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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Schlittenkufen, auf welche die Spritze gesetzt worden war, die er sogleich in Thätigkeit treten ließ.

„Jesus Maria!“ rief entsetzt zurückspringend der Mann, der sich dem Erdgeschosse genähert hatte, dessen Fensterläden verschlossen waren. „Das wär’ ja schrecklich! Mir ist’s gewesen, als hätt’ sich was gerührt in der Stuben … als wenn ich ’was gehört hätt’ wie eine menschliche Stimm’ …“

Niemand hatte etwas vernommen, Alle waren einig, es für eine Täuschung zu erklären; da verstummte ihnen das Wort im Munde, der Athem stockte und Grausen sträubte ihnen das Haar.… Aus der untern Stube des flammenden Hauses drang deutlich, nicht zu verkennen der halberstickte Jammer- und Angstruf eines Menschen; aus den Spalten der Fensterläden qualmte Rauch, das Feuer schien von oben die Decke durchgebrannt zu haben.

Wildes Stimmengewirr des Schreckens antwortete. „Balken her! Einen Feuerhaken her! Rennt die Läden ein … es ist wer in dem Haus …“ Die mit der Spritze angekommenen Männer schleppten rasch einige Stangen herbei, mit mächtigen Stößen wurden sie bald gegen die Fensterläden geführt und das alte Holzwerk fiel schnell in Trümmern herab.

Der Rauch qualmte dichter heraus; in demselben gewahrte man ein neues Hinderniß des Eindringens; die Fenster waren mit starken Eisenstäben vergittert. „Drauf!“ hieß es wieder. „Die Stangen mit den Haken gefaßt! Reißt sie heraus!“ … Die Scheiben klirrten, das Holzwerk krachte im Mauergefüge – lauter, entsetzlich lauter ertönte das Angstgeschrei.

Jetzt waren die Läden nach allen Seiten beseitigt; der eingeschlossene Rauch fand überall einen Weg zum Abzug, die Luft verdrängte ihn und fachte dafür die Gluth zur Flamme an – eine helle Lohe schlug in der bis dahin verfinsterten Stube empor; Sixt war der Erste, der hinzugesprungen war, einen Blick hinein zu werfen, um zu erkennen, wer sich im Hause befinde und wie ihm geholfen werden könne.

„Es ist der Nußbichler!“ rief er und taumelte zurück, die Hände vor die gluthgeblendeten und rauchgebeizten Augen schlagend. „Er liegt am Boden und ist von Rauch betäubt, wie es scheint … auf dem Tisch aber liegt ein ganzer Haufen Silbergeld …“

„Der Nußbichler!“ rief es durcheinander. „Wie kommt der da hinein? Wenn er drinnen ist, dann hat kein anderer Mensch das Feuer angelegt als er! Dann sollt’ man ihn nur gleich mit verbrennen lassen, den Lumpen!“

„Nicht doch, Nachbarn,“ übertönte Sixt den Lärmen mit gebieterischer Stimme, „wenn er auch ein Nichtsnutz ist, ein Mensch ist er doch und ist in Gefahr – und wer ein richtiges Herz im Leib hat, der laßt sein’ Mitmenschen nit stecken in der Gefahr! Wir wollen uns was darauf einbilden, daß gerad’ wir es sind, die ihn heraus holen aus der Falle, in die er sich selber eingesperrt hat, wie mir scheint! Frisch angepackt, zugegriffen, wer ein Herz im Leib hat!“

Seine Worte und sein Wesen bewährten wieder die schon öfter erprobte Wirkung; sie waren Befehle, denen Jeder sich fügte, weil sie etwas von ächt gebieterischer Natur in sich hatten; keine Widerrede war weiter zu vernehmen, jeder Einwand war verstummt, aber Alles griff mit erneuter Thätigkeit zu Arbeit und Werkzeug. Während Einige die Haken an den Stangen einhingen und die Eisengitter loszureißen strebten, waren Andere bemüht, mit Balken die ganzen Fensterstöcke heraus zu wägen; eine dritte Schaar gebrauchte einen starken Baumast als Sturmbock, um die Thür einzurennen. Es war vergeblich; die noch wohl erhaltene, fest gefugte Thür widerstand den heftigsten Stößen, sie war offenbar von innen verrammelt; der Nußbichler mußte sich selbst eingeschlossen haben und saß nun gefangen in eigener Falle.

Die Vermuthung war auch vollkommen begründet.

