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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Freund in seinem Barbier gefunden hätte. Dieser Barbier hieß Porcher und war ein sehr geriebener Mann. Er erkannte Scribe’s fruchtbares, schmiegsames Talent besser, als Scribe selbst, und wiederholte jeden Morgen, so oft er die Wangen des jungen Dichters einseifte, daß diesem eine glänzende Laufbahn bevorstünde, wenn er unverdrossen und möglichst viel producirte. Die Abgunst des Publicums würde sich endlich in Wohlwollen verwandeln; nur müßte man das Publicum fortwährend bearbeiten und zwar durch eine beständige, trefflich disciplinirte Claqueurtruppe.

Scribe, dem durch das oratorische Talent seines Bartscheerers ein Licht aufgegangen war, verkaufte ihm seine billets d’auteur, die Billete nämlich, die jedem dramatischen Dichter und Componisten bei der jedesmaligen Aufführung seiner Stücke von der Direction gegeben werden. Porcher organisirte eine Claque, welche sehr tüchtig darauf losarbeitete, die drohenden Niederlagen abzuwenden suchte und, wenn ein Stück einschlug, den Erfolg desselben vermehrte. Zu gleicher Zeit fand Scribe einen andern Freund in einem Herrn Sauton, der ihm Geld vorschoß und ihm sogar ein Cabriolet kaufte. Porcher, auf den ich später noch zurückkommen werde, ist als reicher Mann gestorben, und was Sauton betrifft, so hat ihn Scribe später als Chef de Claque in der großen Oper anstellen lassen. Die andern Pariser Theater folgten dem Beispiel und hatten bald jedes seinen Chef de Claque, der zum Theaterpersonal gehört und jeden Abend mit größerem oder geringerem Erfolg operirt.

Der Chef de Claque ist eine sehr wichtige Person und muß mannigfaltige Eigenschaften besitzen, wenn er sein keineswegs leichtes Amt gut versehen und sich unentbehrlich machen will. Er muß sehr gewandt, sehr intelligent, sehr rührig sein. Er muß ein gewisses musikalisches und poetisches Gefühl besitzen; er muß nicht nur die Fähigkeiten jedes Mitgliedes des Theaterpersonals kennen, sondern auch den Geschmack, die Launen, die Vorliebe und die Vorurtheile seines Publicums, denn jedes Theater hat seine Habitués, die sich von denen der andern Theater unterscheiden. Der Chef de Claque fehlt bei keiner Theaterprobe, die er mit der größten Aufmerksamkeit begleitet. Wird ein neues Stück zur Aufführung vorbereitet, so verdoppelt er seine Aufmerksamkeit und schont kein Mittel, um dem Werk einen glänzenden Triumph zu verschaffen. Der Abend einer ersten Vorstellung gleicht einer entscheidenden Schlacht. Er verstärkt daher seine Truppen und vertheilt sie so geschickt, daß manche von ihnen sich unter dem unparteiischen Publicum befinden, ohne daß dasselbe es merkt. Er umgiebt sich mit seinem tüchtig einstudirten Generalstab, er bezeichnet seinen Feldherren, den sogenannten „Surveillants“, wo sie angreifen, wo sie in der Defensive verharren sollen, und wartet nun als Generalfeldmarschall mit seinem großen Stock, seinem Marschallstabe, auf die Eröffnung der Schlacht. Der erste Act beginnt. Der Chef hat die Augen überall und erforscht die Stimmung des Publicums. Sobald dieses eine Neigung zum Applaus verräth, giebt er mit seinem Stock ein Zeichen und über hundert Hände setzen sich in Bewegung. Zeigt sich im Gegentheil das Publicum unzufrieden, so hütet sich der Chef de Claque gar sehr, durch ein voreiliges Applaudiren den Widerspruch des Hauses hervorzurufen und ein Zischen und Pfeifen zu veranlassen, denn das sind Töne, die seine eigene Ohnmacht verrathen. Er läßt in solchen Fällen seine geschickt vertheilten Claqueurs die Sache des Autors nur durch einzelne abgebrochene Phrasen vertheidigen. Der Eine murmelt: „Das ist doch gar nicht so übel!“ Ein Zweiter brummt: „Recht wacker! Sehr gut!“ Ein Dritter behauptet, es sei eine Intrigue im Spiel und schreit: „à la porte les siffleurs!“ (hinaus mit den Zischern!).

Sobald der erste Act vorüber, begiebt sich der Chef de Claque auf die Bühne und stattet dem Director und dem fieberhaft aufgeregten Autor den Bericht ab. Hat er einen Triumph zu melden, so übertreibt er denselben in den pompösesten Redensarten. Ist der Erfolg unentschieden, so spricht er dennoch von einem glänzenden Siege, schüttet aber in das Feuer seiner Begeisterung einige Tropfen kalten Wassers. Er bemerkt nämlich, daß man für die folgende Vorstellung Manches abzuändern habe, daß eine gewisse Stelle zu schwach, eine andere zu stark betont sei, daß man in einer Scene etwas hinzufügen, in einer andern etwas wegschneiden müsse. Während eines jeden Zwischenactes fährt er mit seiner Berichterstattung in dieser Weise fort. Wird das Stück beifällig aufgenommen, so hat er leichtes Spiel. Er beglückwünscht den Autor, versichert ihm, daß seit Jahren solch’ ein glänzender Erfolg nicht erlebt worden, und erhält von ihm, was man in der Theatersprache ein „Bouquet“ nennt, nämlich ein Geldgeschenk. Manche Autoren und Componisten zeigen sich in der Freude ihres Herzens sehr großmüthig. Meyerbeer soll indessen bei derartigen Gelegenheiten sich nicht sonderlich freigebig bewiesen haben, und was den Maestro Verdi betrifft, so hat er die süße Gewohnheit, gar nichts zu geben.

