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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Der rund vorspringende Erker des Osterbrunner Wirthshauses bot ein Plätzchen zur gemüthlichen Betrachtung des Wintergemäldes, wie es kaum geschützter und behaglicher gedacht werden konnte. Die Stube war leer, in dem Erker aber saß der alte Grubhofer verkehrt auf dem hölzernen dreibeinigen Stuhl und drehte den weißen Schnauzbart oder sah, die Hände mit der glimmenden Stummelpfeife um die Stuhllene gekreuzt, in den Winterabend hinaus. Manchmal sprach er auch einige Worte, welche der am großen grünen Kachelofen eingenickten Wirthin gelten sollten, von dieser aber so wenig beachtet wurden, wie er von ihr ernstlich eine Antwort darauf erwartete.

„Die Sonn’ geht ganz roth ’nunter,“ sagte er, „und der Bach rauscht ordentlich; die Kälten wachst tüchtig, man merkt’s wohl, daß es auf Martini zugeht, ich werd’ mich auch auf den Weg machen, sonst gefrier’ ich an, bis ich auf die Gruben hinunter komm’… Aber schau, da kommt noch Einer um das Schulhaus herum … wer muß denn der sein? Er muß ordentlich waten im Schnee, es ist halt noch nirgends eine Bahn geschaufelt … mir scheint, er kommt auf’s Wirthshaus zu und will mir noch gar Gesellschaft leisten; dann kostet’s noch ein Maß’l! Es ist schon so,“ rief er lauter und klappte mit dem Krugdeckel, daß die Wirthin aus ihrem Halbschlummer auffuhr. „Einschenken, Frau Wirthin … das ist kein Mensch, als der Vorsteher von Westerbrunn, der alte Finkenzeller … was mag der noch so spät in Osterbrunn suchen?“

Während der Alte sich erhob und neugierig der Thür zuwandte, war der Finkenzeller schon auf der Schwelle, stampfte sich den Schnee von den Schuhen und schaute verwundert in die Stube. „Ja, wie wär’ mir denn das?“ sagte er, indem er den Reif von Haar und Bart schüttelte. „Ich lauf’ noch im Zwielicht den Weg von Westerbrunn herüber und denk’ mir nit anders, als ich werd’ die ganze Stuben noch voller Leut’ finden, und derweil ist Alles leer und der einzige Grubhofer hockt in der großmächtigen Stuben, wie ein dürrer Nußkern in seiner Schalen! Bin ich denn irrig? Ist denn heut’ nit die Vorsteherwahl in Osterbrunn?“

Die Wirthin kam mit Bierkrügen die Stiege herauf, die gleich von innen in den Keller führte. „Was meinst’, Finkenzeller?“ sagte sie. „Glaubst, ich hab’ mein Holz gestohlen, daß Du da mitten unter der offenen Thür stehen bleibst und Dein Disputat abhalt’st? Du lass’st mir ja so viel Kälten h’rein, daß ich gleich einen ganzen Wald in den Ofen nachschieben darf!“

„Ist ja kein Wunder, wenn man ganz versteinert stehen bleibt,“ sagte der Finkenzeller, indem er eintrat und die Thür mit spöttischer Behutsamkeit hinter sich schloß. „Das ist ja so gut wie ein Mirakel! Ich hätt’ mir eingebild’t, man müßt’ vor Völle Thür und Fenster aufreißen, damit ein frischer Luft in die Stuben kommt; statt dessen ist’s da so licht, wie in ein’ Stadel um Jacobi! Brauchst Dich aber meinetwegen nit zu giften, Wirthin, wie ich wiederkomm’, nehm’ ich einen Mantel voll Wärm’ mit von daheim und bring’ Dir’s, dann gleicht es sich aus! Zeh bin nur froh, daß doch ein Christenmensch da ist, der Einem ’was erzählen kann… Grubhofer, alter Rebeller, da, setz’ Dich her zu mir und hilf mir aus dem Traum… Ist denn nit heut’ die Vorsteherwahl?“

„Gewesen, alter Spezi!“ erwiderte der Alte mit pfiffig vergnügtem Lächeln. „Ist Alles schon in Ordnung – Alles vorbei!“

„In Ordnung? Vorbei? Aber wie, das ist die Hauptsach’! Es hat mir keine Ruh’ gelassen daheim, ich hab’s nit erwarten können, bis ich’s morgen fruh durch die Botengret’l erfahren hält’, ich hab’s heut’ noch wissen müssen, denn Du weißt, was ich auf Denselbigen halt’, den ich mein’, und wenn ich denk’, was das die letzte Zeit her für ein Gezischel gewesen ist und für ein Gewisper, da ist mir oft völlig heiß ’worden im Kopf… Also h’raus mit der Farb’! Wer ist Vorsteher von Osterbrunn? Muß ich schelten oder darf ich juchezen?“

„Du darfst, Finkenzeller,“ lachte der Alte, „wenn Dir der Stimmstock noch nicht umgefallen ist … kein Anderer ist Vorsteher von Osterbrunn, als Derselbige, den Du meinst!“

„Juchhe!“ rief der Finkenzeller, indem er auf den Tisch schlug, den Ton so frisch und kräftig hielt und zog, als wär’ er ein lediger Bursch, der auf’s Wildern ausgegangen und von der Bergschneide herunterjodelt zu den Sennhütten und der wartenden Almerin davor. „Da sollt Ihr schon gleich leben, Ihr Osterbrunner! Das ist ein gescheidtes Stück’l von Euch, daß Ihr Euch die Courage nit habt abkaufen lassen! Ich hab’s alleweil g’sagt, der Aichbauern-Sixt ist ein ganzer und ein richtiger Bursch und an dem ganzen Gered’ ist nit ein Sterbenswörtl wahr!“

