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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Berg hinabzog. Unser verspäteter Wagen folgte der von Musik geführten, hellleuchtenden, singenden, jubelnden und volkumwogten Schaar, wir stimmten in ihr Hoch ein vor jedem festlich erleuchteten Hause in den Straßen Eisenachs und labten uns an dem prächtigen ächten Studentenbilde, als Alt und Jung in mächtigem Kreise auf dem Markte zum Schlägerklirren das „Gaudeamus“ sang und endlich alle Fackeln in hohen Bogen auf einen Haufen flogen, während bengalische Flammen die Häuser- und Menschengruppen mit bunter Pracht bestrahlten und von draußen der Donner von Böllern und allerlei Schießgeräth herein grüßte.

Die so einfach und bescheiden angelegte Feier war zum Volksfest geworden, dessen Freude die ganze Stadt erfüllte und von der Wartburg in das Herz Deutschlands, in das Thüringer Land hinaus leuchtete.

Nach kurzer Rast und Stärkung im Rautenkranz im Kreise manches lieben Genossen, wo wir auch dem wackern Oberbürgermeister von Eisenach, Röse, unsererseits den Dank aussprechen konnten für die edle Weise, in welcher er unser Fest unterstützte, er, der treue Sachsensenior, mit unseren Burschenfarben sein Rathhaus geschmückt und das Holz zu unsrem Festfeuer auf Stadtkosten besorgt hatte, eilten wir zum letzten Festwerk des Tags, zum Commers. Die Beschreibung des Commerses überlasse ich ebenfalls unserm Freund Keil; er wird auch die schönste Zierde desselben, die Festjungfrauen, nicht vergessen.

In diesen Augenblicken gehobenster Stimmung konnte nichts uns willkommener sein, als die Grüße, die aus jedem Theile unseres dreigetheilten Vaterlands von treu im Geiste mit uns feiernden Männern und Jünglingen uns telegraphisch zugerufen wurden und deren jeder neuen Jubel in der Versammlung anfachte. Der erste kam vom Rechtsanwalt Beck in Lindau am Bodensee. Aus München rief ein Wartburgs-Jubilar, Oberappellations-Rath v. Tucher, uns Alten zu: „Gruß den Brüdern, welchen, was begeisterter Jugendmuth erkannt, fünfzig Jahre unverrücktes Ziel geblieben. Gott segne unser theures geliebtes Vaterland und wohne unter uns! Pereat den äußeren und inneren Feinden, die es hindern, daß es endlich werde in rechter Herrlichkeit ein einiges freies Deutschland. Es lebe dreimal hoch!“ Aus Lübeck, aus Graz in Steiermarck, aus Königsberg in Preußen, aus Heidelberg, Hanau, Braunschweig, Wien etc. feierten Einzelne und Verbindungen mit uns den Burschenschaftsgedanken des einen und einigen Deutschlands. Zwischen den Telegrammen theilte Robert Keil uns an das Festcomité eingegangene Zuschriften von jetzt sehnsüchtig nach uns Herblickenden mit, vor Allem von Riemann, dem Wartburgredner von 1817, der es bitter beklagte, daß es ihm nicht vergönnt sei, uns Rest der Alten noch einmal zu sehen. – Ein anderer Wartburg-Jubilar, F. W. Gründler[WS 1], schrieb von Heidenheim am Hohen Kamm in Baiern, daß er neununddreißig Jahre lang den 18. October gefeiert habe auf seinen einsamen Bergwerken in den Wäldern Mexicos, wie mitten unter den Kaffeebäumen und Zuckerfeldern, an den glühend heißen Ufern des Montezuma, wie auf der Grenze ewigen Schnees, und heute rufe er aus den Buchenwäldern seiner Heimathberge uns Alten sein Glückauf zu! – Vom Reichstag des Norddeutschen Bundes riefen zwei Jubilare, Lette und Bernhardi aus Hessen, uns zu: „Was wir in der Jugend erstrebt, beginnt sich zu erfüllen im Alter!“

Wohlthätige Ruheminuten gewährte der treffliche Gesang einer Eisenacher Liedertafel, bis endlich der Gipfelpunkt jeder Commersfreude winkte: der „Landesvater“, bei welchem unsere Festjungfrauen bewiesen, daß ein deutsches Mädchen selbst Klinge und Pokal mit Anmuth zu führen weiß und wie vaterländische Begeisterung das Weib so hoch erhebt.