Hat das Stück blos einen succès d’estime, so spricht der Chef de Claque dennoch von einem bedeutenden Erfolg, der mit den folgenden Vorstellungen wachsen würde. Wenn aber das Stück entschieden Fiasco macht, wenn unter Zischen und Pfeifen der Vorhang fällt und das Publicum unwillig das Haus verläßt, so spricht der Chef de Claque von Cabalen, von boshaften Ränken einiger hämischen Feinde, die seinen Bestrebungen entgegen gearbeitet – kurz, er sucht das Unglück so viel wie möglich zu bemänteln, da jede Niederlage zum Theil der Unzulänglichkeit seiner angewendeten Mittel zugeschrieben wird. Die glänzenden Siege sind indessen in den großen Pariser Theatern – und von diesen ist hier besonders die Rede – eben so selten wie die schmählichen Niederlagen. Es wird nicht oft ein Werk aufgeführt, das dem Autor die Unsterblichkeit verbrieft, oder bei der ersten Aufführung zu Tode gezischt wird. Wie dem aber sei, der Chef de Claque steht sich sehr gut, viel besser als die meisten Theaterdichter, ja, nicht selten viel besser als der Director, den er wohl zuweilen aus peinlichen Finanznöthen befreit. Der Chef de Claque muß nämlich in seinem eigenen Interesse für das Fortbestehen des Theaters arbeiten, dem er seine Wirksamkeit widmet. David, der Chef de Claque an der großen Oper, ist ein sehr wohlhabender Mann. Diese Anstalt, welche den officiellen Titel Académie impériale de musique führt, bewilligt, wenn ich nicht irre, dem Chef de Claque sechszig Plätze für jede Vorstellung. Obgleich er nun der Pariser Armencommission zehn Sous für jeden Platz zu entrichten hat, so bleibt ihm doch noch ein hübscher Profit übrig. Rechnet man zu dieser Einnahme noch die Honorare hinzu, die er von den Componisten, von den Künstlern und besonders von den Debütanten erhält, so wird man leicht begreifen, daß sein jährliches Einkommen bei Weitem größer ist, als das irgend eines berühmten Professors an der Sorbonne oder am Collège de France, daß die Claque sich besser rentirt als die Wissenschaft.

Kommen wir jetzt auf die billets d’auteur zurück.

Vor der Epoche Scribe’s wurden dieselben von den Directoren nur für die Freunde des Autors gegeben. Die Autoren verkauften zwar diese Billete, wenn sie Geld brauchten, aber sie thaten dies aus Schamgefühl nur im Geheimen. Scribe war der Erste, der seine billets d’auteur offen verkaufte. Seit jener Zeit wird mit diesen Billeten nicht nur Handel getrieben, sondern sie locken überhaupt die Speculationslust. Der Autor, der, je nach dem Umfange seines Werkes, für jede Vorstellung desselben eine größere oder geringere Zahl solcher Billete von der Direction empfängt, verkauft diese zu einem Preise, welcher von seinem Namen und besonders von dem Beifall bestimmt wird, dessen sich das Werk erfreut. Es giebt jedoch Theaterdichter, die ihr Anrecht auf die billets d’auteur nicht nur für die Stücke verkaufen, die sie bereits geschrieben, sondern auch für alle dramatischen Kinder, die sie künftig zeugen werden. Die Wittwe des bereits erwähnten Porcher treibt diese Speculation, die freilich nicht immer glücklich ist; denn wenn der Autor, dem sie das Recht abgekauft, mit der dramatischen Muse einen Wechselbalg zur Welt bringt, so wird natürlich viel Geld verloren; auch sinken diese Billete im Werthe während der Sommersaison. Indessen sind alle diese Umstände wohl erwogen, und so kommt es, daß Frau Porcher ein bedeutendes Vermögen besitzt und gar manchem berühmten dramatischen Dichter sehr häufig aus der Geldklemme hilft.

Wir haben bis jetzt blos von dem Feldherrn, von dem Chef de Claque, gesprochen; sprechen wir nun ein Wort von seiner Armee, von der Claque selbst.

Man glaubt gewöhnlich, daß diese aus lauter Lumpengesindel zusammengesetzt sei und für ihre Arbeit bezahlt werde. Das ist aber ein großer Irrthum. Die Claque besteht aus Theaterfreunden, die ihrem Kunstsinn keine schweren Opfer bringen können, aus Schreibern, Notariatsgehülfen, Ladendienern, welche ihren Platz unter dem Preise bezahlen, dafür aber die Verpflichtung übernehmen, den Befehlen der Chefs zu gehorchen und die Hände tüchtig

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