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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

anzustrengen. Diese Individuen bilden freilich den edlern Theil der Claque; im übrigen Theil befinden sich allerdings gar manche nichtsnutzige Lungerer, stämmige Burschen mit breiten schwieligen Händen, die einen Theaterabend hindurch darauf lospauken können, ohne sich sonderlich zu ermüden. Sie treiben sich in allen den Theatern benachbarten Kneipen herum, wo sie von dem Chef de Claque oder von seinen Gehülfen aufgesucht werden. Indessen müssen auch diese Leute ihren Platz bezahlen. Man sieht, die Claque wird tagtäglich frisch geworben. Der Fall jedoch, daß kein Claqueur aufzutreiben wäre, ereignet sich niemals. Paris ist so groß und die Schaulust der Franzosen so gewaltig, daß man nicht nur beständig eine genügende Anzahl Claqueurs findet, sondern daß man täglich die bereitwilligen Dienste unzähliger Individuen ablehnen muß.

Eine Viertelstunde vor der Eröffnung des Hauses vereinigen sich sämmtliche Claqueurs in einem dunkeln Theater-Corridor, wo sie der Chef oder einer seiner Adjutanten in Reih’ und Glied aufstellt, zählt und mustert. Sobald das Haus geöffnet wird, tritt er an ihrer Spitze in den Saal, wo er sie im Parterre unter den großen Lüstre vertheilt, daher sie auch vom Volke „Les chevaliers du lustre“ (Die Ritter vom Kronleuchter) genannt werden. Diejenigen, welche zu stolz sind, um sich dem Kern der Claque anzuschließen, setzen sich etwas abseits, müssen aber doch die übernommene Verpflichtung erfüllen. Geschicht dies nicht, so erhalten sie künftig kein Billet mehr. Sie werden von den Surveillants genau bewacht. Nachdem ihnen die Verhaltungsbefehle noch einmal eingeschärft, harren sie ruhig der Dinge, die da kommen sollen.

Da man seit einiger Zeit in vielen Theatern fast das ganze Parterre in Sperrsitze verwandelt hat und in einigen neuen Theatern die Beleuchtung durch eine Glasdecke fällt und der Kronleuchter unterdrückt ist, so befindet sich dort die Claque im letzten Rang, oder, wie man in Deutschland sagt, im „Paradies“. In diesen Theatern kommt der Segen von oben, aber er betäubt darum nicht weniger.

Man darf nicht glauben, daß das Publicum von dem Claquenwesen erbaut sei oder dasselbe ergebungsvoll dulde. Im Gegentheil, die Claque ist allgemein verhaßt, und es vergeht kaum ein Abend, ohne daß die lebhaftesten Protestationen gegen diese gedungenen Beifallsbezeigungen laut würden. Der Unwille gegen dieselbe ist sogar einst so stark geworden, daß einige Theater, und unter ihnen auch die große Oper, sich genöthigt sahen, sie zu unterdrücken. Allein diese Centimanen blieben nicht lange im Schooße des Tartarus. Die Künstler, die nicht mehr die süße Ohrenweide genossen, protestirten gegen die Protestationen des Publicums, und die „Chevaliers du lustre“ erschienen wieder mit neu gesammelten Kräften. Die Freunde der Claque, die Künstler nämlich, vertheidigen dieselbe durch unzählige Gründe. Sie behaupten, das Publicum sei zu gleichgültig, zu kalt, zu träge, um seinen Beifall mit den Händen zu bekunden; nichts sei aber für einen Künstler fürchterlicher, als das Schweigen des Hauses. Die Claque, behaupten sie ferner, sei ein probates Mittel gegen die Cabale, der sonst Thür und Thor geöffnet würde. Der sonderbarste Grund aber für die Nothwendigkeit der Claque ist der sanitätische. Die Anhänger der Claque behaupten nämlich steif und fest, der Künstler könnte nicht oft genug athmen, wenn er nicht applaudirt würde; während des Applauses habe er Zeit, Athem zu schöpfen. Da nun das Publicum sehr launischer Natur und an manchen Abenden das Chiragra zu haben scheine, so würden ohne Hülfe der Claque die armen Künstler den Athem verlieren. Keiner dieser Gründe ist jedoch stichhaltig. Das Italienische Theater in Paris hat keine Claque und wird dennoch von keiner Cabale beunruhigt; auch hat man niemals gehört, daß dort einem Tenor oder einer Primadonna aus Mangel an Applaus der Athem vergangen. Der Hauptgrund für das Bestehen der Claque liegt in dem unwiderstehlichen Bedürfniß der dramatischen Künstler, um jeden Preis gelobt zu werden. Ob das Weihrauchfaß von reinen unbezahlten oder von unreinen gedungenen Händen geschwungen werde, gleichviel! wenn es nur geschwungen wird und der Dampf tüchtig qualmt. Seien wir indessen nicht zu strenge gegen die Mimenwelt! Ich habe Kaiser und Könige gesehen, deren Züge sich sichtbar erheiterten, wenn sie bei den Schlagwörtern in ihren öffentlichen Reden von dem Publicum applaudirt wurden; und wer wollte darauf schwören, daß die bloße Vortrefflichkeit des oratorischen Werkes diesen Applaus hervorgerufen? – Die bezahlten Claqueurs datiren nicht von diesem Jahrhundert und sind auch nicht in Paris entstanden. Man weiß, daß der grausamste aller Tyrannen, der zugleich der erbärmlichste aller Komödianten war, daß Nero bei der Rückkehr von seiner Kunstreise nach Griechenland bekränzt und im Purpurgewand triumphirend in Rom einzog, daß mehrere tausend besoldete Claqueurs seinen Siegeswagen umschwärmten und ihn als den ersten aller Mimen ausposaunten. Er begnügte sich nicht damit, die Welt zu beherrschen; er wollte auch noch die Bretter beherrschen, welche die Welt bedeuten.

