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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Und hier möge auch dieser kurze Bericht abbrechen. Die Todesfeierlichkeiten, die in fast allen Residenzen bei der Nachricht vom Tode Kosciuszko’s begangen wurden, die Reden und Gedichte, mit denen ihn alle gebildeten Nationen verherrlichten, die Monumente, die ihm zu Krakau und Westpoint in Nordamerika errichtet wurden – sie galten dem Helden und dem glühenden Patrioten, während dieser kurze Abriß aus seinem Leben den Dulder Kosciuszko, den edeln aufopfernden Freund, den Vater der Armen und sein kindlich reines Herz in Erinnerung bringen sollte.

Möchte es diesen Zeilen gelungen sein, für unsern Helden, dessen Name als Feldherr und Patriot unsterblich sein wird, auch dieses rein menschliche Interesse zu wecken. R. O. Ziegler.     


Blätter und Blüthen.

Eine Jubiläumsscene. In Nr. 13 des vorigen Jahrgangs führte die Gartenlaube mit Hinweisung auf das seltene Ehrenfest, welches der allgemein gefeierte Böckh am 15. März d. J. begehen durfte, ein Bild der Persönlichkeit dieses Mannes, besonders nach der Seite seiner Bürgertugenden hin, ihren Lesern vor. Inzwischen ist der würdige Greis aus unausgesetzter, von den weittragendsten Erfolgen gekrönter Tätigkeit durch einen sanften Tod gerissen worden. Noch werden denen die Augen feucht, die ihm nahe gestanden, wenn sie des Heimgegangenen gedenken, und manches stille Opfer der Pietät wird ihm in den weitesten Kreisen durch ehrendes Andenken in warmem Herzschlage dargebracht. Da tritt denn gerade jetzt mancher Vorfall aus dem reichen Leben des Mannes aus dem Dunkel der Vergangenheit mit plastischer Lebensfrische wieder vor die Seele. So erinnert sich Referent mit besonderem Vergnügen folgender Episode.

Allgemeine Verehrung hatte den bescheidenen Gelehrten genöthigt, am 15. März 1857, an welchem Tage Böckh fünfzig Jahre im Besitze des Doctordiploms war, aus seiner Zurückgezogenheit herauszutreten und sich die üblichen, ihm mit besonderer Freudigkeit und aufrichtiger Hingebung dargebrachten Huldigungen gefallen zu lassen. Da durfte denn auch ein kleiner Kreis seiner unmittelbaren Schüler es sich nicht nehmen lassen, mit der schüchternen Gabe einer wissenschaftlichen Abhandlung und wohlgesetzten Rede sich dem theuern Lehrer zu nahen. Es war zehn Uhr Morgens, als die Deputation, zu der auch Referent gehörte, das wohlbekannte Haus in der Linksstraße, das Böckh bis zu seinem Tode bewohnt hat, mit untadelhafter weißer Cravatte und einem vor Stolz und Spannung an die Jünglingsbrust pochenden Herzen betrat. Wir wurden in das Empfangszimmer geführt, wo wir bereits eine kleine Schaar von Festgenossen in malerischer Gruppirung versammelt fanden. Mit liebenswürdiger Herzlichkeit kam uns der Jubilar entgegen, und während der Sprecher seine wohlmemorirte Rede vortrug, konnte ein feinerer Beobachter auf Böckh’s heute ungewöhnlich ernsten Zügen das ihm so wohl anstehende schalkhafte Lächeln mehrmals auftauchen und wieder verschwinden sehen. Sicher hatte er erwartet, an einem Tage, wo er der officiellen Reden gar viele zu hören und zu beantworten hatte, von dem mit ihm in täglichem Verkehre stehenden engeren Schülerkreise weniger pomphaft und langathmig begrüßt zu werden. Doch unsern guten Willen anerkennend, entgegnete er uns zwar kurz, aber in äußerst freundlichen und mit attischem Salz stark gewürzten Worten, ließ uns indeß auch heraushören, daß es ihm Bedürfniß sei, aus dem Rahmen des officiellen Ceremoniells, in welches sein Wesen heute widerwillig hineingezwängt war, wo es anging, herauszuschlüpfen. Darum erklärte er uns auch mit liebenswürdiger Offenheit, daß er Lust habe, vor dem Erscheinen anderer Deputationen sich in sein Studirzimmer zurückzuziehen, um in der stillen Verborgenheit desselben der heute verpönten, aber von ihm leidenschaftlich verehrten Cigarre einige Augenblicke traulichen Beisammenseins zu widmen. Sprach’s und verschwand in dem angrenzenden Heiligthum, durch dessen halboffene Thür wir, während uns Erfrischungen gereicht wurden, den Jubilar nach einem halb angerauchten, in einer Guttaperchaspitze steckenden Glimmstengel greifen und sich bald mit sichtbarem Behagen in duftenden Rauch einhüllen sehen konnten, dessen blaue Ringe schnell die letzte Spur officiellen Ernstes von seiner Stirn zu jagen schienen.

