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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Weil die Zeit zu kurz war,“ rief Sixt, „und weil fremde Leute sich’s doch nie so angelegen sein lassen. Ich will selber hin, gleich in den nächsten Tagen, und ich, Herr Lehrer, darauf können Sie sich verlassen, ich find’ sie, und wenn kein Mensch sie find’t! Ich muß sie auch finden … ich hab’ abzurechnen mit ihr! Sie hat mir einen großen Dienst gethan … sie hat mich aus einer Gefahr gerettet, die über mir zusammengeschlagen wär’, wie das Moos über dem, der drinn’ versinkt … ich muß ihr das vergelten, ich muß es gleichen zwischen mir und ihr … ich kann nit der Schuldner sein von einer … Aber,“ fuhr er sich selber unterbrechend und mäßigend fort, „bis dahin muß wenigstens etwas geschehen, was den Leuten das Maul stopft … und dazu giebt’s nur ein einziges Mittel – das Kind muß fort …“

„Der arme Narr!“ seufzte die Base. „Warum muß denn das sein?“

„Ich hab’ es Euch schon gesagt, Base,“ erwiderte Sixt, „weil das Gerede dadurch immer neue Nahrung bekommt, wenn das Kind bei Euch bleibt! Weil es die Leute sich nicht nehmen lassen, daß Ihr das Kind niemals aufgenommen, wenn Ihr nicht im Voraus gewußt hättet, woher es stammt! Weil sie steif und fest glauben, es sei ein abgekarteter Handel, das Geschöpf in’s Haus herein zu bringen … weil wir damit Alle in üble Nachrede kommen; ich, Base, und Ihr vor Allen, denn Jedes weiß, wie viel Ihr darauf gehalten habt, daß auf dem Oedhof nichts Platz hat, was sich nit frei und offen sehen lassen darf vor Gott und der Welt …“

„Und darauf will ich auch halten,“ sagte die Greisin entschlossen, „ich will’s, so lang ich noch kann, und will’s den Leuten zeigen, daß die Oedhoferin sich nit in ihren alten Tagen zum Deckmantel hergiebt! Du hast Recht, Sixt, das Kind muß fort … obwohl … es wird mich hart ankommen, ich hab’s lieb gewonnen, das arme Geschöpf!“

„Es soll ihm ja auch nichts Leides geschehen! Es soll ihm so gut werden, wie tausend solche Kinder es nicht haben! Ich will es an einen Ort bringen lassen, wo ihm gewiß nichts abgeht … ich hab’ es mit dem Herrn Lehrer Alles schon beredet …“

„Aber – es geht doch nicht!“ sagte die Bäuerin mit einigem Zögern. „Die Susi giebt das Kind nicht her, es ist ihr wie ihr zweites Leben!“

„Darauf kann es nicht ankommen,“ entgegnete Sixt, „die Schwester muß sich eben darein finden und darf nit verhindern, was wir wegen ihr so gut vorhaben, wie wegen uns selber!“

„Freilich wohl – aber es wird einen harten Strauß geben, Sixt … sie wird bald nach Haus kommen, und wenn’s doch einmal geschehen muß, dann ist’s besser, Du bringst es zuvor hinweg, das arme Kind …“

„Ein guter Einschlag, Base!“ rief Sixt eifrig, „damit ist die Sache am kürzesten abgethan. Jetzt ist es an Ihnen, Herr Lehrer, daß Sie halten, was Sie mir versprochen haben … Sie nehmen mein Fuhrwerk, die Magd soll mit Ihnen, soll das Kleine tragen … fahren Sie fort, in einer Stunde, noch eh’ der letzte Zug abgeht, können Sie an der Eisenbahnstation sein … fahren Sie in die Stadt und bringen Sie das Kind an den besprochenen Ort … Morgen in aller Frühe gehe ich dann selber zum Amt und zeige an, was wir gethan haben … ich denke, das soll der Sache schnell ein anderes Licht geben!“

Der rasch gefaßte Entschluß ward eben so schnell vollführt.

Die verwunderte Magd holte das sorglos schlummernde Kind in seinem Winkelbett herbei, packte etwas Wäsche dazu und vergaß, nach der Ursache des unvermutheten Wechsels zu fragen, über dem nicht minder unverhofften Vergnügen, die Stadt zu sehen. Die alte Frau ließ sich das Kind noch hinreichen und legte ihm wie bei der Ankunft tastend die Hand auf die Stirne: „Ich verstoß’ Dich nit, Du armer Wurm,“ sagte sie, „ich will doch sorgen für Dich, wie ich es versprochen hab’; aber ich kann nit dafür, daß Deines Bleibens auf dem Oedhof nimmer ist …“