Der Aufenthalt im Kerker, die stete brütende Einsamkeit hatten das Wirrsal in dem erhitzten Kopfe des Unseligen immer mehr gesteigert; er lebte im dumpfen Wahne dahin, und wie in einer ausgebrannten Feuerstätte noch ein einziger letzter rother Funken glimmt, glühte in ihm nur der eine Gedanke fort, zu entkommen und zwar zeitig genug, um sein früheres Gütchen wieder erwerben zu können. Wie schon erwähnt, war dasselbe, da der nach Alisi gekommene Besitzer es zu behaupten nicht vermocht hatte, wiederholt zum Gantverkaufe um den gerichtlich bestimmten geringen Schätzungswerth ausgeboten worden, aber in der Tagfahrt war Niemand erschienen, der ein entsprechendes Gebot gelegt hätte; es war daher bereits zur zweiten Versteigerung ausgeschrieben, bei welcher der Zuschlag um jedes, auch das geringste Gebot, erfolgen mußte. Der verhängnißvolle Tag rückte näher und näher; sollte nicht alle Hoffnung, das Gütchen jemals wieder zu erwerben, für ihn mit einmal und unwiederbringlich zerstört werden, so mußte er in den nächsten Tagen in Freiheit sein und dieser Gedanke trieb ihn unablässig wie ein glühender Stachel. Ob er demungeachtet das Gütchen erhalten, ob die Behörden ihn in den Besitz lassen würden, ob die Summe, die er nach dem, was ihm abgenommen worden, noch besaß, genügen werde: das Alles bedachte und erwog er nicht, für ihn war Alles erreicht, hatte er nur erst die Gefängnißmauern hinter sich.

Mit einem alten, mühsam aus dem Boden gewundenen Nagel hatte er begonnen, in die Wand zu graben, wo das einzige Fenster seiner Zelle eingemauert war, und nach Tagen und Nächten der unsäglichsten Anstrengung war es ihm wirklich gelungen, den Holzrahmen rings herum so locker zu machen, daß dieser noch immer festzusitzen schien, in Wirklichkeit aber nur noch lose eingesetzt war. Niemand beachtete das wochenlange mühevolle Werk, weil der Gefangenwärter sich immer begnügte, einen flüchtigen Blick durch den Raum zu werfen, und weil man das Entkommen für unmöglich hielt. Die Mauern waren fest, die Bohlen und Eisenbeschläge der Thüren undurchdringlich und das Fenster war so weit über Manneshöhe angebracht, daß man es auf den Zehen stehend und die Arme streckend kaum mit den Fingerspitzen erreichen konnte. Dennoch hatte die Kraft seines Wahnes dem Gefangenen das Unmögliche möglich gemacht; das Fieber seines Gehirns hatte ihm die Muskeln gestählt, daß er es vermochte, sich an der Wandschräge wie ein Kletterer mit angestemmten Knieen emporzuarbeiten und festzuhalten und so sein langwieriges Werk zu vollenden. Am Tage vor der Versteigerung war er so weit gekommen; die Wollendecke seines Lagers, in Streifen geschnitten und aneinander geknüpft, bot ihm ein bequemes sicheres Mittel, sich draußen an dem Gemäuer herabzulassen und so mit einem nicht sehr gefährlichen Sprunge den Graben zu erreichen, der unbewacht war und wo er, zumal in der Nacht und in dem Schneegestöber, in welchem sich eben die Wolken entluden, keine Entdeckung mehr zu fürchten hatte. Mit dem Winde, der die Flocken jagte, flog er quer über Rain und Feld und machte im angestrengten Laufe nur einmal Halt, an einer Waldspitze, wo ein kleines Bächlein unter Weiden hinkroch und er in einem hohlen Stamme einen Theil seines Reichthums verborgen hatte.

Mit einem unterdrückten Schrei preßte er den Beutel mit den Münzen in der Tasche seiner Jacke fest an die Brust und rannte in doppelter Schnelligkeit, bis er dem ersehnten Ziele gegenüber stand. Da die Thür des Hauses verschlossen war, brach er, mit dessen Gelegenheit vollständig vertraut, in der Nähe des Stalles ein Brett hart am Boden aus und zwängte sich, gleich einer Natter durchkriechend, in den innern verlassenen Raum. Er tastete sich durch Stall, Küche und Fletz bis in die Wohnstube und war überglücklich, als er auf dem Ofen, wo sonst das Feuerzeug zu liegen pflegte, die dürftigen Reste eines solchen entdeckte und es ihm gelang, einige Funken hervor zu locken. Ein Bündel vergessener Spähne diente, ihm den gewohnten, einst so lieb gewesenen Raum zu beleuchten; bei dem fahlen unsicheren Schein eilte er in der Stube umher, wie ein Kind all’ die Gegenstände und Kleinigkeiten betastend, welche noch vorhanden waren, weil sie, als ein Stück des Hauses und zu demselben gehörend, in ihm verbleiben und mit ihm von Hand zu Hand gehen. Da war der alte Tisch, über demselben das in der Wand eingelassene Kreuzbild mit einem längst verdorrten staubigen Büschel von Palmweide und Dorn, das Weihbrunnkesselchen in der Thür, der mächtige Ofen mit seinen nach innen vertieften runden Kachelstücken. Lachend streichelte er denselben und fing wie mit einem alten Bekannten halblaut mit ihm zu plaudern an. „Friert Dich, alter Camerad?“ sagte er. „Geht mir auch nicht besser; aber dem wollen wir bald abhelfen … ich will ein Feuer in dir anmachen, daß es nur so wacheln (wehen) soll. … Wenn das Weib kommt mit dem Buben, wird sie nicht wenig ausgefroren sein … dann soll sie eine warme Stube finden …“

Er eilte fort. Bald hatte er einige Bündel Reisig und alte Holzstücke ausgefunden, und in wenigen Augenblicken prasselte eine lustige Flamme in dem Ofen empor. Kichernd kauerte er davor nieder und das glasig schimmernde Auge, mit welchem er in das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_754.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)