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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

lassen; sie hat für mich gesorgt, sie hat mich in Verhältnisse gebracht, die mir ohne ihre Güte unerreichbar geblieben wären. Der geächtete Kurfürst hat mich zum Officier gemacht; ihm gehört nicht allein unsere Treue als unserem angestammten Landesherrn, wir gehören auch durch die Dankbarkeit, Sie wie ich, unserem Fürstenhause an, und wären schlechte Menschen, wenn wir das je vergäßen! Darum lassen wir uns als ein paar gute Hessen die Hand geben und … einander vertrauen! Sie haben ein wichtiges Geheimniß auf dem Herzen – also eines, das unsern gnädigen Herrn betrifft … ich sehe das … und Sie sollen sich jetzt das Herz erleichtern, indem Sie reden. Sehen Sie mir in’s Gesicht, Steitz; sehe ich aus, wie ein Mann, der Sie verrathen könnte?“

„Nein, Mensing, nein,“ sagte gepreßt der alte Mann, indem er die Hand des Officiers ergriff und krampfhaft drückte. „Sie sehen nicht so aus, und ich will Ihnen vertrauen; ich will Sie um Ihren Rath, Ihre Hülfe bitten, – ich muß, ich muß ja, denn wird mir nicht Rath, nicht Hülfe, so bringt mich die Geschichte unter die Erde!“

„Also, was ist es? Um was handelt es sich? … Es will nicht über Ihre Lippen, Steitz … soll ich rathen? Handelt es sich am Ende um des Kurfürsten Schatz?“

Steitz machte zusammenschreckend eine Bewegung, als ob er dem Officier das Wort auf den Lippen zurückhalten wolle, dann flüsterte er: „Um Gottes willen, sprechen Sie leise …“

„Also, Sie haben ihn, diesen vielgesuchten Schatz, auf dessen Angabe die Regierung einen Lohn von hunderttausend Franken gesetzt hat?“

„Und Todesstrafe für den, der ihn fortbewegt oder dabei Hülfe leistet!“ flüsterte Steitz kaum hörbar.

„Ihnen, Ihrer Obhut hat der Kurfürst ihn überlassen?“

„Es ist so, Mensing, es ist so … ich will Ihnen Alles sagen, ich will mein Leben in Ihre Hände geben, ich will Ihnen vertrauen, Mensing …“

„Bei Gott, Steitz, das dürfen Sie!“

„So hören Sie zu. Als der Kurfürst entfloh in der Hast jener schrecklichen Nacht des ersten November vorigen Jahres, konnte er nur einen Theil seines Reichthums mit sich nehmen. Das übrige, es sind mehrere Millionen in gemünztem Gold, in Papieren, in Noten der Bank von England, in Goldgeräthen, – das Alles wurde in Kisten verpackt, und mir vertraute der Kurfürst diesen Schatz an … als er eingepackt wurde, waren die Minister von Waitz und von Witzleben zugegen, dann aber blieb Alles allein in meiner Obhut. Anfangs bangte ich nicht um meinen Schatz; ich hatte ihm ein sicheres Versteck gegeben, wo ihn Niemand fand, und ich wußte, unter Denen, welche darin eingeweiht waren, war kein Verräther. Erst als König Jerôme den Entschluß faßte, auf der Wilhelmshöhe zu residiren, begann mein Leiden, meine Äugst … denn denken Sie sich, Mensing, mein Erschrecken, als eines Tages ein königlicher Ingenieurofficier zu mir kommt und mir befiehlt, ihn auf das Dach des Schlosses zu geleiten; da oben über dem Frontispiz in der Mitte habe er eine große Fahnenstange errichten zu lassen für das königliche Banner …“

„War denn der Schatz auf dem Dache verborgen?“

„Auf dem Dache nicht allein,“ flüsterte der Inspector, „nein, just über dem Frontispiz war er eingemauert, just da, wo dieser schreckliche Franzose seine Fahnenstange wollte errichten lassen … wer in aller Welt hätte denken können, daß dieser Schiffscapitän von König werde auf der Wilhelmshöhe eine Flagge aufziehen lassen wollen …“

„Das konnten Sie freilich nicht denken, denn es ist eine ganz neue Mode, eine absonderliche Marotte unserer Majestät … aber was begannen Sie?“

