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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Himmel; – Napoleon der Dritte: von Alledem das Gegentheil. Da kann von keinem Compromiß die Rede sein, der Kampf zwischen Beiden endet erst mit dem Tode des Gegners.

Und wer steht zwischen Beiden? Nicht mehr der kluge, muthige und entschlossene[WS 1] Cavour, der erst mit der Franzosen Hülfe das kleine Piemont an Oesterreich und dem Papstthum rächte und dann mit Garibaldi’s Hülfe das Königreich Italien aufrichtete, – sondern ein rathloser König, der das Schwert Italiens trug, so lange ihm von einem bessern Manne die Hand dazu geführt wurde, ein zu jeder Verantwortlichkeit unfähiger Mensch, zu schwach zum Dank wie zum Undank.

Ungleich glücklicher, als das ihm so schicksalsähnliche Spanien, stand Italien wie eine Großmacht geachtet da; seinem Königshause waren der Kronen eine um die andere in den Schooß gelegt worden: durch Frankreich die lombardische, durch Garibaldi die sicilische und neapolitanische, durch Preußen die venetianische. Das Königshaus hatte scheinbar Ursache zu vielerlei Dankbarkeit: eine kluge und ehrliche Politik würde ihm jedoch gesagt haben, daß weder Frankreich noch Preußen um Italiens willen zum Schwert gegriffen, sondern daß beide Italien nur als Bundesgenossen benutzt haben in ihren ganz eigene Zwecke verfolgenden Kriegen gegen Oesterreich; beide Mächte haben damit ihren Lohn dahin, abgesehen davon, daß überhaupt kein selbstständiger[WS 2] Staat einem andern durch Dankbarkeit zu besonderen Rücksichten verpflichtet sein darf. Ganz in der Ordnung, eine heilige Pflicht war dagegen die Dankbarkeit des Königshauses und ganz Italiens gegen den Bürger des Landes, der für die Einigung des Reichs das Höchste gewagt, seinem Könige zwei Kronen geschenkt und sich dann wieder an seinen Pflug zurückbegeben hatte, ohne jeden Anspruch auf Lohn, ein zweiter Cincinnatus: Joseph Garibaldi!

Das Königshaus konnte zu solcher Hochherzigkeit sich nicht erheben. Der bürgerliche Wohlthäter erschien den allerhöchsten Kreisen wie ein ewiger Vorwurf, die Dankbarkeit gegen ihn wie ein Flecken am Thron. Dazu drang der Mann auf ehrliches Vorwärtsgehen in der Vollendung des einheitlichen italienischen Königthums auch über den Kirchenstaat, nach dem einmüthigen Wunsch der Nation – und wurde dadurch so unbequem, wie seine einfachen Sitten ihn für Hofcirkel unmöglich machten. So zog sich denn der General in die Verborgenheit Caprera’s zurück, wie ein Löwe auf den Augenblick lauernd, wo ein kühner Sprung ihn mitten auf das Feld der That bringe, während ein Kaiser und ein König jeden seiner Athemzüge belauschen ließen, denn jener haßte, dieser scheute und Beide fürchteten ihn, den einzelnen Mann.

Wie weit diese Scheu und Furcht vor Garibaldi beim Könige und seiner Umgebung geht, davon erzählt man sich folgende Geschichte aus Florenz. Bekanntlich hat die italienische Regierung scheinbar Alles gethan, um Garibaldi vom letzten Freischaarenzug gegen Rom abzuhalten. Man hat ihn gewaltsam auf seine Ziegeninsel zurückgeschafft, man hat dieselbe sorgfältigst durch Kriegsschiffe bewachen lassen, Garibaldi’s Söhne allein leiteten die kriegerischen Operationen im Kirchenstaate. Da ist der alte Held plötzlich von Caprera verschwunden, er ist in Italien gelandet, ja er ist in der Hauptstadt selbst. Sobald dies dem Polizeichef gemeldet wird, eilt dieser zu Ratazzi, um Verhaltungsmaßregeln bittend. Allein dieser, der eben vom Posten des „Premier“ abgetreten ist, weigert sich, die Verantwortung eines Verhaftsbefehls gegen Garibaldi zu übernehmen. Der Polizeichef begiebt sich nun zu Cialdini, erfährt aber bei diesem dieselbe Abweisung und fährt nun am Palast Pitti, der Residenz des Königs, selbst vor, um an höchster Stelle sich Trost zu holen. Der König ertheilt ihm die gewünschte Audienz und nachdem er den Vortrag angehört, steckt er sich eine Cigarre in den Mund und lehnt sich zum Fenster hinaus. Der Polizeichef sieht gehorsam zu, wie die Rauchwölkchen dahinziehen, aber Antwort erhält er nicht. Endlich, etwa nach zehn Minuten geduldigen Harrens, wagt er, des Königs Befehle im vorliegenden Falle sich noch einmal zu erbitten, wird aber wieder nur mit tiefem Schweigen bedient. Was bleibt ihm übrig, als zu gehen und Garibaldi gehen zu lassen, wohin er will? So zog der kühne General unbehindert von Florenz ab, um in’s Römische einzubrechen.

