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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Schließlich wurde die Stadt, weil die ersehnte Hülfe der deutschen Wiedertäufer ausblieb, im Jahre 1535 nach hartem Kampf und furchtbarem Gemetzel von dem Bischof wieder erobert. Johann von Leyden, Knipperdolling und Krechting wurden gefangen und in schrecklicher Weise hingerichtet; auf dem Markte zu Münster wurde ihnen am 22. Januar 1536 mit weißglühenden Zangen ein Theil des Oberleibes nach dem andern abgerissen und dann erst der Tod gegeben. Ueber eine Stunde dauerte die gräßliche Marter; gleichwohl blieb Johann von Leyden trotz des Zuspruchs zweier hessischer Geistlicher dabei, daß er der berufene König sei, so daß man sich wirklich fragt: waren die Männer Betrüger und Heuchler, oder verirrte Schwärmer und Fanatiker?

In jenen Gegenden hatte nun das Wiedertäuferthum ein Ende; der Katholicismus siegte wieder und verfolgte die Secte überall auf das Grausamste. Die Niederlage der Wiedertäufer in Münster war, wie in Mühlhausen in Thüringen, wo Münzer sein Wesen trieb, zugleich der Untergang der bürgerlichen Freiheit. Münster wurde nun eine geistliche Zwingburg und 1588 zogen die Jesuiten ein. Nicht in Abrede läßt sich stellen, daß die Wiedertäufer an der ihnen widerfahrenen ungerechten und unchristlichen Härte selber mitschuldig waren, indem sie aus Trotz und ohne Noth gegen alle damaligen weltlichen und geistlichen Gesetze und Sitten verstießen; auf der anderen Seite mußten auch die Besseren und wirklich Frommen unter ihnen büßen für die Tollheiten der Andern, sie litten unter dem Haß und der Furcht, welche die Münsterischen Wiedertäufer erregt hatten, und unter den alten und neuen Gesetzen der deutschen Kaiser. Die Protestanten selbst waren genöthigt, sich von ihnen loszusagen, weil sie den Protestantismus überall in Mißcredit brachten.

Uebrigens beginge man einen großen Irrthum, wollte man alle Wiedertäufer als Schwärmer und wilde Fanatiker bezeichnen; offenbar war vielmehr Etwas von einer geistigeren, idealeren Richtung in ihnen, daher erhielten sie sich auch trotz der furchtbaren Niederlagen. Schon Rothmann und Copris verlangten eine gründliche Reformation des Lebens, Vermeidung alles weltlichen Umgangs mit Menschen, der Unmäßigkeit in Genüssen, des Schwörens, auch des öffentlichen Kirchengehens, damit sie nicht durch eitle Lehren und den verkehrten Gebrauch der Sacramente befleckt würden und den Zorn Gottes auf sich lüden; dann erst seien sie würdig, mit dem Merkmal des Bundes Gottes, der neuen Taufe, bezeichnet zu werden.

Aus den Wiedertäufern, mit deren Namen überall die Vorstellung der Excentricität sich verband, entstanden durch Menno Simons, einen wirklich frommen Mann, noch im sechszehnten Jahrhundert die Taufgesinnten oder Mennoniten. Seine Anhänger, mit denen eine neue Periode der Anabaptisten beginnt, verwarfen die Kindertaufe, den Eid, den Gebrauch der Waffen, jede Art von Rache, die Ehescheidung, außer im Fall des Ehebruchs, verlangten strenge Kirchenzucht und den Bann, weil die Kirche eine Gemeinschaft von Wiedergeborenen sei. Der Obrigkeit müsse man gehorchen und für sie beten, sie sei aber keineswegs von Christus in seinem geistlichen Reich eingesetzt. Christen, die der Welt abgestorben, enthalten sich weltlicher Aemter. So weit hatte sich ihre ursprüngliche Opposition gegen die weltliche Obrigkeit gemildert. Die Mennoniten empfahlen sich überall durch Fleiß, Sparsamkeit und Wahrheitsliebe.

In den Niederlanden trennten sie sich wegen des Bannes in strengere und mildere, feinere und gröbere; die groben nannte man Waterländer, weil sie in der Gegend von Franecker im Waterland wohnten; sie stritten viel mit einander, vereinigten sich aber im siebenzehnten Jahrhundert und wurden überhaupt mild und duldsam. Der Statthalter Wilhelm von Oranien verschaffte ihnen bürgerliche Rechte und Freiheit von Eid und Kriegsdienst.