Der Alte machte wieder ein pfiffiges Gesicht und hatte viel mit dem Schnauzbart zu schaffen. „Na, na,“ sagte er, „was die Courage anbetrifft, so wollen wir uns nit schöner machen, als wir sind. Es hat bei uns auch Niemand recht an alles das Zeug ’glaubt, aber Du weißt ja, wie das mit so einer Sach’ geht: wenn der Regen auch noch so fein fallt, wenn er halt nit nachlaßt, geht er zuletzt durch das dickste Laub; etwas bleibt halt doch allemal hängen, und wenn man sich noch so stark dagegen spreizt! Zudem hat der gestrenge Herr, der Amtmann, nit aus’lassen und hat immer wieder hineingestochen in das Wespennest, und ich möcht’ nit gut stehen, was zuletzt doch noch geschehen wär’, wenn der Sixt nit ’kommen wär’ und selber das Maul aufgemacht hätt’!“

„Aber wie denn? Erzähl’ doch …“ drängte der Finkenzeller, indem sich Beide wieder in den Erker setzten, durch dessen Fenster der Abend immer kälter und glanzloser hereindämmerte.

„Es ist geschwind geschehen gewesen,“ sagte der Grubhofer, „und wird auch geschwind erzählt sein! Die Männer von der Gemeind’ waren alle da, bis auf den Einzigen, auf den Alles am meisten gespitzt hat, bis auf den Aicher-Sixt … das ist aber dem gestreng’ Herrn ganz recht gewesen und da hat er eine Ansprach’ gehalten, was der Vorsteher für ein großes Thier sei in der Gemeind’ und daß er ein Mann sein müßt’, dem man nit so viel nachsagen könnt’, wie das Schwarze unterm Nagel ausmacht, und hat uns den alten Binder recommandirt und herausgestrichen, das wär’ ein richtiger und christlicher Mann, noch einer von der alten Welt, und den sollten wir wählen, und einen bessern Vorsteher könnten wir gar nit kriegen. Der Binder, der schon bald seinen Siebziger auf dem Buckel hat, hat sich dagegen gewehrt mit Händen und Füßen und hat gesagt, daß er nimmer recht fort könnt’, daß er mit’m Lesen und Schreiben seiner Lebtag über’s Kreuz g’standen ist – es hat Alles nichts geholfen, der Herr Amtmann hat schon anfangen lassen wollen mit der Abstimmung … da ist auf einmal die Stubenthür auf’gangen und der Aichbauer ist herein’kommen…“

„Der Blitzbursch!“ sagte der Finkenzeller und vergaß den Krug, dessen Deckel er schon geöffnet hatte, zum Munde zu führen.

„Du weißt, was er sich für ein Ansehen geben kann,“ fuhr der Alte fort, „gerad’ als wie einer von den Herrischen oder aus der Stadt, und so ist er herein und ‚Grüß’ Gott‘ hat er gesagt, ‚Grüß’ Gott, Nachbarn alle miteinander, und seids nit harb auf mich, wenn ich erst jetzt komm’ und wenn ich Euch jetzt auch noch aufhalten muß … aber ich hab’ Euch was zu erzählen …‘ ‚Erzählen?‘ hat der Gestreng-Herr gesagt und hat dazu ein Gesicht gemacht, wie ein Feld voller Teufel. ‚Die guten Leut’ sind jetzt beieinander wegen der Vorsteherwahl und nicht um Ihre Erzählungen anzuhören… Derlei fremdartige Dinge gehören nicht in die Amtshandlungen hinein…‘ Der Sixt aber hat sich nicht irr’ machen lassen und hat sich mitten in die Stuben hingestellt und hat gesagt, die Geschicht’, die er zu erzählen hätt’, die gehörte auch zu der Gemeindewahl; ‚Sie selber, Herr Baron, haben das letzte Mal gesagt, Sie wollten Alles aufbieten, daß Sie uns bei der heutigen Zusammenkunft den Stammbaum von dem Kind sagen könnten, das bei meiner Bas’ auf dem Oedhof gelegt worden ist, und wer das Kind dahin gebracht hat … also muß die Sach’ doch auch zu der Gemeindewahl gehören.‘ Der Gestreng-Herr hat’s wohl noch einmal probirt, dagegen zu reden, und hat gesagt, das wären Familiensachen, die der Gemeind’ nichts angeh’n … aber die Bauern sind schon unruhig worden und haben gesagt, sie wollten zuvor, eh’ sie wählen, den Sixt anhören, und so hat er denn richtig zu erzählen angefangt.“

„… Aber was denn? Ruck’ nur einmal heraus mit der Farb’!“

„Was sonst, als daß er’s jetzt heraus’bracht hätte, wer die Mutter ist von dem Kind und wer’s auf den Oedhof vertragen hat… ‚Es ist freilich eine harte Buß’‘, hat er gesagt, ‚wenn man so was erzählen und sich selber in’s Gesicht schlagen muß, aber wenn’s darauf ankommt, daß man einem Unschuldigen helfen kann, der drunter leiden muß, dann muß man reden, dann wär’ das Schweigen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_739.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)