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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Körben und Stöcken, die bärtigen Mönche im Nachtrab, die schöne Herbstbeleuchtung über die Gebirgslandschaften ausgegossen, wären ein prächtiges Motiv für einen Genremaler. Die Thiere werden so täglich zu Tausenden gesammelt, und schwerbeladen kehren die frommen Väter Abends in’s Kloster zurück und liefern ihren Schatz dem „Schneckengarten“ ab, wo die Thiere gemästet werden. Es ist dies ein großes Gartenbeet, welches mit etwa vier Fuß hohen Brettern eingefriedet ist; an der innern Seite der Bretter ist nebstdem eine kleine Mauer von Sägespähnen errichtet, damit die Thiere nicht herauskriechen können. In diesem Gelaß nun liegen die Schnecken zu Tausenden übereinander und werden täglich mehrere Male gefüttert.

Unglaublich ist die Gefräßigkeit, die in diesen Wildgehegen herrscht; die größten Körbe voll Salat und Kohl sind im Nu verschwunden, und so klein auch die Kinnladen der Thierchen sind – die Schnelligkeit, mit der sie in Thätigkeit versetzt werden, und die große Zahl der Fresser verursachen ein Geräusch, das man schon auf einige Schritte Entfernung hört und welches Ähnlichkeit mit dem Knabbern der Kaninchen hat. Sobald die ersten Fröste vor der Thür stehen, deckeln sich die Schnecken ein, d. h. sie verschließen ihr Gehäuse mit einer Klappe von kohlensaurem Kalk, hinter welcher sie in der klösterlichen Stille den Winterschlaf des Gerechten begehen. Damit ist denn auch der Augenblick gekommen, wo die Schnecken aus dem Paradiese der Schneckengärten verstoßen und in die Keller gebracht werden, in welchen sie, gleich den Cocons, auf Hürden ausgebreitet und zum Verspeisen je nach Bedarf heraufgeholt werden. Die Zubereitung ist sehr complicirt und jedes Kloster hat seine eigenen Recepte und Kräutermischungen. Immerhin aber besteht die erste Operation darin, daß sie sammt dem Deckel bei lebendigem Leibe (zur Strafe für Fraß und Völlerei) gesotten werden, bei welchem Anlasse sie ein halb singendes, halb zischendes Geräusch von sich geben. Die Dichter lassen, trotz aller Einsprache der Naturwissenschaften, den Schwan mit Singen verenden – die Schnecke ist doch auch nicht von schlechten Eltern, singt aber umsonst: kein Poet hat sie noch verherrlicht!

Neben den Klöstern befassen sich auch noch einzelne Privaten mit dem Schneckenfang gewerbsmäßig und treiben mit diesen Thieren einen ziemlich bedeutenden Exporthandel, namentlich nach Italien, und wiederum sind die Klöster die Hauptabnehmer. Das interessante Thier macht oft recht große Reisen, bis nach Süditalien; da es aber nur im Stadium des Winterschlafes versendet werden kann, reist es so ziemlich wie die Mehrzahl britischer Touristen – ohne Nutzen und ohne Vergnügen. Dieser Exporthandel hat seinen Sitz namentlich in der Ostschweiz, den Cantonen St. Gallen, Graubünden und Glarus. Die Thiere werden in starken Fässern mit festen eisernen Reifen versandt, was seinen guten Grund hat. Wenn sie nämlich über die Alpenpässe hinüber und in das Land gelangt sind, wo „ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht“, so entstehen in den Herzen der Gefangenen Frühlingsahnungen; geht die Reise langsam, bleiben sie längere Zeit in südlichen Lagerhäusern liegen, so sprengen sie ihre Deckel und der Freiheitsdrang erwacht. Wohl ist eine einzelne Schnecke schwach, aber Eintracht macht bekanntlich stark, und so ist es denn, namentlich in den voreisenbahnlichen Zeiten, nicht selten vorgekommen, daß feste Fässer von den aufrührerischen Burschen gesprengt wurden und eine Völkerwanderung von „Sclaven, die die Kette gebrochen“, sich über die italienischen Lande ergoß.

Zum Schlusse noch eine culturhistorische Bemerkung: Die Schweiz ist eines der religiös-tolerantesten Länder und von dem Geiste, der einst die Religionskriege hervorgerufen, sind keine Spuren mehr vorhanden. Aber Eines ist positiv: die Protestanten essen keine Schnecken und bekennen einen ausgesprochenen Widerwillen gegen den Genuß dieses „unreinen Thieres“!