In England, wo sie ursprünglich hart verfolgt wurde, erlangte nachmals die Secte der Baptisten eine große Ausdehnung und verpflanzte sich dann auch nach Amerika, wo sie sich besonders auf Rhode-Island, in Pennsylvanien und Maryland niederließ. Jetzt mögen in Amerika an sechs Millionen Baptisten leben, die in ihren Glaubenssätzen und Gebräuchen vielfach von einander abweichen. In der Schweiz und in Oesterreich, im übrigen Deutschland, am Rhein, in Schwaben, wo sie meistens unschädliche Schwärmer sind, in Danzig, Altona, in einigen westphälischen und pfälzischen Orten erhielten sie allmählich Duldung. In neuerer Zeit war besonders der englische Missionär Onken für den Baptismus thätig. In Deutschland haben die Baptisten übrigens keine große Bedeutung; ihre Zahl soll in zweiundfünfzig Gemeinden kaum über dreitausend sein, während sie in Amerika, als die zahlreichste aller dortigen Religionsparteien, eine Macht sind und durch ihr ehrenhaftes Betragen, ihre in manchem Betracht freien Ansichten und ihre Milde gegen Andersdenkende meist in hoher Achtung stehen.




Eine Mustermordanstalt.


„Gesegnet sei die Cholera! Ja ja, im vollen Ernste, gesegnet sei die Cholera!“ so riefen Tausende von New-Yorkern im Herbste 1866. Denn der von Europa im Frühlinge d. J. herübergeschleppten Cholera, oder vielmehr der Furcht vor ihr verdankte es die Stadt New-York, die von zwei früheren Cholera-Epidemien so entsetzlich schwer gelitten hatte, daß etwas geschah, was man für beinahe unmöglich gehalten hatte: die Stadt wurde in aller Eile gereinigt, geputzt, gesäubert, entpestet und dadurch der Cholera der Einzug verwehrt. Natürlich hätten es die städtischen Behörden und die Bürger selbst nicht fertig gebracht; denn welcher billig denkende Mensch hätte es dem Unternehmer, der über eine halbe Million Dollars jährlich für Straßenreinigung bezieht, zumuthen können, die Straßen allen Ernstes fegen zu lassen, wenn er zwei Drittel der Contractsumme in die Taschen der Stadtväter und ihrer Helfershelfer abliefern muß und wenn er das dritte Drittel nothwendig für sich selbst braucht? Und wie konnte man von den wohlbestallten städtischen Gesundheitsbeamten verlangen, daß sie Schlachthäuser, Seifen-, Fett-, Leim- und Knochensiedereien, Bleiweißfabriken, Gerbereien und andere gesundheitsgefährliche Gewerbe aus dem städtischen Weichbilde auswiesen, wenn sie von den Inhabern derselben so schöne Renten für Duldung derselben bezogen, aus deren Ertrag sie und ein langer Schweif hungriger Politiker ihren Lebensunterhalt deckten? Wie sollten endlich die stimmberechtigten Bürger in ihrer souveränen Machtfülle etwas zur Abwehr der Cholera thun, wenn sie in ihrer Mehrheit Irländer sind, von jedem denkbaren öffentlichen Mißbrauch Vortheil ziehend und gelenkt von einer kleinen Schaar demagogischer Leithämmel, denen sie um so gewissenhafter ihre Stimmen verkaufen, je besser diese für dieselben bezahlen? Also, wie gesagt, die Abhülfe konnte blos von auswärts kommen, von der gesetzgebenden Versammlung des Staates New-York, welche denn auch im Frühjahr 1866 in aller Eile ein Gesetz erließ, das die Reinigung und Gesundmachung der Stadt einer vom Staate erwählten Gesundheitsbehörde mit unbeschränkten Vollmachten übertrug. Ein Zetermordio erscholl durch alle „demokratischen“ Quartiere über diesen neuen Eingriff in die Municipalrechte der Stadt, in die geheiligte Selbstregierung des Volkes; aber der neue „Board of Health“ (Gesundheitsbehörde) unter dem Vorsitz des Dr. Schultz griff energisch ein und vollbrachte die Reinigung des Augiasstalls so schnell, wie es kaum ein Hercules gethan haben könnte.

Die Schlächterei war, wie gesagt, bis dahin innerhalb der eigentlichen Stadt, und zwar zumeist in sehr dichtbevölkerten Vierteln betrieben worden. Allabendlich wurden große Viehheerden durch die belebtesten Straßen getrieben und unter die Hunderte von Schlächtern vertheilt, welche sie in abscheulichen Löchern von Ställen aufbewahrten, bis sie geschlachtet wurden. Der Gestank in diesen Schlachthäusern und bis in einige Entfernung davon war um so gefährlicher, als man für die Abfälle keinen Absatz hatte, das Blut, ebenso wie der Unflath, in den Rinnsteinen bis zur nächsten Canalöffnung abfloß, die nicht verkäuflichen Theile der Eingeweide in den Fluß geworfen wurden, auf dem sie oft wochenlang mit Ebbe und Fluth an allen Ufern umherschwammen, und die Schlachträume selbst aus Mangel an Raum elend ventilirt waren. Außerdem konnte das Fleisch dieser Thiere unmöglich gesund sein. Das meiste Schlachtvieh des nordamerikanischen Ostens kommt aus dem Westen, der Transport auf den Eisenbahnkarren dauert fünf bis sechs Tage oder Nächte; während dieser ganzen Zeit konnten die Thiere sich nicht legen, nicht gehörig gefüttert und getränkt werden. Dann kamen sie in die Stallungen der Vorstädte:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 759. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_759.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)