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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„La Croix?“

Der Officier nickte.

„Der?“ sagte Comtesse Julie gedehnt. „Das arme Geschöpf!“

„Er ist so vernarrt in sie und betreibt die Sache so ernsthaft, daß er blos, um in der Nähe des jungen Mädchens zu sein, Ihren Herrn Vater zu veranlassen gewußt hat, ihm eine Wohnung hier im Schlosse einzuräumen!“

„Deshalb hat er sie verlangt!“ rief Comtesse Julie überrascht aus, „daher der Aerger für meinen Vater! Mein Vater, müssen Sie wissen, hat sie ihm durchaus nicht einräumen wollen, aber ein Befehl des Königs, an den sich der Oberst gewandt hat, ist dazwischen gekommen … mein Vater war so zornig, daß er im ersten Augenblick davon redete, seine Entlassung nehmen zu wollen.“

„Ihr Herr Vater – denn ihm gegenüber dispensire ich Sie von Ihrem feierlichen Gelöbnis, Comtesse Julie – Ihr Herr Vater wird sich jetzt deuten können, woher der leidenschaftliche Eifer des Obersten, sich hier zu installiren, rührte.“

„Es ist ein böser brutaler Mensch, dieser Oberst,“ rief Gräfin Julie aus, „das junge Mädchen hat Recht, daß sie sich den Begegnungen mit ihm nicht mehr aussetzen will. Aber ich will doch den Nachmittag in die Stadt fahren, um zu sehen, was bei alledem aus meinem Costum wird!“

„Hoffen wir, daß es nicht zu sehr darunter leidet!“

„Und entdecken wir etwas, um diesem Obersten zum Lohne einen recht schlimmen Streich auf der Maskerade zu spielen! Wollen Sie mir dabei helfen?“

„Mit Freuden!“

„Nun wohl denn – ich werde darüber nachsinnen; es muß etwas sein, das ihn furios ärgert… mir fällt sicherlich etwas ein, und ich zähle dabei auf Sie, wenn ich Sie nöthig habe.“

„Nichts könnte mich mehr freuen, als die Ehre, Ihr Verbündeter zu sein!“ antwortete Mensing sich erhebend.

„Und unsere Geheimnisse …“

„Sind uns heilig, das versteht sich!“

Der Officier küßte die Hand, die ihm Comtesse Julie reichte, und empfahl sich. –

Einige Stunden später trat er in das Wohnzimmer des Inspectors. Dieser saß in seinem Sorgenstuhl am Ofen, in welchem er sonst seinen Nachmittagsschlummer hielt; heute, wie schon so viele Tage, war der Schlummer nicht auf seine müden Augenlider gekommen.

Als er den Officier erblickte, stand er hastig auf und bat ihn, in sein Arbeitszimmer zu treten, welches er dann sorgfältig hinter sich verschloß.

„Nun?“ sagte er gespannt und angstvoll in Mensing’s Züge blickend.

Mensing streckte seinen Arm aus und die Hand auf des alten Herrn Schulter legend antwortete er: „Mein Plan ist gemacht!“

„So danke Ihnen der Himmel dafür,“ entgegnete Steitz, aus der beklommenen Brust tief aufathmend, „wenn er nur ein guter ist!“

„Hören Sie!“

„Setzen wir uns,“ sagte der Inspector, einen Stuhl herbeischiebend.

„Sagen Sie mir zuerst,“ begann Mensing, als die beiden Männer auf den alten Plätzen sich dicht gegenüber saßen, „haben Sie dieselben vertrauten Leute zur Hand, welche damals den Schatz unter der Treppe einmauerten?“

„Ja, ich habe sie zur Hand, zwei vertraute Männer.“

„Und sie werden kommen, um in der Nacht den Schatz zu heben und rasch auf einen Wagen zu laden?“

„Dafür, glaube ich, kann ich einstehen; der eine,“ setzte er kaum hörbar flüsternd hinzu, „ist der Justizamtmann Brethauer, der andere der frühere Leibchirurg Mann.“

„Wohl denn! Und der Ort, wo der Schatz abgeliefert werden soll?“

„Ist das Städtchen D. jenseits der Grenze. Dort im Wirthshaus zum weißen Roß erwartet ihn der Agent, der ihn in Sicherheit auf dänisches Gebiet, nach Itzehoe, bringen wird.“

„Nun gut. Jetzt hören Sie, Steitz. Die Schwierigkeit, welche wir zu besiegen haben, ist eine doppelte. Erstens, einen Wagen, einen Fuhrmann zu finden. Es wird Niemand zu finden sein, der sein Leben an die Fortführung wagt; Niemand, dem man nur mit der Zumuthung, es zu thun, das Geheimniß anvertrauen dürfte!“

„Als ob ich das nicht selbst längst bedacht hätte!“ fiel Steitz ein.