Ja, es ist noch weit mehr geschehen: es wurde im Stillen geduldet, daß viele Officiere und Soldaten aus der königlichen Armee sich den Schaaren Garibaldi’s anschlossen; es wurde dadurch die Meinung verbreitet, daß der alte Kronenverschenker im geheimen Einverständnisse mit dem Könige handele. Wer konnte auch anders denken? Ohne die geringste feindliche Aeußerung marschirten beide italienische Truppenkörper, der königliche und der freiwillige, gleichzeitig im Kirchenstaat vor. Mußten sie nicht in den Päpstlichen und den Franzosen auch gemeinschaftliche Feinde vor sich sehen? Und die Königlichen hielten diesen Glauben aufrecht bis zum Augenblick der entsetzlichsten Entscheidung!

Ein wahrer, muthiger, gerechter und dankbarer König von Italien würde der Stimme der Nation, seines großen Volksgenerals und der Ehre Gehör geschenkt haben; das Gegentheil that der seit dem Tode Cavour’s meisterlos gewordene Victor Emanuel: er beugte sich dem Gebieter in Paris, dem keine höhere Idee vorschwebte, als die selbstische, sein Mexico und Sadowa mit einem zweiten Römerzug zuzudecken, die Heiligen und seine Gemahlin zu versöhnen und wo möglich den Todfeind zu vernichten. Mit den Schlüsselsoldaten fochten die kaiserlichen Rothhosen gegen die im Abzug begriffenen Garibaldianer; gegen die Rebellen exercirte man im Feuer mit den Chassepotgewehren, – und nachdem an den tapfersten und edelsten Söhnen Italiens sich die neue Waffe als trefflich bewährt hatte, besorgten die Soldaten des Königs die Gefangennahme des alten Generals und der Schlachtopfer treuloser Diplomatie. Den Hinterbliebenen aber bezahlt der König die Todten mit fünfzigtausend Francs! –

Eine allgemeinere Niederlage ist noch nicht da gewesen, als die bei Mentana: dort hat Alles verloren – Napoleon den Vormarsch an der Spitze der Civilisation und den letzten Rest italienischer Sympathie, Victor Emanuel den Kranz des Heldenthums und der italienischen Ehre, Italien den Rang einer selbstständigen Macht, das Papstthum den Heiligenschein der christlichen Liebe und Garibaldi den Glauben an sein Volk und seines Volkes Sieg.

Der letztere Verlust – das wünschen wir dem Greise mit der tiefen Herzenswunde – wird vielleicht am ersten ersetzt: alles Andere nie wieder. Denn der Triumphzug, mit welchem den gefangenen Helden die Bewohner von Spezzia ehrten, indem sie selbst seinen Wagen bis zu seinem Gefängniß in Varignano zogen, wird seine Wirkung auf Joseph Garibaldi nicht weniger lebhaft äußern, als auf den König Victor Emanuel die bittere Mahnung jener Bürger von Florenz, welche seiner ehernen Bildsäule, die ihn zu früh ehrte, das Schwert Italiens aus der Hand schlugen.

Von den Helden Garibaldi’s zeigen wir die gefeiertsten unsern Lesern in wohlgetroffenen Bildnissen: General Nicotera und Oberst Acerbi sowie die beiden Söhne Garibaldi’s, Menotti und Ricciotti.

H. v. C.




Von den Geheimnissen der Vogelstellerei.[1]
Von Gebrüdern Karl und Adolph Müller.
2. Die Drosseln und der Heerd.

Schon an sonnigen Februartagen dringt zu des Wanderers Ohr ein tiefer sanftflötender Gesang in andächtigem Andante vom Walde her. Mancher mag diese ansprechende Weise mit dem wehmüthigen Anhauche wohl öfters hören, ohne die Urheberin derselben je zu sehen oder zu kennen. Heimlich versteckt im Dämmer eines Fichten- oder Buchendickichts, sitzt der mohrenschwarze Vogel mit dem goldgelben Schnabel und den gleichfarbigen Augenrändern. Wer sollte es meinen, daß diese äußerst scheue, vorsichtige Waldeinsiedlerin, unsere Schwarzdrossel oder Amsel, gerade der populärste, zutraulichste Stubenvogel werden könnte! Vermöge seiner vielseitigen Gelehrigkeit hat er sich jedoch, wie der Staar, jenes Bürgerrecht in der menschlichen Wohnung erworben. Aber


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: enschlossene
  2. Vorlage: sebstständiger
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 765. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_765.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)