„Was ich begann? Mein Gott, ich stand wie vernichtet, ich zitterte an allen Gliedern, die Gedanken gingen mir wirr durch den Kopf, – es war ein Glück, daß der Ingenieur durch mein Stottern, mein Ausflüchtesuchen nicht argwöhnisch wurde, weil er sich vorstellte, daß ich mit der französischen Sprache nicht fertig werde. Endlich gab mir der stürmische Regentag den Vorwand, ihn fortzubringen; ich erklärte ihm, daß ich bei solchem Wetter ein Arbeiten auf dem Dache nicht verstatten könne, weil es in den unter dem Frontispiz liegenden Saal durchregnen und die Decke desselben verderben werde; ich müsse dawider erst Vorkehrungen treffen lassen … und so gelang es mir, den Menschen für einen oder zwei Tage los zu werden.“

„Welche Lage!“ rief Mensing aus. „Was begannen Sie?“

„Ich rannte zu den ehemaligen Ministern des Kurfürsten, zu Waitz und Witzleben; aber sie sandten mich achselzuckend fort, der Schatz sei mir anvertraut, nicht ihnen, sagten sie … ich mußte mir anderswo Hülfe schaffen … und ich fand sie … ich fand treue hessische Männer … drunten in Wahlershausen … wir gingen, mit dem nöthigen Geräth versehen, in der nächsten Nacht in’s Schloß, wir erstiegen den Dachraum und zogen die Millionen aus ihrem Versteck … und dann trugen wir sie still und sacht hinab, zum Schlosse hinaus, bis …“

„Bis?“ fragte Mensing, den Athem anhaltend.

(Fortsetzung folgt.)




Nach dem Maskenballe.

Die Töne wirbeln in wilder Hast,
Wild wirbeln die bunten Paare,
Sie halten im Fluge sich fest umfaßt,
Es flattern die Bänder und Haare.
„Zum Tanz, mein Liebchen, was zittert Ihr?
Was athmet Ihr so beklommen?“ –
„Mir war, als hätt’ ich zu Seiten hier
Der Mutter Stimme vernommen!“ –

„Das Mütterlein schlief in sichrer Nacht,
Als Ihr von dannen hüpftet,
Und mit mir hinaus in die stille Nacht
Zum Feste der Freude schlüpftet.“ –
„Und seht Ihr nicht dort das bleiche Gesicht?
Es blicket mich an mit Grimme!
Fort, fort! Ihr haltet mich fürder nicht –
Mich rufet der Mutter Stimme!“

Und sie stürmet hinaus, die Straßen entlang,
Von Ahnung fortgerissen.
Es folget ihr nach in hastigem Gang
Der Geist – das böse Gewissen.
Es klingt, wie ein dumpfer Grabeschor,
Im Sausen des eisigen Windes
Der Ruf, der schreckliche, an ihr Ohr:
„Weh, weh, des verlorenen Kindes!“

Und sie tritt in’s Haus in behendem Lauf
Und die Glieder beben und wanken,
Doch eilt sie die dunklen Treppen hinauf
In’s Gemach der geliebten Kranken.
Wie matt die Lampe, wie still das Gemach!
„Schläft Mütterchen?“ fragt sie mit Bangen.
Die Nachbarin spricht: „schaut selber nach!
Sie ist – zur Ruh gegangen.“

Da stürzt sie in jäher Seelenqual
Am Bette der Mutter nieder:
„O hebe nur noch ein einzig Mal
Die lieben Augenlider!
Nur einmal strecke noch aus die Hand,
Sie auf mein Haupt zu legen!
Ich kann nicht leben in Schimpf und Schand’
Und ohne der Mutter Segen!

Noch einmal rege den bleichen Mund –
O Mutter, habe Erbarmen,
Mit einem Wörtlein thu mir kund,
Daß Du verzieh’n mir Armen!
Dein reuig Kind kehr’ ich zurück –
Willst Du mich nicht erheben?
Verlorener Segen, verlorenes Glück –
Zwiefach verlorenes Leben!“

Der Morgen dämmert durch’s Fenster lind,
Vergoldend der Kammer Wände.
Die Nachbarin blickt auf das büßende Kind
Und hebt zum Himmel die Hände:
„O geh’ mit ihr nicht in’s Gericht!
Weß Herz ist frei von Fehle?
Erbarm’ Dich in Deiner Gnade Licht,
Herr, der – verlorenen Seele!“

Rud. Löwenstein.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_004.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2021)