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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Das ist gut! Ich glaube wir werden sie brauchen,“ antwortete der Lieutenant.

Steitz schüttelte den Kopf. „Wer bestochen werden muß, fürchte ich, der widersteht der Lockung, den Lohn von hunderttausend Franken zu verdienen, nicht,“ sagte er. „Und den Lohn können wir nicht bieten!“

„Still, kommt da nicht Jemand?“

Draußen im Wohnzimmer ging die Thür auf, der Inspector sprang hastig empor … dann setzte er sich beruhigt wieder nieder und sagte:

„Es ist Elise, die zurückkommt, ich erkenne ihren Schritt.“

Gleich darauf öffnete sich auch die Thür des Arbeitszimmers und die Tochter des Inspectors trat herein, um den Vater zu begrüßen.

Es war ein hübsches, schlank gewachsenes junges Mädchen von etwas über mittlerer Größe. Ihre nicht regelmäßigen, aber anziehenden Züge zeigten einen großen Ernst; sie sprach leise, in ihrem ganzen Wesen lag etwas Apathisches, man sah auf den ersten Blick, daß ein Kummer an ihr zehrte, der Ausdruck ihres Gesichts war wie der Widerschein dessen, was so sprechend aus den Zügen ihres gepeinigten Vaters blickte.

Der Officier wechselte einige Worte mit ihr, dann wandte er sich zum Gehen.

„Adieu, Steitz,“ sagte er, dem Inspector die Hand zum Abschiede reichend … „ich will nachdenken und morgen reden wir weiter. Bis dahin seien Sie ruhig und werfen getrost alle Sorge auf mich. Gute Nacht, Elise!“

Er hüllte sich in seinen Mantel und schritt rasch davon, in die dunkle Nacht hinein, um trotz Wind und Wetter noch lange sinnend aus den Kiespfaden auf und nieder zu schreiten, die sich vom Schlosse nach dem großen Teich hin erstreckten.




2.

Der Lieutenant Mensing wurde am andern Morgen durch seinen Dienst im Schlosse zurückgehalten. Er gewann nur eine Viertelstunde vor Mittag, um in der Wohnung des Maître de Logis, Grafen Boucheporn, einen Besuch zu machen.

Graf Boucheporn war ein kleiner, beweglicher Franzose, lebhaft, rasch in seinen Entschlüssen, ehrgeizig und eitel und im Uebrigen gutmüthig genug, wenn seine Leidenschaften nicht in’s Spiel kamen.

Zu seinen Leidenschaften gehörte die Eifersucht auf seine Autorität.

Die Gräfin war eine unbedeutende Frau; der Stern des Hauses war die älteste Tochter Julie, eine brünette, ein wenig kokette, aber mehr, als es bei diesen Kindern der Revolutionszeit gewöhnlich, unterrichtete junge Dame, die sich die Huldigungen des jungen deutschen Officiers sehr gern gefallen ließ, obwohl dies sie nicht abhielt, auch die der andern Herren vom Hofe anzunehmen, die Sr. vielhuldigenden Majestät, König Jerôme’s, nicht ausgeschlossen.

Der Lieutenant fand die Dame mit einer Stickerei beschäftigt, welche zu der in einigen Tagen stattfindenden maskirten Redoute verwendet werden sollte. Gräfin Julie hatte bei seinem Eintreten rasch ein Tuch darüber geworfen.

„Lassen Sie sich nicht stören, Comtesse,“ sagte Mensing lächelnd, „arbeiten Sie ruhig fort, Sie sticken da irgend einen Epheuzweig oder dergleichen mit Goldfäden in den feinen Fez, den Sie als Griechin tragen werden.“

„Aber – ich bitte Sie,“ fuhr Comtesse Julie überrascht und erschrocken auf, „wer sagt Ihnen, Herr Lieutenant, welches Costum ich tragen werde? Ich – eine Griechin? Sie sind vollständig im Irrthum!“

„Ich glaube nicht,“ antwortete der Officier, „es würde mir wenigstens sehr leid thun, denn ich freue mich unendlich darauf, daß Comtesse Julie, welche für alle Welt auf dem Balle maskirt sein wird, es für mich nicht sein wird!“

„Aber, frage ich Sie noch einmal, wie können Sie wissen …“

„Sie sehen, Comtesse Julie, mein Geist umschwebt Sie ungesehen und ich bin eingeweiht in Ihre heimlichsten Entschlüsse … ich kann Ihnen auch noch mehr sagen: Ihr reizendes Costum, welches den allerbesten, allergeschicktesten Händen zur Vollendung anvertraut war, ist in Gefahr, von diesen Händen nicht vollendet, sondern den plumperen einer gewöhnlichen Arbeiterin anvertraut zu werden …“

„Ah,“ rief das junge Mädchen spöttisch aus, „ich merke, der Herr Lieutenant haben Connexionen unter diesen – Arbeiterinnen!“

„So ist es – es hälfe nichts, einer so klugen jungen Dame, wie Comtesse Julie ist, dies verbergen zu wollen!“ antwortete der Officier.