Es war längst Mitternacht vorüber, als die meisten von uns Alten der jüngeren Generation das Feld der Festfreude allein überließen; aber es dauerte lange, bis wir von der Thür des Saales uns trennen konnten: der Blick war zu labend auf diese von den Wogen des edelsten Jubels getragenen Schaaren, – und der Blick war zu wehmüthig, weil’s der letzte war auf einen solchen Jubel.

Am Morgen des Neunzehnten, es war ein wochenmarktbelebter Sonnabend, kamen die Festgenossen noch einmal im Erholungssaale zusammen, wir Alten, um noch ein paar letzte Worte an einander und an die jüngeren Festgenossen zu richten und dann zu scheiden. Heute trieb das erregte Herz Manchen auf die Rednerbühne, der sie bisher Anderen überlassen hatte. Vor Allen ließ Loholm hier das noch immer jugendhelle Feuer seiner kampferprobten Seele aufleuchten und erschütterte Alt und Jung. Doch auch der Humor brach sich Bahn. Klopfleisch citirte ihn durch seine Mittheilungen aus Oken’s Isis über das erste Wartburgfest, und als sich gar ein Zeuge jener Zeit und ganz absonderlicher Festjubilar in dem alten Tambour der anwesenden Musik vorfand, der vor fünfzig Jahren beim Festzug die Trommel geschlagen, so gab dies sogar Anlaß zu einem nochmaligen freudigen Hoch. Die herbeigekommene Scheidestunde, die Abfahrt der meisten Alten mit den Mittags-Bahnzügen, gebot ein plötzliches „Ende“. Wir Greise sahen uns zum letzten Mal in die Augen, schlossen uns zum letzten Mal in die Arme. Thränen rannen auf alte und junge Wangen, als Loholm’s letzter Wunsch an seinen Busenfreund laut wurde: „Wenn Du meinen Tod erfährst, so halte mir in Deiner Familie ein stilles Trauergedächtniß; stirbst Du vor mir, so will ich für Dich dasselbe thun.“ – „Lebt wohl – lebt wohl auf immer!“ – „Wiedersehen dort in der ewigen Wartburg!“




Blätter und Blüthen.

Deutsche Wissenschaft auf Spitzbergen. Auf Spitzbergen überwintern? Zwar ist dieser kühne Plan, zu dessen Ausführung ungewöhnliche Vorbereitungen, das bedeutendste Kriegsmaterial gegen die dort unbarmherzig herrschende Macht des Winterkönigs und wahrhafte Helden gehören, vorläufig durch die Ungunst der Verhältnisse wieder aufgegeben worden, allein doch wohl nur vertagt, denn das wissenschaftliche Interesse, das sich an ihn knüpft, ist ja kein blos momentanes. Darum dürfte es am Orte sein, Einiges von den früheren Ueberwinterungsversuchen auf Spitzbergen zu berichten. Ein Winter auf Spitzbergen bleibt immer ein gar gewagtes Unternehmen, welchem schon viele Menschenopfer gebracht worden sind, so daß man es nach den verschiedensten und hartnäckig fortgesetzten, doch vergeblichen Versuchen, dort während des Winters mit der Macht des Feuers und der Civilisation gegen die absolute Herrschaft des Eises und des Schnees zu kämpfen, lange Zeit für ganz unmöglich hielt, daß irgend ein menschliches Wesen auf Spitzbergen überwintern könne. Gleichwohl erschienen die Vortheile einer bleibenden Niederlassung so groß, daß eine englische Compagnie sich von der Regierung die Erlaubniß auswirkte, zum Tode verurtheilte Verbrecher dort anzusiedeln und sie für einen Winter mit allen möglichen Mitteln gegen die Macht desselben auszurüsten. Sie wurden denn auch wirklich hinübergebracht und mit Haus, Lebensmitteln und Brennmaterial reichlich versehen. Aber als der Capitain sich zur Abreise rüstete und die armen Sünder im heulenden Sturme auf die furchtbaren Eisberge hinter ihnen blickten, umklammerten sie die Kniee des Schiffsbefehlshabers und jammerten mit herzzerreißenden Tönen, daß sie lieber in England am Galgen, statt hier vor Kälte sterben wollten. Der Capitän ließ sich erweichen und die Compagnie erwirkte für sie Begnadigung.