Doch o weh! schon nach wenigen Augenblicken kündete wieder officielles Klingeln neue Gratulanten an. Kaum hatte der Jubilar das Corpus delicti bei Seite und sein Gesicht in die nöthigen feierlichen Falten gelegt, als ein freundliches Männchen mit pergamantnem, aber geistreichem Antlitz in’s Zimmer sprang und dem überraschten Jubelgreis um den Hals fiel. Das war keine wohldurchdachte, auf Stelzfüßen daherschreitende Rede, was da von den beweglichen Lippen des seltsamen Gratulanten floß, was er jedoch sprach, das quoll aus einem warmen, bewegten Herzen und drang mit unwiderstehlicher Gewalt in die Seele. Das mußte eine leidenschaftlich glühende Natur sein und gerade in diesem Augenblicke mußte der reiche Zündstoff im Innern derselben zu lichtheller Flamme auflodern. Und wer war der Mann mit dem Feuer des Jünglings und dem Antlitz des Greises? Wir erfuhren’s sogleich. Denn jetzt trat Böckh an des Fremden Hand zu uns und sprach mit Nachdruck:

„Meine Herren, Ihnen, meinen jüngsten Schülern, kann ich nicht umhin, meinen ältesten Schüler vorzustellen; es ist der Herr Generaldirector Beer.“ Fast schien es, als wollte der Sprecher unsern ungeübten Blick erst durch den Schleier der Ahnung oder des Zweifels auf die vor uns stehende große Persönlichkeit lenken, da er uns dieselbe nicht mit der landläufigen Bezeichnung „Generalmusikdirector Meyerbeer“ vorführte. Nach einer kurzen Pause, in der er sich an unserm Staunen geweidet, fuhr er fort: „Ja, diesem waren meine ersten tappenden Lehrversuche gewidmet, als ich als junger Fant nach Absolvirung meiner Studien nach Berlin kam. Ich unterrichtete ihn im Hause seiner Mutter im Griechischen.“

„Richtig,“ fiel Meyerbeer ein, „aber ich gestehe erröthend, daß dieser gefeierte Lehrer mit seinem ersten Schüler keine besondere Ehre eingelegt hat. Die Wissenschaft, die von seinem beredten Munde floß, fand bei mir nicht den fruchtbarsten Boden.“

„Weil derselbe auf andere Weise cultivirt wurde,“ fiel scherzend Böckh ein, „denn allerdings wurde mir oft, wenn ich zu ihm ging, des Hauses Pforte mit dem Donnerworte aufgethan: ,Den Du suchest, der sitzt auf seiner Clause und componirt,‘ was für mich immer ein Signal war, mich zurückzuziehen.“

„Ja,“ sagte Meyerbeer, „das war damals schon meine Passion.“

Noch flogen die Scherze anmuthig von Mund zu Mund, als die Ankunft neuer Deputationen der reizenden Scene ein Ende machte. Uns aber hatte dieselbe ein neues Blatt aus dem vielbewegten Leben des greisen Gelehrten geöffnet und mancherlei hochwogende Gedanken in unserer Seele angeregt. Zwei hochgefeierte Männer hatten noch vor der Pforte ihres Ruhmes stehend engere Beziehungen zu einander gefunden und dieselben in einem vielbewegten Leben zu dem unzerreißbaren Bande der Achtung und Freundschaft ausgebildet, auf welches sie jetzt an ihrem Lebensabend mit freudiger Genugthuung hinblicken durften. Hatten wohl zufällige, äußerliche Beziehungen in diesen beiden Männern die natürlichen Gegensätze von Christenthum und Judenthum, von süddeutschem und norddeutschem Wesen, von strenger, zersetzender Wissenschaft und frei schaffender Kunst nicht allein auszugleichen, sondern zu wahrer Harmonie der Seele umzugestalten vermocht? Nein, innere geistige Factoren mußten thätig gewesen sein, um dieses wunderbare Zusammenklingen zweier so verschieden geformter Naturen zu bewirken. Beide Männer, jeder ein Stern erster Größe in einem der beiden Fächer, in denen der deutsche Geist anerkanntermaßen andere Nationen überragt, waren eben deutsche Männer. In ihnen lebte echt deutsche Gesinnung mit dem ganzen Reichthum ihres ernsten Strebens und ihrer sinnigen Gemüthstiefe. Deutsches Wesen schienen Beide gerade dadurch, daß sie zum Gegenstand ihres Denkens und Schaffens das Ausland machten, zu bewußter Klarheit in sich entfaltet zu haben. Deutsches Wesen also war es, in dem sich der hellenisirende süddeutsche Gelehrte mit dem italienisirenden und französirenden norddeutschen Künstler zusammengefunden hatte. Hätte unser verschleiertes Auge damals ein noch verdecktes Blatt der Geschichte aufheben und über zehn wechselvolle Jahre hinwegschweifend die Morgenröthe deutscher Einheit, die von beiden Männern nur der eine erlebt hat, schauen dürfen, dann würde die eben geschilderte Scene eine noch viel höhere Weihe für das entzückte Seherauge gewonnen haben.

