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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

zu wahrhaft ländlichen Festen. Die Einweihung jenes Pavillons auf der weithin schauenden Felsenhöhe brachte anmuthige Geschäftigkeit in die kleine Damenwelt. Frau Reinwald, die verdienstvolle Vorsteherin des deutschen Hülfsvereins in Paris, und Frau Moleschott, des berühmten Physiologen anmuthige Gattin, hatten Kränze gewunden und damit den neuen Pavillon geschmückt, in welchem zum ersten Male die fröhliche Gesellschaft sich zusammenfand. Unter den Gästen befand sich diesmal auch ein Freund Desor’s, Hans Lorenz Küchler, der unerschrockene Vertheidiger Trützschler’s, Mögling’s und vieler anderen am badischen Aufstande Betheiligten vor dem Kriegsgerichte in Mannheim. Küchler, der sich in Heidelberg der deutsch-katholischen Bewegung angeschlossen hatte, war in Combe-Varin mit dem amerikanischen Reformator Theodor Parker zusammengetroffen und hatte sich ihm als einem gleichgestimmten Geiste auf das Innigste befreundet. Es sollte ein Bund für das Leben sein – in Wirklichkeit für eine Spanne Zeit. Auch er nahm Theil an der Einweihung jenes Pavillons. „Küchler“ – erzählt sein Biograph Venedey im ‚Album von Combe-Varin‘ – „war an jenem Tage so freudig erregt, so lebendig, geistreich und froh, wie er es nur selten gewesen sein mag. Die ganze Gesellschaft stachelte er mit seinem spielenden Humor oft zur heitersten Stimmung hinauf. Ihm fehlte nur Eines, um ganz glücklich zu sein, die Gegenwart der Seinigen. Er brach seinen Besuch mit der Absicht ab, heimzukehren und seine Frau an seiner Statt nach Combe-Varin zu schicken, damit auch sie des Glückes theilhaftig werde, das er so voll genossen.

Er eilte hinunter nach Noiraigue, um den nächsten Bahnzug zu benutzen; er eilte dem Tode entgegen. In Neuchatel nahm er das Dampfschiff. Im Augenblick, als er bei Nidau das Land wieder betrat, sank er plötzlich zusammen, vom Schlage getroffen, und die Kränze, welche Frauenhände zu einem Feste gewunden, schmückten sein frisches Grab.

Auch Parker sollte den nächsten Frühling nicht überleben. Nachdem er scheinbar gekräftigt im Herbst 1859 Combe-Varin verlassen hatte, um den Winter in Rom zuzubringen, erlosch sein kampfbewegtes Leben in Florenz, nachdem er noch seinen Freund Desor zu sich gerufen, in dessen Armen er seinen letzten Odem aushauchte. Als er den Tod herannahen fühlte, bat er seine Freunde, ihn aus den päpstlichen Staaten zu führen; nicht auf dem Boden des priesterlichen Despotismus wollte der begeisterte Kämpfer für die Freiheit des Glaubens, der Vertheidiger und Beschützer der Unterdrückten und Sclaven, die Augen schließen. Sein Wunsch ward ihm erfüllt.

Wir haben den Tribut der Erinnerung den Todten gebracht. Kehren wir nun zu den Lebenden zurück! Aus den Namen der Gäste, die wir bisher genannt, läßt sich auf den Reichthum der Unterhaltung schließen, welche die Gesellschaft in steter Anregung erhält. Von mancher berühmten wissenschaftlichen Abhandlung wurde hier an der Abendtafel Kenntniß genommen, ehe sie in die Hände des Buchdruckers wanderte. In einem schmucklosen Zimmer dieses ehemaligen Jagdhauses las Justus Liebig die Correcturen seiner „Geschichte des Feldbaues“. Hier wurden in Dove’s Gegenwart die ersten Scharmützel über die Eiszeit und den Ursprung des Föhns geschlagen; Scharmützel, die in neuester Zeit den großen Berliner Meteorologen zu hitzigen Gefechten hingerissen haben.

An einem solchen Abendtisch zu Combe-Varin ließ sich die liebenswürdige Gemahlin des trichinenkundigen Virchow von einem verführerischen Stück rohen Schinkens in ihren hygienischen Grundsätzen erschüttern. „Du wirst doch nicht!“ sagte der erschrockene Gemahl beim Anblick der gefährlichen Schüssel. „Freilich werde ich!“ antwortete lachend die Frau Professor, und sie hatte die Genugthuung, nach einigen Tagen ihren besorgten Eheherrn zu gleichem Wagestück verführt zu sehen.

Es bedarf wohl kaum der Versicherung, daß in einem Hause, welches so hervorragende Chemiker und Physiologen beherbergt, auch die Chemie der Küche und die Physiologie des Geschmacks auf das Glänzendste vertreten sind, und die größten unter den großen Naturforschern, die sich hier zusammengefunden, haben es nicht verschmäht, Marien, der Haushälterin des hagestolzen Wirthes, ein Blatt in ihren reichen Lorbeerkranz zu flechten.

