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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Buch. Lebe wohl; hier bin ich am rechten Ort, die Zeit mit der Feder zu verplaudern; ob dieser erste Brief auch der längste sein wird?




Zweiter Brief.

Du machst mir Vorwürfe, liebste Julie; ich dachte es wohl: so ketzerische Ansichten über Deine vielgeliebte Vaterstadt! Daß Dein Herz sich dagegen empören würde, das konnte ich wissen. Aber ich muß mich vertheidigen; Herz gegen Herz! „Friedrich, Friedrich,“ schreibst Du, „Du hast die Heimath über dem Ausland verachten gelernt!“ Nein, meine liebe Julie, das ist es nicht. Die tausend Wurzeln und Würzelchen, mit denen mein Leben in diesen Mutterboden eingesenkt ist, die spür’ ich noch alle, die gedenk’ ich auch nicht auszureißen. Es wäre auch eine knabenhafte, vergebliche Bemühung. Hier hab’ ich mein Gesicht bekommen, mein bischen Sprache gelernt, Milch und Luft und Liebe eingesogen; wer stößt das wieder aus? Nein, ich verachte meine Heimath nicht; ich liebe die Fremde nicht mit bundbrüchiger Liebe. Aber das Kleine, Julie, das Dürftige, das Dürre und Nichtige, das fliehe ich, hier wie überall. In der ganzen Welt hab’ ich dem zu entrinnen gesucht; sollt’ ich es hier lieb haben, weil es dieselbe Scholle tritt, auf der ich gehen gelernt? Und so ist es auch mit jenem Mädchen, das Du mir an’s Herz gelegt, das Deine Schwesterphantasie mir angetraut hatte: warum bedachtest Du nicht, wie sehr uns das Leben und die Welt verändern?

„Sie kann sich auch verändern,“ schreibst Du mir. Deine liebe eigensinnige Seele hält den Traum noch fest, spinnt den Faden noch weiter. Indessen ich, Julie, der ich sie täglich sehe – täglich thut es mir leid, in ihr das Bessere durch die dürre, niedrige Umgebung erstickt zu sehen; und wie sie sich in dieser ihrer Verarmung mit Trotz, mit Schärfe und Bitterkeit gefällt, wie sie ihre kleinstädtische Dürftigkeit gegen mich herauskehrt, in jedem unschuldigen Wort den übermüthigen Fremdling wittert, dem sie ihren ganzen kleinen empfindlichen Stolz entgegenstellen muß – kurz, wie sie sich ärmer und elender macht, als sie war, als sie ist. So hat sie’s freilich längst geliebt, mit allen Menschen Komödie zu spielen, mit ihrem Herzen im Versteck zu stehen. Aber warum fühlt sie nicht, wie unliebenswürdig das macht? Warum in einer so jungen Seele diese Schärfe, diese Bitterkeit? Sie hatte es auch früher gern, dies Versteckenspielen, aber da war es übermüthiger, fröhlicher; da bezauberte es einen gewissen blinden, armen Jungen. Jetzt, wenn sie wieder einmal übermüthig wird, jetzt vermisse ich die wahre innere Heiterkeit; ihr Lachen explodirt, die Natur wirft es wie im Krampf heraus, – und was sie dann lustig macht, das sind gewiß die allernichtigsten Dinge.

Ich verklage sie schon wieder; wie rauh ihr das kleine, feine Ohr dabei klingen mag! Warum mußt Du mich auch herausfordern, Dir über junge Kleinstädterinnen meine Meinung zu sagen! – Wenn ich so dasitze, Julie, das sopranhelle Geklatsche meiner kleinen Landsmänninnen höre und im Stillen denke: es ist Sonntag Nachmittag, nun werden deine Freunde durch die römische Compagna streifen! – Die gute Tante hat mich in ihren Händen, sie giebt mich nicht wieder heraus; sie weiß die alten Zeiten trefflich aufzuwärmen. Ihr Herz hatte ich immer; dazu langweilt sie sich und hört über alle Begriffe gern von fremden Ländern erzählen oder lustige Erinnerungen auftischen. So erwartet sie mich täglich zum Nachmittagskaffee, zum Abendessen und läuft voll Unruhe hin und her, wenn ich einmal ausbleibe. Komm’ ich dann später noch, so reißt sie die Thür auf, ruft der Anna, daß sie leuchten soll (wenn ich auch längst die Treppe herauf bin), droht mir in komischer Zornfreude mit der kleinen Faust – denn sie hat eine ungewöhnlich kleine Hand, kleiner als Anna’s – und hat mich schon an’s Sopha geführt und niedergedrückt, eh’ ich so viel Athem schöpfen kann, ihr guten Abend zu sagen. Unterdessen steht Anna mit gekreuzten Armen am Clavier, lächelt auf uns Beide herunter, grüßt mit einem stillen, stillen Kopfnicken, setzt sich endlich geräuschlos auf ihren Claviersessel nieder, am liebsten halb abgewandt, wie wenn ich durchaus nur ihr Profil studiren sollte; zuweilen mit einem schwebenden Blick über uns hin, sonst in den Winkel hinein, daß man nicht weiß, ob sie hört oder ob sie träumt. Und so sitzt das Mädchen stundenlang, indessen die Alte mich fort und fort zum Erzählen ermuntert, unverwandt durch die große goldene Brille mich anstarrt, oder zehnmal hinter einander mit dem Kopfe nickt, oder einen plötzlichen Ruf der Verwunderung ausstößt, daß ihr die Haubenbänder locker werden.