Dr. F.     

Kleinstes Wildpret in der Schweiz. In einem Lande, wie die Schweiz, wo schon die Formation des Bodens und die landwirthschaftlichen Verhältnisse dem Wildstande ungünstig sind und zudem die Waidlust eine sehr verbreitete ist – fast jeder Schweizer ist ja Schütze – kann von großem Wildreichthume keine Rede sein. Wenn wir die Hochjagd ausnehmen, mit der sich fast nur die berufsmäßigen Gemsjäger im Hochgebirge befassen, wird dem schweizerischen Nimrod wenig geboten, und die Zeit dürfte nicht mehr so fern sein, wo der Hase ebenso spurlos verschwindet, wie der Steinbock auf unsern Alpen ausgerottet ist. Ein Wildpret aber, freilich der kleinsten Art, ist in der Schweiz noch im Ueberfluß vorhanden, wird im Herbste in Kesseljagden erbeutet, in Wildgärten gezogen und bildet selbst einen ziemlich schwunghaften Exportartikel: die Weinbergschnecke.

Dieses kleine Schalthier war schon den Römern als feiner Leckerbissen bekannt und wurde von ihnen so geschätzt, daß sie eigene Mastanstalten für dasselbe errichteten. Der große Eiweißgehalt dieser Schneckenart macht sie zu einem sehr nahrhaften Gerichte, und in früheren Zeiten wurde die sogenannte „Schneckenbrühe“ bei allen möglichen Schwächezuständen, namentlich in der Schwindsucht, viel von den Aerzten verordnet. Als eigentliches Nahrungsmittel wird dagegen dies Thier nur in katholischen Ländern an Fasttagen verspeist. Der katholische Ritus, der in dieser Beziehung weniger streng ist, als der griechische, erlaubt nämlich an den Fasttagen den Genuß des Fleisches der kaltblütigen Thiere, der Fische, Frösche und Schnecken, und auch dasjenige der Fischotter, weil sie sich selbst ausschließlich von kaltblütigen Thieren ernährt (!).

Da nun zu den alle Wochen wiederkehrenden Fasttagen (Freitag und Samstag) im Winter, namentlich vom Sonntag Oculi bis Ostern, noch viele außerordentliche Tage des Fleischverbotes kommen, so hat die Weinbergschnecke in solchen Ländern eine hohe religiös-culinarische Bedeutung, ganz besonders aber in den Klöstern, wo der Sinn für die Freuden der Tafel von jeher sehr ausgebildet war. Namentlich sind es die Väter Capuziner, welche die Jagd, Zucht und Zubereitung der Schnecken zu ihrer Specialität machen. Gleich den Austern werden die Schnecken nur in den Monaten mit R verspeist. Das Einsammeln geschieht im Herbst und das eigentliche Jagdterrain sind die Gebirge von zwei- bis viertausend Fuß Höhe. Das Kloster sendet im August und September täglich einige Laienbrüder mit Quersäcken aus, die als Oberjägermeister den Fang leiten und als Treiber die liebe Schuljugend aus den Gebirgsdörfern requiriren. Vorzüglich geeignete Jagdtage sind solche nach warmem Regen, der die Thiere aus ihren Schlupfwinkeln herauslockt. Für die liebe Schuljugend sind solche Gebirgstouren Festtage; wie viel angenehmer dies Waidwerk, als das Einmaleins in der dumpfigen Schulstube, der kleinen Geschenke gar nicht zu gedenken, die ihnen die frommen Väter jedesmal zurücklassen. So ist denn jedesmal ein großes Halloh in den Dorfschulen, wenn der Schnecken-Heerbann erlassen wird, und der Auszug des lärmenden jungen Volkes mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_015.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2023)