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echt deutschen Gestalten der vaterländischen Sage geschaffen hat; groß und stattlich in seiner äußeren Erscheinung, die hohe Stirn von blonden Locken umwallt, das treue Abbild eines alten Minnesängers oder edlen Recken, für welchen alle Frauen schwärmen, wenn er aus voller Brust seine herrliche Stimme ertönen läßt und in strahlender Rüstung auf dem von Schwänen gezogenen Kahn als Lohengrin erscheint. Soll doch der König oder vielmehr die Königin von Hannover von allen annectirten Schätzen den Verlust dieses Sängers mit am meisten beklagen. Freilich ist ihm nicht an der Wiege gesungen worden, daß er einst selbst so trefflich singen werde. Ursprünglich zum Maschinenbauer bestimmt, am Schlosserambos und zwischen pfeifenden Locomotiven aufgewachsen, ward er durch sein Talent und die Liebe zur Kunst der Bühne zugeführt. Mit ihm wetteifert Wachtel, der unvergleichliche „Postillon“, dessen früheres Leben vielfach an den Helden derjenigen Oper erinnert, welche seinen Ruf zuerst begründet hat. Wachtel, der früher, wie Fama behauptet, ebenfalls Rosselenker war, ist keineswegs schlecht gefahren, als er vom Bock auf die Bühne sprang und nicht nur durch seinen berühmten Peitschenknall, sondern durch das hohe C das Publicum elektrisirte. Gegenwärtig hat er durch Fleiß die Lücken seiner musikalischen Bildung längst ausgefüllt und seine herrlichen Naturanlagen zur künstlerischen Vollendung erhoben.

Auch der ausgezeichnete Baryton, Herr Betz, hatte anfänglich mit großen Hindernissen zu kämpfen; seine wunderbar kräftige Stimme entbehrte noch der Schule und sein Spiel zeigte besonders eine gewisse Ungelenkigkeit. Aber auch er hat durch rastloses Studium diese anfänglichen Mängel beseitigt, so daß er gegenwärtig nicht nur zu den vorzüglichsten Sängern, sondern auch zu den besten Darstellern der Oper zählt.

Selbst die in zweiter Reihe stehenden Kräfte der Berliner Oper dürften an jeder andern Bühne einen ersten Rang behaupten und bilden im Verein mit den Genannten ein Ensemble, wie es kaum in einer andern Stadt, weder in London, noch in Paris, gefunden wird. Rechnet man noch dazu das wahrhaft classische Orchester, wo jedes Instrument von einem Künstler gespielt wird, unter der Leitung eines Dorn und Taubert, die glänzende Ausstattung, die Pracht der Costume und Decorationen, schließlich das Ballet mit seinen männlichen und weiblichen Koryphäen, so wird man es begreiflich finden, daß man für ein Billet zum Opernhaus weder Geld und Zeit, noch Mühe und Beschwerden scheut, besonders wenn eine geliebte Frau darnach so heißes Verlangen trägt, wie dies gewöhnlich der Fall ist.

Max Ring.




Der geheimnißvolle Doctor.[1]


Vor etwa zwei Jahren starb in England ein Dr. James Barry. Ein halbes Jahrhundert mag etwa verstrichen sein, seitdem derselbe in der Capstadt landete, wo er die Stelle eines Assistenz-Wundarztes (assistent-surgeon) bei den am Cap stationirten englischen Truppen bekleidete. Seine äußere Erscheinung hatte wenig Einnehmendes, er war von kleiner schmächtiger, selbst unproportionirter Figur und hatte ein sehr junges, man konnte fast sagen jungenhaftes Aussehen. Er brachte einen Empfehlungsbrief von einem der bekanntesten schottischen Adeligen an den Gouverneur der Colonie, Lord Charles Somerset, mit, wodurch ihm von vornherein eine freundliche Aufnahme zugesichert war. Sein Diplom bewies, daß er in Edinburgh promovirt war und zwar in dem außergewöhnlich frühen Alter von fünfzehn Jahren. Diese Altersangabe verdient übrigens wenig Glauben, da ein Taufschein unseres Wissens nicht vorhanden war. Die niedrigen Grade der ärztlichen Militärcarriere, so hieß es, habe er nicht durchgemacht, sondern sei abweichend von Reglement und Brauch sofort zu der Stelle, die er jetzt inne hielt, befördert worden. Wenn dies sich so verhält, so würde dies freilich kein günstiges Licht auf die Bildung der englischen Militärärzte – wie sie vor fünfzig Jahren war – werfen. Sei dem aber wie da wolle, Dr. Barry wurde einstimmig in Capetown (wie noch jetzt lebende Zeitgenossen des Doctors versichern) für einen geschickten und in jedem Zweige seines Fachs tüchtigen Arzt erklärt, der mit Liebe an seinem Berufe hing und sich das Vertrauen seiner Patienten in hohem Grade zu erwerben wußte.