„Wissen Sie aber, daß Sie mir damit alle Freude verderben, die ganze Freude an dem Fest?“

„Das würde mir unendlich schmerzlich sein. Trauen Sie mir denn zu, daß ich Ihr Geheimniß an irgend eine Menschenseele verrathen würde?“

„Wenn Sie mir feierlich geloben, schwören, daß Sie es nicht thun wollen, dann nicht,“ antwortete Comtesse Julie, ihre feurigen, braunen Augen mit einem sprechenden Blick zu ihm erhebend.

„Ich gelobe es, ich schwöre es!“ fiel Mensing lächelnd ein, die Hand auf seine Brust legend.

„Nun wohl denn,“ sagte sie, „alle Götter des Orcus und alle Dämonen der Hölle werden Sie strafen, wenn Sie den Eid brechen!“

„Fürchten Sie nichts, schöne Gräfin, ich werde verschwiegen sein, und wenn Sie auf der Redoute sehr bald erkannt sein werden, so, das glauben Sie mir, wird nicht meine Indiscretion, sondern nur der Geist und der Witz, womit die schöne Griechin ihre Neckereien ausführt und ihre Antworten giebt, Comtesse Julie verrathen …“

„Statt mir Fleuretten zu sagen, Sie böser Mensch,“ fiel die junge Dame ein, „sollten Sie mir lieber erklären, weshalb mein Costum denn nicht von derselben Arbeiterin ausgeführt wird, die es begonnen?“

Comtesse Julie sprach das mit einem Ausdruck von großer Unzufriedenheit und Sorge.

„Auch das will ich Ihnen sagen … das aber ist ein Geheimniß, worüber ich von Ihnen einen feierlichen Schwur bei allen Göttern des Orcus und allen Dämonen der Hölle verlange!“

„Ich schwöre!“

„Wohl denn, so hören Sie. Ich wohne in der Stadt bei der Frau, in deren Atelier Ihr Costum angefertigt wird. Die gute Frau Momberg hält mich für einen sehr verschwiegenen, soliden und vernünftigen jungen Mann, und so ist mir der Eintritt in die geheime Werkstätte, in welche sonst kein profanes Auge blicken darf, nicht verwehrt. Trotz des bescheidenen Gebrauchs, den ich von dieser Begünstigung mache, habe ich wahrgenommen, daß Demoiselle Elise Steitz, die Tochter des Schloßinspectors, die zu ihrer Ausbildung in dem Geschäft arbeitete, mit Ihrem Costum betraut war, und heute habe ich erfahren, daß Demoiselle Steitz nicht in das Atelier zurückkehren wird.“

„Nicht? Und weshalb nicht? Ist sie krank?“

„Krank, nein! Es hält sie etwas Anderes ab, täglich in die Stadt zu gehen und in den Abendstunden von dort zurückzukehren. Sie ist ein sehr hübsches, junges Mädchen und sie hat eine dringende Veranlassung gefunden, den Weg, auf welchem ihr Vater nicht im Stande ist, sie durch einen Diener begleiten zu lassen, nicht mehr allein zu machen!“

„Ah!“ sagte die Comtesse mit einem flüchtigen Erröthen.

„Es ist so!“ fuhr der Lieutenant fort, „sie hat die Augen eines Mannes auf sich gezogen, dessen unternehmende Keckheit sie ängstigt.“

„Und wer ist dieser Mann, dessen unternehmende Keckheit – mir mein Costum verdirbt? Wenn ich ihn kenne, soll er seiner Strafe nicht entgehen!“

„Pst, Comtesse, Sie vergessen, was Sie mir geschworen haben!“

„Ja so, – in der That! Aber reden Sie, wer beunruhigt den Frieden dieser schneidernden Unschuld?“

„Werden Sie sich von nun an besser Ihres Schwures entsinnen?“

„Gewiß, gewiß!“

„Wohl denn, es ist ein Mann, mit dem nicht gut Kirschenessen ist, wie das deutsche Sprüchwort sagt: der Oberst der Gensd’armerie.“

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