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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 52.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Heimath.
Eine Novelle in Briefen von Adolf Wilbrandt.
Briefe Friedrich’s an seine Schwester.
(Schluß.)


Neunter Brief.

Aus Monterossi, am Rande der Campagna, etwa fünf Meilen von Rom.

Der Vetturin übernachtet hier, liebe Julie; morgen in aller Frühe brechen wir wieder auf, der Siebenhügelstadt zu. Der Wind heult um das Haus, Gewitterregen knattert an die Scheiben; bei der trübsten aller Lampen sitze ich neben meinem Bett auf einem wackelnden Stuhl und suche mich durch Schreiben vor der schlaflosen Einsamkeit zu retten. Ja, meine theuerste Julie, Du sollst endlich Alles erfahren! Ich kann nicht nach Rom hinein, eh’ ich mir diese Last von der Seele geschüttelt; ich kann nicht an Dich schreiben, ohne Dir Alles zu beichten.

Aber das Herzblut steigt mir in’s Gesicht, bis zum Stirnhaar hinauf, wenn ich an dieses demüthigende Bekenntniß denke. Noch immer fass’ ich es nicht. … Als ein eitler, selbstzufriedener Narr, voll der hochfahrendsten Gewißheit, fuhr ich an jenem nächsten Morgen nach Hause zurück. Der Gedanke machte mich selig, sie zu beglücken. Ich entwarf schon alle die Reisepläne, die ich mit ihr ausführen wollte, um ihren Geist vollends aufzuwecken, ihre begonnene Erziehung zu vollenden. Ich sah mich schon mit ihr im Pantheon, auf dem Palatin und führte sie unter den ewigen Rosen des Monte Pincio spazieren: Und endlich landete unser langsamer, überfüllter Zug, und da stand ich in unserem Bahnhof, als wär’ ich von einer weiten, langen Reise heimgekehrt, und wie ein Eisenhammer schlug mein Herz. Es war Sonntag und das goldenste Wetter – o, ein Tag, Julie, wie dazu geschaffen, um sich im Angesichte aller Engel zu verloben! Eine Blumenverkäuferin stand am Weg, ich kaufte ihr schönstes Sträußchen und wand ein rosenfarbenes Band herum, das ich vor wenig Tagen einmal in einem von Anna’s Büchern als Lesezeichen gefunden und in einem ersten Anfall verliebter Tändelei zu mir gesteckt hatte, und so wanderte ich, bei traulichem und erhebendem Glockengeläute, ihrem Hause zu. Die Köchin, die gute Sophie, saß im Sonntagskleid vor der Thür und lächelte mich an. „Sind Sie schon von Rom zurück?“ sagte die Spitzbübin. „Hier finden Sie Niemand zu Haus, den ganzen Tag nicht: die Herrschaften sind mit einer fremden Dame auf den See gefahren und wollen in ‚Marieneh’‘ zu Mittag essen.“ Ich kehrte, ohne „Ah“ oder „O“ zu sagen, stracks wieder um und eilte ihnen nach. Auf dem Wasser schwammen eine lange Reihe von Kähnen mit geputzten Menschen, die alle den Sonntag am See genießen wollten. Die leichten, weißen Wolken spiegelten sich so schön, die Wälder am Ufer dunkelten ernst in diese blaue Heiterkeit hinein, der leise, erfrischende Wind schien mich fast zu tragen, Alles, Alles stimmte mich glücklich und froh, alle die Tage standen mir vor Augen, wo ich hier Anna und unser verstorbenes Cousinchen gerudert oder einsam schaukelnd die Abendstunden verträumt hatte.

Endlich erspähte ich den Kahn, den ich suchte; ich schwenkte mein Taschentuch, rief sie an, lief ihnen am Ufer eine Strecke entgegen. Sie bemerkten mich und kamen zurück. Ich glaubte, Anna bei meinem Anblicke heftig erschrecken zu sehen, doch als das Boot sich dem Ufer näherte, begrüßte sie mich mit ihrer gewöhnlichen Fassung. Nun erkannte ich auch die Fremde, die neben ihr auf der Bank saß: Frau Amanda, meine gute Freundin, im Reisekleide wie eine Engländerin und Anna’s Hand in der ihren. Ich war verwundert, sie in dieser Gesellschaft zu sehen, doch nur einen Augenblick, denn alle Gedanken vergingen mir im Anschauen dieses Mädchens, das mir die Sinne verwirrte. In ihrem hellen Kleid, unter dem breiten, zierlichen Strohhut war sie so reizend, sie war wieder das Märchenkind, das sie in ihrer ersten Knospenzeit gewesen; ein liebliches Durcheinander von aufgeregter Heiterkeit und plötzlichem Ernst, das mich Unglücklichen bezauberte; ich schwankte fast wie ein Trunkener, als ich einstieg. Die Tante bestürmte mich mit Fragen, warum ich wieder da sei; ich antwortete, was ich mir ausgedacht hatte, aber wie aus dem Traum. Anna saß still, und schwieg. Endlich umschlang sie Frau Amanda mit einer seltsam leidenschaftlichen Zärtlichkeit und sagte: „Auch ich werde reisen, und mit dieser holden Frau, – weit, weit in die Welt hinaus!“

Nun erst fiel mir ein, was ich selber Dir einst geschrieben hatte, und ich starrte diese plötzliche Erfüllung meines eigenen Wunsches mit unfrohen Augen an. „Wohin?“ fragte ich stammelnd. „Das ist unser Geheimniß,“ antwortete sie und lächelte so kühl vor sich hin, daß mir alles Fragen verging. „Wir haben uns schnell in einander verliebt,“ sagte Frau Amanda und sah dabei das Mädchen mit innigen Blicken an, „und ich hoffe, wir werden in aller Welt gute Freunde sein!“ – „O, hinaus, hinaus,“ rief Anna mit einer zitternd seligen Stimme, – „mir ist schon, wie wenn ich Flügel hätte! So lange Jahre hab’ ich mir’s gewünscht, geträumt und geträumt und saß hinter meinem Drahtgitter und ließ mich von meiner guten Kerkermeisterin mit Zucker füttern,“ und sie warf einen Blick auf die Alte, der wie Sonnenschein über deren ganzes Gesicht hinüberging, „und nun kommt auf einmal eine weiche Hand und holt mich freundlich heraus und trägt mich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 817. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_817.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2017)