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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

war unbeschreiblich. Mit verdoppeltem Eifer setzte er seine Besuche zu Pferde fort, vertheilte täglich an fünfzig Arme Geldgeschenke, regte zu Sammlungen, zu Speiseanstalten für die Armen an und war überall thätig. Selbst hohe Summen verwandte er oft auf einmal, um unverschuldete Armuth vom Untergange zu retten. Als er eines Abends spät hörte, daß zwei brave Familien der Stadt wegen einer bedeutenden Geldschuld in wenigen Tagen aus Hof und Haus vertrieben werden sollen, händigte er Frau Zeltner sogleich das Geld ein, um es noch am selben Abend den Bedrängten zu übersenden. „Zögern Sie ja nicht,“ fügte er bei, „den braven Leuten noch heute das Geld zuzustellen; man darf sie keinen Augenblick länger in diesem Kummer lassen. Und sollten sie schon schlafen, lassen Sie dieselben aufwecken; es wird ein freudiges Erwachen sein und ein um so ruhigerer Schlummer wird darauf folgen, wenn das Elend nicht mehr über ihrem Haupte schwebt.“

Kosciusko.
Nach dem Originalportrait von Rieker, im Besitz des Herrn Bankier Brunner in Solothurn.

Nichts aber stellt die echt humane Geistesrichtung unseres Helden in ein schöneres Licht, als der folgende Zug. Im März 1817 war ein armer Landpfarrer, der sein Lebenlang in einer der ärmsten Pfarreien des Cantons als Seelenhirt gewirkt hatte, von den Behörden mit einer der reichsten Pfründen bedacht worden, damit er den Abend seines Lebens ohne Sorgen und Mühe verleben könnte. Die Ernennung war mit einem sehr ehrenden Anerkennungsschreiben begleitet. Der edle Greis konnte sich aber nicht entschließen, um seiner eigenen Behaglichkeit willen seine geliebte Heerde zu verlassen, und lehnte die Beförderung dankend ab. Kaum hatte K. diesen schönen Zug der Entsagung vernommen, als er sich auf den Weg machte, um diesen echten Priester Christi kennen lernen. Als er bei dem bescheidenen Pfarrhaus ankam, war der Geistliche bereits am Rasiren und ließ sich entschuldigen, daß er in diesem Aufzuge den hohen Besuch nicht empfangen könne. Allein Kosciuszko ließ sich nicht zurückhalten; mit jugendlichem Ungestüm drang er in das Zimmer des braven Landpredigers, schloß ihn mit Thränen in den Augen in seine Arme, bat ihn um seine Freundschaft und bezeigte ihm auf jegliche Weise seine Hochachtung. Das Pfarrhaus am Jura wurde von da an ein Lieblingksziel der Spazierritte des wackern Generals.

Während seines zweijährigen Aufenthaltes in Solothurn machte K. auch größere Reisen zu Pferde, um die Schweiz kennen zu lernen. So besuchte er im Sommer 1816 die classischen Stellen des Vierwaldstättersees und das Schlachtfeld von Morgarten. Als er dort an Ort und Stelle die Einzelnheiten jener denkwürdigen Kämpfe studirte, wurde sein Herz von alten Erinnerungen an die eigenen Erlebnisse wehmüthig bewegt, und tiefergriffen drückte er die Hand seines Freundes Zeltner und flüsterte: „Ach, hätte mich bei Maciejowice auch ein Hühnenberg gemahnt und hätte Poninski Reding’s Schnelligkeit besessen!“

Eine spätere Tour galt der französischen Schweiz und namentlich der weltberühmten Erziehungsanstalt des großen Volkslehrers Pestalozzi in Yverdon. Zwei Tage brachte er dort zu, wohnte den Unterrichtsstunden bei, verkehrte mit dem lebhaftesten Antheile mit Lehrern und Schülern und wurde mächtig angeregt. Bis zum Tode beschäftigte ihn der Gedanke, auch in Polen Schulen und Lehrerseminarien im Geiste des großen Pädagogen von Yverdon zu begründen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_013.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2021)