Die Pariser Theaterclaque hat, beiläufig gesagt, auch den Beruf, das Staatsoberhaupt bei seinem Eintreten in die Loge schreiend und klatschend zu begrüßen.

Alle Pariser Theater, das Italienische ausgenommen, haben ihre Claque, das Théâtre français eben so wohl wie das kleinste Vaudeville-Theater, und es wird kein Stück von Corneille oder Molière gegeben, ohne daß „die Ritter vom Kronleuchter“ ihre oberen Extremitäten in Bewegung setzen. Außer der Claque in den Theatern giebt es auch eine Claque in der Presse. Gewisse Theater werden von gewissen Blättern immer gelobt, und diese Blätter wissen warum. Es giebt sogar eine Theaterzeitung, die für das Vorrecht, in allen Schauspielhäusern während der Zwischenacte feil geboten zu werden, den Directionen gegenüber die Verpflichtung übernommen, alle Dichter, alle Componisten, alle Sänger und Sängerinnen, alle Schauspieler und Schauspielerinnen und, wie es sich von selbst versteht, die Directionen stets mit Lob zu überschütten. Klappern gehört nicht nur zum Handwerk, sondern ist selbst ein Handwerk, das mehr als jedes andere einen goldenen Boden hat.




Blätter und Blüthen.


Aus dem Leben Pius des Neunten. Kurze Zeit nach der Erhebung Pius des Neunten auf den päpstlichen Stuhl erschien eine Deputation der Juden aus dem römischen Ghetto im Quirinal, um dem heiligen Vater ihre Huldigung darzubringen und demselben zugleich als Zeichen ihrer Ergebenheit einen prachtvoll gearbeiteten antiken Kelch zu überreichen.

„Es ist gut, meine Kinder,“ erwiderte Pius auf ihre Ansprache, „ich nehme Euer Geschenk an und danke Euch herzlich dafür. Aber könntet Ihr mir nicht sagen, wie viel dieser Kelch etwa in römischen Thalern werth sein mag, abgesehen von seinem Kunstwerth, der unschätzbar ist?“

Die Juden sahen einander an, dann antwortete der Anführer der Deputation: „Fünfhundert Thaler, Ew. Heiligkeit!“

„Gut; da ich nun Eure Gabe angenommen habe, dürft Ihr auch eine von meiner Seite nicht zurückweisen. Hier habt Ihr tausend Thaler, die ich Euch bitte, in meinem Namen an die Familien des Ghetto zu vertheilen.“

Die Juden nahmen das reiche Geschenk freudig an; Pius der Neunte verdiente sich ihren Dank aber bald noch reichlicher, indem er das von der übrigen Stadt hermetisch abgesperrte Ghetto öffnete und erweiterte und den Bewohnern desselben überdies gestattete, sich auch in anderen Stadttheilen anzusiedeln. –

Im Jahre 1847 tanzte Fanny Elßler im Theater Argentina zu Rom und die ganze jeunesse dorée lag ihr zu Füßen; ihre eifrigsten Verehrer vereinigten sich, um der gefeierten Tänzerin einen goldenen Kranz im Preise von zwölftausend Lire zu überreichen. Zuvor aber beschloß man, die Einwilligung des heiligen Vaters dazu einzuholen, denn man fürchtete bei der gedrückten Lage des Augenblicks, er würde vielleicht diesen Act der Verschwendung strenge tadeln, wenn er nicht wenigstens pro forma um Erlaubniß gefragt würde.

„Gebt der Tänzerin Euern Kranz,“ sagte Pius der Neunte, „wenn Ihr Euch dazu gedrängt fühlt; ich sehe darin nichts, was die Würde der Kirche oder die Sicherheit des Staates gefährden könnte. Aber gestattet mir die Einwendung, daß ich die Wahl Eures Andenkens für eine berühmte Ballerina nicht glücklich finde. Ich bin zwar nur ein schlichter Priester, der sich in solchen Angelegenheiten gar nicht für competent hält, allein ich hätte geglaubt, daß ein Kranz für den Kopf und nicht für die Beine gehöre.“

Fanny Elßler erhielt trotzdem ihren Kranz für zwölftausend Lire, erfuhr aber auch durch einen Indiscreten die Antwort des Papstes und suchte denselben zu ihren Gunsten zu stimmen, indem sie ihm eine Summe von sechstausend Lire für die Armen übersandte.




Marlitt’s Goldelse ist jetzt auch in einer sehr hübschen gebundenen Ausgabe (2. Auflage) zu haben, die für den Weihnachtstisch sich besonders empfehlen dürfte.




Inhalt: Der Habermeister. Ein Volksbild aus den bairischen Bergen. Von Herman Schmid. (Fortsetzung.) – Im Försterhause. Von Friedrich Hofmann. Mit Illustration. – Moorbilder aus Muffrika. – Das „Donauweibchen“ in Prag. – Deutschlands große Industriewerkstätten. Nr. 4. Bei dem Locomotivenkönig. II. Mit Abbildung. – Pariser Bilder und Geschichten. Die Ritter vom Kronleuchter. Von Ludwig Kalisch. Blätter und Blüthen: Aus dem Leben Pius des Neunten. – Marlitt’s Goldelse.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_784.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)