Ein eigenes Publicum, Julie! Und doch bin ich lieber noch zu Dreien, als mit Anna allein. Wenn ich bei Tage hinüberkomme und die Tante zur Nachbarin gegangen oder im Nebenzimmer in ihrem Lehnstuhl eingeschlafen ist (was ihr oft begegnet), und das Mädchen am Clavier klimpert oder sich in den neuesten Leihbibliothekroman vertieft hat, so will sich mir der Hacken drehen, auf der Stelle wieder umzukehren. Aber die Höflichkeit – und die alte Gewohnheit – und ihre Stimme, die noch den alten närrischen Zauber hat (ich sage immer, ihre Freundinnen haben blonde, sie hat eine brünette Stimme) – kurz, sie winkt mir mit irgend einem freundlichen Wort auf meinen alten Platz neben dem Nähtisch, am Fenster, unter dem Epheu – und da sitz’ ich und lache über mich selber, – um nach einer Viertelstunde verstimmt und verdrossen wieder aufzustehen. Denn es ist kein vernünftig Wort mit ihr zu reden. Wenn ich von fremden Menschen und Dingen und Schicksalen erzähle, so fängt ihre Unterlippe an zu spielen, ihre Augen schlafen halb ein, und auf einmal kommt irgend ein trockenes Wort heraus, ein kleinbürgerliches Urtheil, eine Nichtigkeit – und ich verstumme. Wenn das Herz mir aufgeht und ich von Italien rede, von großen Landschaften, wundersamen Menschen, von Meer, Licht und Luft, so tritt sie an’s Fenster, um auf die Wiesen und den blanken See hinauszusehen, an die Scheiben zu trommeln und zu sagen: „Mein Gott, es ist überall schön!“ Es ist, wie wenn sie nichts davon wissen will, daß die Welt so groß und ihr Leben so klein ist. Neulich entfuhren mir ein paar Worte über Kleinstädterei, über die kleinen Mauern und die kleinen Menschen; da sah sie mich so feindselig an, wie ich sie nie gesehen, stand auf, ging stumm im Zimmer hin und her und endlich zur Thür hinaus. In einer jähen Verstimmung erhob ich mich auch, griff nach meinem Hut und ging davon… „Und so benehmt ihr euch freilich noch wie rechte Kinder,“ wirst Du sagen.

Ach, meine gute Julie! was soll ich in dieser Luft! Sie könnte nur anstecken; soll ich mich anstecken lassen?

– Sie ist nicht erzogen worden, das ist ihr Unglück. Von ihrer Tante konnte sie wohl verhätschelt, verstört, verengert, verkümmert werden, aber nicht erzogen. Doch da fällt mir ein, daß sich ein Erzieher für sie angefunden hat – nur daß das Kind sich noch weigert, sich erziehen zu lassen. Als ich gestern wieder in den Tannen mein stilles Plätzchen gesucht und mich mit dem alten Homer niedergesetzt hatte, kam unser Jugendfreund, der rosige „kleine Heinrich“, tiefsinnig über die Felder herangeschwebt, erkannte mich, fuhr auf mich zu, und ich mußte ein herzliches Wiedersehen feiern. Du kennst seine Art: in einer halben Viertelstunde hatte er mir anvertraut, daß er sich nun zu „setzen“ denke, daß er heirathen wolle und daß er sich – hier stockte er und sah mich erwartungsvoll an – daß er sich unsere gemeinsame Freundin Anna ausersehen habe. „Oder hast Du auch Absichten?“ fragte er und drehte an meinen Knopflöchern. Ich lachte und gab ihm die Versicherung, wenn ihm Niemand mehr im Wege stehe als ich, so könn’ er sie morgen heimführen. „Das hätte er sich auch gedacht,“ meinte er, „ich würde mir gewiß so eine Ausländische nehmen. Ich hätte auch wohl noch Zeit, aber er“ – – Und dabei sah er unwillkürlich auf sein Herz, und ich auf seinen Rock: denn wirklich, in diesem nie gebürsteten schwarzen Röcklein, das statt seiner im Bett gelegen zu haben schien, und mit den baumelnden Knöpfen und den aufgelösten Hosensäumen sah er recht hausfrauenbedürftig aus. Aber es wird ihm dennoch wohl gehen in der Welt: er hat die großen Ohren und die prädestinirte Stimme eines Bürgermeisters, fett und stark.

Als ich mich seiner annestelnden Gesellschaft entwunden hatte und heimschlenderte, fiel mir erst ein: dies war der Bräutigam, aber was sagt die Braut? – Ich kam ohnehin an ihrem Hause vorbei; die Tante sah aus dem Fenster und rief mich an. Da sprang ich denn hinauf, und da auch das Mädchen im Zimmer war, fragte ich, ob sie schon wisse, daß man sie heirathen wolle? „Zu viel Ehre,“ antwortete sie trocken, während die Alte mich neugierig aufgeregt bei der Schulter packte. Ich hielt ihr still und erzählte meine Geschichte; kaum hatte ich aber den „kleinen Heinrich“ genannt, so warf sich Anna in’s Sopha und wollte sich

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