Bald verhallte das Gerassel des hinweg rollenden Wagens; schweigend, am Fenster stehend vernahm es der Aichbauer, in ihrem Lehnstuhle mit gefalteten Händen die Greisin: sie betete für das Heil des zum zweiten Mal verstoßenen Kindes …

„Sixt! …“ rief sie nach einer Weile, als wollte sie die athemlose Stille los werden. „Wo bist Du? Komm’ zu mir her – und gieb mir Deine Hand …“

Er that es. „Sixt,“ sagte sie wieder, „ich habe Dich wohl verstanden und kann es Dir jetzt sagen, wo uns Niemand hört, als unser Herrgott … Du weißt mehr, als Du sagst – Du weißt auch um Deines Bruders gähen Tod, – aber ich will’s nit wissen, was für ein Ende der Scheinheilige genommen hat, denn er hat’s mit unserm Herrgott auszumachen, den er angelogen hat seiner Lebtag’, – ich frag’ Dich um gar nichts, Sixt, denn ich weiß, Du hast eine feste Hand, Du lassest keine Schand’ über Dich kommen und über uns Alle …“

Er erwiderte wortlos den Händedruck der Greisin; rasche Schritte nahten sich der Thür und die Alte flüsterte: „Sie kommt heim – das ist die Susi … Ich wollte, der Sturm wär’ überstanden! …“

Das Mädchen trat eilfertig ein, sie hatte sich kaum Zeit genommen, draußen das Umschlagtuch abzuwerfen und die Wanderschuhe von den Füßen zu streifen. Als sie den Bruder erblickte, blieb sie überrascht auf der Schwelle stehen, die Ampel, die sie in der Hand trug, warf den vollen Schein über Gesicht und Gestalt. Eine freundliche Veränderung war mit dem Mädchen vorgegangen; sie war noch immer bleich, aber die Blässe hatte das Schreckhafte verloren, das Roth, das sie bei der unerwarteten Begegnung überflog, glich dem Hauche frischen gesunden Lebens; in den Augen glänzte etwas wie Freude und um die Lippen sproßte es gleich einem aufblühenden Lächeln des Glücks. Sie begrüßte den Bruder mit flüchtigem verwundertem Gruß; ihre Aufmerksamkeit schien auf Anderes gerichtet – es fühlte und hörte sich durch, auch als sie der Base von dem Kirchgang erzählte, von dem sie eben zurück kam, von den Gräbern der Eltern und des seligen Vetters, und wie sie geschmückt gewesen, schier als die schönsten auf dem ganzen Friedhof der Pfarrkirche. „Was macht das Mariele?“ fragte sie dann und hielt die Hände an den Ofen. „Hat sie nicht nach mir verlangt? Es geht ein scharfer schneidiger Wind draußen … ich muß mich wärmen, eh’ ich nach dem Kinde seh …“

„Das hat ja Zeit,“ sagte die Alte unsicheren Tones, „sieh’ erst, daß Du ein Nachtmahl bereitest für Sixt und richte die Gaststube her; er will übernachten bei uns …“

„Gleich, Base, gleich – erst muß ich doch nach der Kleinen sehen … sie wacht immer auf um diese Zeit, und Ihr wißt ja, sie will bei Niemand bleiben als bei mir…“

Sie eilte in die Kammer.

(Fortsetzung folgt.)




Die Urbilder unserer Frauenmoden.


Die neuesten Moden sind nicht selten die ältesten. Und wäre die Phantasie der Pariser Kleiderkünstler, Modisten und Modefabrikanten noch so ergiebig und ausschweifend, sie vermöchte nichts Neues zu bringen, zöge sie nicht das Alte zu Rathe. Es ist Alles schon einmal dagewesen – schlechter oder besser – und wir gießen nur eine moderne Brühe darüber, um das Gericht dem Gaumen schmackhafter zu machen.

Die verpönte Crinoline ist endlich verschwunden und einem züchtigeren, faltenlosen Kleide gewichen, wie einst der üppige Reifrock vor dem spartanisch einfachen Revolutionskleide der französischen Bürgerin die Segel streichen mußte. Doch da es die ganz besondere Aufgabe jener Modefabrikanten ist, verschwenderischen jungen und alten Gecken und schwachsinnigen Ehemännern das Geld systematisch aus der Tasche zu locken, so machte die neueste Frauenmode plötzlich einen so gewaltigen Sprung, wurde so völlig anders und in ihrem Auftreten und Gebahren so abweichend von der jüngst vergangenen, daß selbst die ehrbare, sparsame und besonnene Frau Bedenken tragen muß, in einem vorjährigen Kleide zu erscheinen, will sie sich nicht der Gefahr preisgeben, ausgelacht zu werden. Und das ist des Pudels Kern, d. h. jene erfinderischen, auf unsere Börsen speculirenden Köpfe haben ihr Ziel erreicht. Es werden demnach Kleider octroyirt und getragen, so eng, kurz

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_726.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)