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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

von dem Capitole aus dann ein kräftiger, die Zeit und ihre Forderungen begreifender Herrscher das beruhigte Italien regiert, da wird die Welt Pius den Neunten würdigen und, mag die Folgezeit ihn heilig sprechen oder nicht, doch auf seinem Grabe den Kranz der Anerkennung niederlegen, der seiner verkehrten Regierung versagt bleiben mußte, welchen aber der Mensch im vollen Maße verdient.

Mitte October 1867.

E. B.




Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege.
Nr. 10. Der Kurmärker und die Picarde.


Wir lagen bei Preßburg, in dem Gräflich Palffy’schen Flecken Malaczka. Es war am 25. Juli, als sich plötzlich im ganzen Orte die wunderbare Mähr verbreitete, daß selbigen Abend von einer hier durchreisenden Theatergesellschaft „der Kurmärker und die Picarde“ gegeben werden sollte.

Als ich am Morgen in dienstlichen Angelegenheiten mein Quartier verließ und in die Hauptstraße Malaczkas einbog, erblickte ich denn auch wirklich an der Ecke ein Placat, welches von Soldaten und Einwohnern dicht umstanden wurde. Ich trat näher heran und, ja in der That, da auf dem kleinen beschriebenen Zettel an der Wand stand es deutlich, wenn auch etwas unorthographisch zu lesen, daß heute Abend präcis sechs Uhr auf dem Hofe des Pifko, mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung, zum ersten Male:

Die Unglücklichen.
Lustspiel in einem Acte von Kotzebue.

und zum Schluß auf vielseitiges Verlangen:

Der Kurmärker und die Picarde.
Genrebild mit Gesang und Tanz in einem Acte von L. Schneider.

aufgeführt werden sollten, wozu einen hohen Adel und ein sehr verehrtes Publicum hochachtungsvoll ergebenst die Ehre hatte einzuladen

Bläule, Director.

Ich glaube, wenn man es mir Schwarz auf Weiß gezeigt hätte, daß die Lucca heute Abend hier singen würde, es hätte mich nicht angenehmer überraschen können, als daß ich hier in Malaczka „O Tannebaum, o Tannebaum“ singen hören sollte, und schneller war ich wohl nie in meinem Leben entschlossen, in’s Theater zu gehen, als heute. Ein Blick nach dem Himmel, ob der uns keinen Strich durch die Rechnung zu machen drohte – aber nein, der helle Morgen versprach einen heißen, beständigen Tag.

Nach einigem Suchen und Fragen fanden wir das Gut des Pifko. Wir gingen durch die Thür und traten auf einen großen länglichen Hof, der ziemlich wüst aussah und schlecht genug zu einer Vorhalle des Allerheiligsten paßte. Links lag ein langes einstöckiges Gebäude, sehr baufällig und ziemlich entblößt von Kalk und Farbe, mit morschen Thüren und blinden Fensterscheiben, geradezu befanden sich einige Kuh- und Schweineställe, welche die Umgegend mit einem kräftigen Aroma überströmten, zur Rechten endlich zwischen zwei mächtige Birnbäume eingeklemmt, die derselben zugleich als Eckpfeiler dienten, war die Bühne, der Tempel der Kunst. Ein stark geflicktes ehemaliges Segeltuch oder Saatlaken mit den verwegensten Arabesken und einer wahrhaft großartigen Verschwendung von Roth und Gelb diente als Vorhang, und als ich neugierig diesen etwas lüftete, um ein bischen hinter die Coulissen zu schauen, gab ich einer ganzen Flucht Hühner die Freiheit wieder, die wahrscheinlich ein tückischer Zufall hier eingesperrt hatte. Vor Ueberraschung ließ ich schnell den Vorhang wieder fallen und stolperte über den ersten Rang, der aus vier bis fünf kunstlosen hölzernen Bänken bestand. Lachend wandten wir unsere Schritte nun zur zweiten Thüre links. Eine starre Hand und die bedeutungsvollen Worte waren hier aufgepinselt:

[WS 1]„Hier!!! Bläule, Director.“

die jeden Zweifel ausschlossen.