Hierbei kam ihm auch ein selbstbewußtes, man konnte fast sagen, anmaßendes Benehmen zu Statten, das bei Vielen Vertrauen erwecken mochte; sagt doch Mephistopheles:

„Wenn Ihr Euch nur selbst vertraut,
Vertrauen Euch die andern Seelen.“

Wenn Dr. James – so pflegte man ihn kurzweg in Capetown zu nennen – zu einem Kranken gerufen wurde und dieser der Krankheit erlag, so lautete das allgemeine Urtheil: Dr. James wurde zu spät hinzu gezogen; kam der Patient davon, so hatte Barry das Verdienst, ihn gerettet zu haben, und die Dankbarkeit der Angehörigen war ihm sicher.

Er sprach nie von seinen Verwandten und Freunden; daß er aber solche und zwar einflußreiche besaß, darüber herrschte kein Zweifel. Denn einige räthselhafte Umstände, die schon damals den Bekannten des jungen Arztes viel Kopfzerbrechen machten, wiesen darauf hin, so vor Allem seine kostspielige Lebensweise, die zu bestreiten sein Gehalt als Assistenzarzt nicht ausgereicht haben würde. Er hielt sich ein Pferd und besoldete einen Bedienten. In den Speisen, die er genoß, war er wählerisch und zugleich ein Sonderling. Er berührte niemals Fleisch, sondern lebte fast ausschließlich von Pflanzenkost. Kartoffeln und Aepfel durften nie auf seiner Tafel erscheinen, dagegen mußte man ihm stets die besten Gemüse und seltensten Früchte, Pfirsiche, Melonen, Ananas und dergleichen mehr, verschaffen. Von Getränken genoß er außer Wasser nur Kaffee und bei Unwohlsein bisweilen einen Schluck Champagner. Uebrigens machte er, trotz dieser kostspieligen Lebensweise und obwohl er – wie man ihn selbst hat sagen hören – kein eigenes Vermögen besaß, doch niemals Schulden.

Viele Umstände vereinigten sich, um die gesellschaftliche Stellung des jungen Arztes zu einer sehr angenehmen zu gestalten. Seine Empfehlungsbriefe führten ihn in die höchsten Kreise der an Officieren, Beamten und begüterten Handelsherren reichen Capstadt ein. Bald wurde er selbst Hausarzt des Gouverneurs, welcher ihn in jeder Weise begünstigte, ja mehr noch, der ihn verwöhnte. Ob der Letztere geheime Instructionen bekommen hat, wissen wir nicht; doch es steht fest, daß er den jungen Doctor von allem anstrengenden Dienst entband und ihm jedmögliche Freiheit gewährte, die das Reglement zuließ; auch hätte James seiner schwächlichen Constitution halber keinerlei Strapazen ertragen können.

Der junge Arzt, welcher auf seine bevorzugte Stellung pochte, nahm sich übrigens Manches heraus, was ihm zu Zeiten eine wohlverdiente Lection zuzog. So machte er eines Tages im Arbeitscabinet des Gouverneurs – in das er unangemeldet Zutritt hatte – einige satirische Bemerkungen über ein dort liegendes Actenstück, und seine spöttische Zunge ruhte nicht eher, als bis der Gouverneur in gerechtem Zorn den kleinen Mann am Kragen der Uniform faßte, zum Fenster hinaushob – dasselbe befand sich nur einige Fuß hoch über dem Erdboden – und ihn in freier Luft schwebend nach Leibeskräften schüttelte. Jetzt bat James natürlich um Verzeihung, die ihm auch zu Theil wurde. Doch hatte dieses Abenteuer ein anderes zur Folge, das leicht seiner Carriere ein frühes Ziel hätte setzen können. Die Züchtigung, die James erlitten, wurde bald bekannt und Neckereien und spöttische Bemerkungen konnten nicht ausbleiben. Wenige Tage nach diesem Vorfall begegnete er auf einem der öffentlichen Spaziergänge der Capstadt einem Officier, der vor Allen sarkastische Bemerkungen über den Liebling des Gouverneurs gemacht hatte. In gereizter Stimmung stellte er


  1. Ich erlaube mir den Lesern der „Gartenlaube“ in nachfolgender Skizze die Biographie einer Persönlichkeit zu geben, die in der Capcolonie ihre Laufbahn begonnen hat. Die eigenthümliche Entdeckung, die nach ihrem Tod stattfand, hat mit Recht in zweien Welttheilen großes Aufsehen erregt und eine Zeitlang das Tagesgespräch gebildet. – Möge diese Erzählung nur halb das Interesse erregen, mit dem wir Deutschen in diesem entfernten Winkel der Erde die Aufsätze der Gartenlaube verfolgen, die uns regelmäßig aus der lieben Heimath zukommt.
    Dr. M. Alsberg, Graaff-Reinet (Cap der guten Hoffnung).
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_823.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)