„Die zweite Schwierigkeit, die sich uns entgegenstellt,“ fuhr Mensing fort, „ist die, durch die Gensd’armerie-Patrouillen des Obersten La Croix zu kommen, ohne von ihnen angehalten und durchsucht zu werden.“

Steitz nickte mit dem Kopfe und stützte dann sein Kinn auf die Hand, um Mensing gespannt in’s Gesicht zu blicken.

„Wir müssen uns also,“ sprach dieser weiter, „geradezu einen königlichen Wagen verschaffen und uns dazu einen officiellen Durchgangsschein, ein Laissez-passer, geben lassen.“

„Aber, mein Gott, wie wollen Sie das erhalten?“

„Das soll Ihre Sorge sein, Steitz“, antwortete lächelnd der Lieutenant, „Sie sind ein alter Hofmann, und ich denke, Sie haben sich so viel Diplomatie angeeignet, wie dazu nöthig sein wird. Hören Sie nur: Ihr nächster Vorgesetzter ist der Graf Boucheporn!“

„So ist es, er ist Maître de Logis und Gouverneur du Palais.“

„Und Sie stehen nicht just in Ungnade bei ihm – ich weiß es, ich habe ihn noch neulich von Ihren feinen Manieren und Ihrem guten Französisch reden hören –“

„Er ist immer passabel höflich gegen mich,“ fiel Steitz ein.

„Und er ist es, der Ihnen den Wagen und den Schein schaffen soll, … wann werden Sie den Grafen sprechen?“

„Morgen Vormittag; er hat mich morgen Vormittag um elf nach dem Lustschlosse Schönfeld hinausbestellt; ich soll dort Aufträge wegen der Instandsetzung des Schlosses erhalten.“

„Vortrefflich! Sie werden dort mit ihm allein sein. Sie werden ihn mit voller Muße sprechen können …“

„Und was soll ich ihm sagen?“

„Sie werden zunächst nichts thun, um Ihre Unruhe, Ihren Gemüthszustand zu verbergen; Sie werden sich zerstreut zeigen, tief gedrückt, verstört; er wird Sie fragen, was Ihnen sei, und Sie werden nach einigem Sträuben antworten: Sie befänden sich in der peinigendsten Lage, worin ein Vater sich befinden könne; Ihre Tochter sei der Gegenstand einer ganz frivolen Neigung des Obersten La Croix geworden; sie würde von ihm bedrängt, verfolgt, und Sie sähen kein Mittel, sie seinen Verfolgungen zu entziehen …“

„Ah,“ fuhr Steitz auf, „das ist ja durchaus nicht wahr, und …“

„Es ist nicht wahr, aber Boucheporn wird es Ihnen auf der Stelle glauben, dafür stehe ich Ihnen ein!“

„Der Obrist kennt meine Tochter gar nicht …“

„Einerlei, er gilt als ein Mädchenjäger und Ihre Tochter ist hübsch und – wir leben an König Jerôme’s Hof! Aber wäre das Alles auch nicht, der Graf würde Ihnen doch glauben, denn Sie müssen wissen, daß ich die Sache bereits eingeleitet habe und daß dieselbe Geschichte gerade jetzt vielleicht des Breitesten bei dem Grafen besprochen wird!“

„Was haben Sie gethan? Sie bringen ja da meine Tochter in ein Gerede …“

„Ich denke nicht, lieber Inspector … man hat mir Schweigen versprochen und die Sache wird für Elise keine Folge haben, dafür glaube ich Ihnen einstehen zu können. Und auch dafür, daß der Graf Ihnen auf das Bereitwilligste Gehör schenken wird … dafür bürgt uns, daß er den La Croix haßt wie die Sünde. Sie werden dann fortfahren, ihm Ihr Herz auszuschütten; Sie werden ihm sagen, daß Ihr sehnlichster Wunsch sei, das Mädchen fortzusenden, zu einer älteren Verwandten, jenseits der Fulda, und … nennen Sie ihm, welchen Ort da drüben Sie wollen. Er wird Sie fragen: ,aber, mein Gott, lieber Steitz, weshalb thun Sie denn das nicht!?’ Und Sie, Sie werden antworten: ,kann ich das, Herr Graf? La Croix’ Patrouillen schweifen überall, man kann die Wilhelmshöhe nicht verlassen, ohne aus zwei oder drei derselben zu stoßen, und seit das Märchen vom Schatze des Kurfürsten in den Köpfen spukt, halten sie jeden Wagen an, durchsuchen sie jedes Fuhrwerk! Und ich kann das Mädchen doch in dieser Jahreszeit nicht zu Fuße laufen lassen, nicht ohne Koffer und Gepäck für längere Zeit fortsenden. Und denken Sie, Herr Graf, wenn das arme Geschöpf so in die Hände der Leute des Obersten fiele, wenn er – ach, ich mag den Gedanken nicht weiter denken, es würde für mein Kind und mich der Tod sein!’“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_019.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2021)