucht damals, als sie schrieb, noch nicht beschlossen! So muß es sein!“

Der Oberst legte die letzte Hand an seine Toilette, ließ sich von Jean ein parfümirtes Taschentuch reichen, einen schwarzseidenen Domino an die Schultern befestigen und eilte davon, auf den Maskenball zu gelangen.

Er war an solche Feste zu sehr gewöhnt, um sich lange mit der Bewunderung des glänzenden Schauspiels, das ihn umfing, als er den ersten Saal betreten, aufzuhalten. Er schritt durch das wogende Gedränge dem Saale zu, worin sich die königlichen Herrschaften aufhielten, um sich in der Nähe der Majestät zu befinden, falls diese seine Abwesenheit bemerkt haben sollte und die Gnade haben würde, ihn deshalb zu interpelliren. Aber es schien nicht, daß er durch seine Abwesenheit „geglänzt“ hatte. König Jerôme flatterte in seinem rosafarbenen „Flügelkleide“ viel zu beschäftigt

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