R. O.     

Aus Offenbach’s Familienleben. Jacques Offenbach, der Componist so vieler übersprudelnd lustiger, ja übermüthig-sinnlicher Operetten, wie „Orpheus in der Unterwelt“, „die schöne Helena“ und noch vieler anderer, durch deren Ertrag er jetzt zum reichen Mann geworden ist, hat ein vielbewegtes Leben gehabt und lange mit Noth und Entbehrungen gekämpft. Schon mit sieben Jahren kam er aus seiner Vaterstadt Köln nach Paris, wo er hauptsächlich unter Halévy’s Leitung Musik studirte und das Pariser Leben von allen Seiten kennen lernte. Denn dazu hatte der junge Künstler, der in den vornehmen Cirkeln Concerte gab und als Virtuos glänzte, während er daheim in seiner kleinen, einsamen Kammer die härtesten Entbehrungen trug, reichliche Gelegenheit; zu Hause erging er sich in philosophischen Reflexionen, während ihn die ewig wirbelnde Umgebung des Theaters und der Künstlerkreise in den Strudel des Lebens hineinrissen.

Die Sehnsucht nach dem Familienleben führte ihn zu einer frühen Ehe, zu der Verbindung mit einem schönen, guten und geistvollen Mädchen spanischer Herkunft, welches damals in Marseille wohnte. Dieser Schritt war ein Glück für Offenbach, er hatte ihn nie zu bereuen. Er gab ihm Halt im Leben, eine Stütze in der Noth, die Charakterfestigkeit und heiterschöne Laune in das Haus, den theilnahmsvollsten Freund in jeder schwierigen Lage, den schönsten Lohn eines schaffenden Mannes: die verklärende Freude des Weibes über die Triumphe ihres Gatten. Offenbach ist ein trefflicher Familienvater, der seine fünf Kinder mit der tiefsten Liebe umfängt und sein schönstes Glück in ihrem Kreise findet. Den Sinn für das Familienleben, den schönen Zug des Juden, hat er sich trotz des vor seiner Heirath ausgeführten Uebertritts zum Christenthume bewahrt, so daß Niemand den Offenbach des Theaters in dem Hausvater Offenbach vermuthen würde.

Wie lange hatte er schwer zu kämpfen und wie arm war er einst! 1848 mußte er mit Weib und Kind Paris verlassen, da sich dort Niemand um Musik kümmerte und er in der Aufregung, welche daselbst herrschte, keine Ruhe und Muße zum Arbeiten fand. So reiste er denn auf’s Ungewisse mit den Seinen nach Köln; unterwegs im Waggon überreichte ihm plötzlich seine Frau, die liebevolle und muthige Herminie, eine volle Börse und sagte ruhig: „Hier ist Geld, Jacques, das ich mir erspart habe; nimm es zu Dir, damit ich es nicht verliere!“

Das Geld reichte freilich nicht lange aus, während die Tage anscheinend ohne Ende dahin flossen. Da erhielt Offenbach eine Einladung in Frankfurt zu concertiren, aber als er dort ankam, war Frankfurt in Aufregung und keine Möglichkeit, ein Concert zu geben. Nun fuhr der arme Künstler mit einem verzweifelten Entschlusse nach Homburg, versuchte sein Glück an der Spielbank, setzte seinen letzten Louisd’or und gewann eine für seine damaligen Verhältnisse bedeutende Summe, mit welcher er freudig nach Köln zurückkehrte.

Als Offenbach noch nicht verheirathet war, rettete ihn auch einmal der glückliche Zufall vor dem Hunger. Er hatte als Künstler in Paris viele bekannte Familien, in denen er ohne Umstände um sechs Uhr zur Essensstunde erscheinen und sich einladen konnte. In ein solches Haus nun zum Diner zu gehen, entschloß er sich eines schönen Tages, als er die Entdeckung machte, daß seine Casse bis auf drei Francs zusammengeschmolzen war. Er trat in den Salon und fand den Herrn und die Dame im Begriff auszugehen, denn sie waren anderswo eingeladen. Man bedauerte und lud Offenbach für jeden anderen beliebigen Tag ein. Der arme Teufel zwang sich zu der größten Liebenswürdigkeit und schlug den Weg nach einem anderen bekannten Hause ein; allein diese Familie wohnte etwas entfernt, und als Offenbach ankam, war das Diner zu Ende. Er mußte eine Stunde plaudern und ging dann, er wußte selbst nicht wohin. Ganz niedergeschmettert und von Hunger gequält, schritt er in der Passage de Panorama hin und her, da trat ein Herr auf ihn zu und sprach:

„Es freut mich, daß ich Sie treffe! Ihr Bruder war so freundlich, mir vor einiger Zeit in Bordeaux einen Louisd’or zu leihen; da ich nur kurze Zeit in Paris bleibe und nicht weiß, ob ich ihn treffe, so würde ich Sie bitten, das Geld in Empfang zu nehmen.“

Natürlich nahm er es mit Vergnügen und eilte zum nächsten Restaurant, um zu essen. Heute erzählt Offenbach diese Anekdoten lächelnd, denn jetzt kann er eben lächeln. Sein gastfreies Haus – er wohnt in der Rue Lafitte, unweit Rothschild – ist jeden Freitag Abend allen Bekannten geöffnet und zum Diner findet sich auch jede Woche einmal ein Kreis von Bekannten ein. Offenbach’s Salon hat viel Anregendes, ist dabei aber streng bürgerlich; das Theater ist nie darin vertreten, da Herminie Offenbach ihrer Töchter wegen diese Schranke mit Entschiedenheit aufrecht hielt.

Sonntags ist Familiendiner, denn die Familie der Hausfrau ist groß genug, um den Speisesaal und Salon zu füllen. Und welches Leben, wenn die lebhafte spanische Familie und die Kinder beisammen sind – man hört sein eigenes Wort nicht, was den Hausherrn aber nicht abhält, in seinem Zimmer ruhig fortzuarbeiten. Er kann componiren während des größten Lärmes, ja während sein jüngstes Kind, ein reizender blonder Knabe, auf dem Schreibtisch und eine kleine Tochter auf des Vaters Knieen sitzt.

So schafft er von Morgens sieben Uhr bis eilf, dann frühstückt er im Café Riche, welche Gelegenheit er dazu benutzt, um mit seinen Dichtern die Sujets zu besprechen, Aenderungen der Verse und Scenen anzuordnen, mit Verlegern, Theaterdirectoren und Sängern zu unterhandeln, mit Redacteuren und Kritikern zu plaudern und den Lebensbedarf an Pariser Neuigkeiten einzunehmen. Dann geht er zu einer Probe in’s Theater, arbeitet vor dem Diner wieder einige Stunden, besucht die Theater, wo man seine Stücke aufführt, und Nachts arbeitet er, wenn es nothwendig ist, wieder.

In dieser Weise ist Offenbach’s Haus in Paris und seine reizende Villa Orphée am Meeresstrande in Etretat der anstrengendsten Arbeit und dem häuslichen Glücke gewidmet; hier herrschen nur die guten Genien, nicht die tollen, lustigen Kobolde, welche in seinen Stücken hausen.



 An ***
Du lebst und wenn auch nicht für mich,
Ich weiß, Du bist; soll mir dies nicht genügen?
Trink’ ich der Rose Duft, die sich
Dem Tag’ erschließt, nicht auch in vollen Zügen?

5
Des Frühlings Morgensonnenstrahl,

Ist er nicht mein, weil er auch Andern scheinet?
Du bist mein Frühlingsmorgenstrahl,
Von dessen Glanz mein Aug’ geblendet weinet.
Wie ich ein Bild von Künstlerhand

10
Bewund’re ohne Wünschen und Verlangen,

So laß mein Herz nur unverwandt
An Deiner Seele Himmelsschönheit hangen. M. v. T.


Berichtigung. In einer Privatnotiz ist dem Verfasser des kleinen Phantasiegebildes „Das Donauweibchen in Prag“ (Nr. 49, 1867) die Berichtigung zugegangen, daß man damals in dem fürstlichen Palais die „Sonntagskinder“ in Scene setzte und das „Donauweibchen“ – obgleich diese Annahme ziemlich verbreitet – nicht Wenzel Müller zugeschrieben werden darf, sondern dem weniger bekannten Ferdinand Kauer. Die in der Skizze erzählten Einzelheiten dürften sich also auf die „Sonntagskinder“ oder eine andere Oper Müller’s beziehen. Der Verf.     



Inhalt: Der Schatz des Kurfürsten. Historische Erzählung von Levin Schücking. – Nach dem Maskenballe. Gedicht von Rud. Löwenstein. Mit Illustration. – Alte Städte und altes Bürgerthum. 1. Nürnberg im Norden. Von Moritz Busch. I. – Erinnerungen an Heinrich Heine. Von Heinrich Laube. I. – „Der alte Feldherr“ in Solothurn. Nach Mittheilungen eines Zeitgenossen. Von R. O. Ziegler. Mit Abbildung und Portrait. – Blätter und Blüthen: Eine Jubiläumsscene. – Kleinstes Wildpret in der Schweiz. – Aus Offenbach’s Familienleben. – An *** – Berichtigung.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_016.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2023)