Kurz darauf machten vier deshalb berühmt gewordene Russen den unfreiwilligen Versuch, auf Spitzbergen zu überwintern. Sie hatten sich hierher gerettet und besaßen außer ihren Kleidern nur ein Gewehr und Pulvervorrath für etwaige Schüsse. Doch entschlossen sie sich, es mit dem Winter aufzunehmen. Sie bauten eine Hütte, schossen einige Rennthiere mit ihrem Gewehr und dann anderes Wild mit Pfeil und Bogen, die sie sich aus Treibholz und Harpunen gemacht hatten. Vögel und Füchse wurden in Fallen und mit Netzen gefangen. Auf diese Weise gewannen sie nicht nur Lebensmittel und warme Felle zur Kleidung, sondern auch Waffen gegen die Angriffe unzähliger Eisbären. So gelang es ihnen, sich sechs Jahre lang nicht nur am Leben, sondern auch gesund zu erhalten und zwar auf dem verlassensten und trostlosesten Theile der Insel. Im sechsten Jahre starb einer von ihnen und die anderen Drei verfielen endlich in Verzweifelung, aus welcher sie noch zu rechter Zeit durch ein zufällig nahendes Schiff erlöst wurden. Während ihrer langen Verbannung hatten diese armen Robinsons so viele Bären, Rennthiere, Seehunde und kostbare Füchse getödtet, daß der Ertrag von Fellen und Thran sie zu wohlhabenden Leuten erhob. Diese reiche Ausbeute bewog eine Anzahl von Speculanten, in Archangel eine Compagnie zu bilden, um Reichthümer der Insel durch Erlegung von Seehunden, Walrossen, Rennthieren und Polarbären zu Gelde zu machen. Zu diesem Zwecke rüsteten sie eine Anzahl von unternehmenden Männern und Jägern aus und colonisirten sie in Gruppen von zwei bis fünf Mann auf verschiedenen Küsten und Nebeninseln Spitzbergens. Diese Colonisten standen unter einem Oberaufseher mit dem Hauptquartiere auf der Spitze von Hvalfiske, wo die verschiedenen Jäger jährlich die von ihnen erbeuteten Felle und Thranvorräthe abliefern mußten. Im Mai jedes Jahres schickte die Compagnie ein Schiff mit neuen Vorräthen und Mannschaften hinüber und löste die dort überwinterten Colonisten ab, denn zwei Winter hinter einander hielt es Niemand so leicht aus, so daß sie immer nur einen um den andern dort zu verleben vermochten. Im Jahre 1858 lebte noch zu Kola in Lappland ein weißbärtiger Russe, der nicht weniger als fünfunddreißig Winter auf diese Weise zugebracht hatte. Freilich waren während dieser Zeit viele Hunderte seiner Cameraden von den stechenden Waffen des arktischen Winterkönigs niedergemordet worden, so daß der Engländer Lamont, der Spitzbergen vor einigen Jahren auf Hunderte von Meilen an der Küste durchforschte, nicht selten in diesen furchtbaren Einöden

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Friedrich Wilhelm Gründler (1800–1875); Vorlage: J. W. Gründler
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_031.jpg&oldid=- (Version vom 16.1.2021)