Die öffentliche Stellung, welche Desor im Canton Neuchatel einnimmt, führt natürlich nicht selten auch andere Gäste als Männer der Wissenschaft nach Combe-Varin, und mancher Sonntag hat die Gesetzgeber oder Regenten des kleinen Landes zu fröhlichem Ideenaustausch hier vereinigt gesehen. An den Nachmittagskaffee schließt sich ein allgemeines Bocciaspiel an, wobei einige ernste Herren es an Sicherheit des Wurfs mit dem schwarzäugigsten Italiener aufnehmen können. Auch der altgallische Schleuderspeer der in Folge der antiquarischen Studien des Kaisers Napoleon zu seinem „Leben Cäsar’s“ wieder reconstruirt worden, dient hier zu allgemeinen Uebungen. Diese Waffe wird vermittelst einer Schlinge von kräftigen und geschickten Armen auf eine Entfernung von sechszig Schritt und darüber geworfen. Wir hatten Gelegenheit, auf Combe-Varin der Uebung eines Turnvereins beizuwohnen, wobei der Held des Tages, ein junger Uhrenmacher, seinen Speer sogar mehrmals auf achtzig Schritt in das hölzerne Scheibenbild fest eintrieb. Sollte sich dies Spiel nicht auch auf deutschen Turnplätzen das Bürgerrecht erwerben können?

Nicht minder angenehme Abwechselung als der ebenerwähnte Besuch von Turnvereinen und ähnlichen Gesellschaften bieten den wissenschaftlichen Stammgästen von Combe-Varin die Besuche, welche die höheren und Mittelschulen von Neuchatel dem Präsidenten des Erziehungsraths von Zeit zu Zeit auf seinem Landgute abstatten. Gesang und fröhliche Spiele beleben den Wald und die endlosen Matten, von den benachbarten Ortschaften und Weilern ziehen geputzte Menschen herbei, um theilzunehmen an dem Jubel der Jugend. Das ist ein festlicher Tag für den weiten Umkreis der ganzen Besitzung, und die schönste der Tugenden, die Gastfreundschaft, spendet dann, wie einst in sagenhafter Vorzeit, ihre ungemessenen Schätze und verbreitet ihren Segen über ganze Geschlechter.

Solcher Tage wünschen wir noch recht viele dem Herrn von Combe-Varin und seinen Gästen.




Ein Capitel vom Fürstendanke.


„Italien ist ruhig!“ – So verkündet – in Folge der Blutthat der Päpstlichen und Franzosen gegen die Garibaldianer bei Mentana am dritten November – der „Moniteur“, die Stimme des kaiserlichen Orakels von Frankreich, von welcher die Weltgeschichte schon so manche unsterbliche Lüge aufgezeichnet hat.

„Italien ist ruhig“ – denn: Garibaldi liegt im Kerker! – So lautet die Logik des Wahns, der das Feuer für erloschen erklärt, wenn die höchsten Flammen erstickt sind. Und doch zittern „die Sieger“ auf dem Boden, der unter ihren Füßen fortglüht.

Es giebt kein traurigeres Zeitbild, als das einer herabgewürdigten Nation: als eine solche steht heute die italienische vor der Welt da, und das Bild dieser Entwürdigung ist um so empörender, je beneideter seit den letzten zehn Jahren durch den plötzlichen Einheitssieg Italien, wenigstens in den Augen der nach gleichem Ziele vergebens ringenden Völker und namentlich der Deutschen, zu sein verdiente.

Wie viele Aehnlichkeiten die Vergleichung der italienischen und der deutschen politischen Zustände auch vor zehn Jahren noch bot, so schien damals doch der italienische Einheitssieg in noch viel weiterer Ferne zu liegen, als der deutsche. Piemont, das Schwert Italiens, war niedergeschmettert, in ganz Oberitalien herrschte das mächtige Oesterreich, in Rom der Papst und Frankreich, in Neapel der eiserne Bourbon. Besaß nun auch Italien an Cavour, Garibaldi und Mazzini drei Männer, welche drei Heere werth waren und von denen wir den letztern mit nennen, weil, trotz der Erfolglosigkeit seiner republikanischen Bestrebungen, seine erstaunliche Wühlerarbeit zur Erweckung und Wacherhaltung des italienischen Volksgeistes wesentlich beitrug, so war doch nicht daran zu denken, daß die Italiener durch ihre eigene Kraft das Joch ihrer (den Papst ausgenommen) sämmtlich fremden Fürsten abschütteln könnten. Cavour’s außerordentlich kluge Benutzung des Krimkriegs zu einem Bunde mit den Westmächten änderte plötzlich die ganze Sachlage um so leichter, je weiter Oesterreich sich von den Westmächten entfernt hatte. Der Erfolg ist bekannt. Napoleon der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_763.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)