Neben der alten rissigen Thür mit einem wackligen Schlosse daran war ein elendes kleines Fenster, welches, anstatt durch eine Gardine, vermittels eines Frauenkleides verhangen war, doch nur so nothdürftig, daß man von Außen einen kleinen Goldrahmenspiegel und einige Schachteln und Fläschchen auf der Fensterbank erblickte, hinter denen sich ein paar Arme tactmäßig bewegten, wie wenn Jemand im Begriffe ist, sich die Haare zu machen. Wir klopften an.

„Was jiebt’s? Wer ist da?“ rief inwendig eine weibliche Stimme in echt Berliner Dialekt.

„Ist der Director zu Hause?“ frugen wir.

Der weibliche Unterrock bewegte sich ein wenig: „Jleich!“

„Wir möchten gern zu heute Abend Billets haben!“

„Nur einen Oogenblick Geduld, Ihr Herren, ich werde Ihnen gleich h’rinn lassen,“ antwortete jetzt dieselben Stimme, wie es schien, dicht an der Thür.

Gleich darauf knarrte diese und eine sehr magere und stark geschminkte Dame kam zum Vorschein, welche ihr etwas tiefes Negligé durch einen schnell übergeworfenen Shawl verdeckt hatte. Sie verneigte sich und stellte sich dann auf der Thürschwelle majestätisch in die dritte Position.

„Ick bitte, meine Herren, einen Oogenblick Geduld, mein Jatte wird gleich erscheinen, ich freue mich sehr, Sie so zahlreich zu sehen, Ihr Anblick ist mir jute Vorbedeutung!“

Mit tiefer, leiser Stimme hatte sie diese Worte gesprochen, dann aber plötzlich zog die Dame ein neues Register ihres, wie es schien, sehr umfangreichen Organes auf. „Fritze! Fritze!“ rief sie zwei Mal hinter einander mit einem so gellenden Falset und einem so durchdringenden FFF, daß wir alle unwillkürlich nach unsern beleidigten Hörorganen griffen.

„Was is denn schon wieder los?“ antwortete ein dünnes, fadenscheiniges Stimmchen aus der Gegend des Kuhstalles ärgerlich herüber, „kann mer denn och nich emal eenen Oogenblick ungestört sein!“ und dabei kam ein kleines Kerlchen, mit einer ungeheuren Weiberschürze vor, einen Farbentopf in der einen, einen Pinsel in der andern Hand, um die Ecke.

„Sie sind also der Director Bläule?“ fragte ich lächelnd.

„Aufzuwarten, der bin ich, nehmen S’ es nur nicht ungütig – – ich bin gerade bei der Mauer und dem Gebüsche für heit Abend – –“

„Sie geben den Kurmärker und die Picarde?“

„Ja – ich bin so frei. Seh’n Se, liebes Herrchen, ich dachte mer nämlich so, weil jetzt de Breißen hierher gekommen sind, wenn mer da emal en Bischen was Nationales, was Batriotisches gäben, das würde sich am Ende nicht übel ausnehmen, un die Herrn Breißen machten mir ein volles Haus.“

„Hm, das läßt sich hören.“

„Ja, seh’n Se, un wegen der Costüme, das ließe sich auch ganz leichte machen, das heißt, wenn Sie nämlich die Gewogenheit hätten un lieh’n mer blos eene Mütze un eenen Dornister un dann noch eene Uniform un een Säbel und een Gewehr, das Andere könnte ich mir denn schon selber besorgen – ja!“

„Wie,“ entgegnete ich lachend, „Sie wollen doch nicht etwa den Landwehrmann von Anno 13 mit einem Zündnadelgewehr geben?“

„Ei Du Donnerlittchen, mein gutes Herrchen, da haben Sie aber Recht!“ rief ganz erschrocken der Director, „na, da sitze ich nu emal in ’ner schönen Patsche! Seh’n Se die Mauer, die habe ich alleweile schon zum Trocknen auf de Leine gehängt und mit dem Bischen Gebüsche wäre ich och gleich fertig, aber so ’ne sackermentsche Flinte – da weeß ich werklich nich –“

„Na, lassen Sie das man gut sein, Männeken,“ tröstete ich lachend, „verschaffen Sie uns nur eine recht nette Picarde zu heute Abend, dann verhelfe ich Ihnen auch zu einem ordentlichen Kuhfuße. Aber apropos, wer macht denn den Landwehrmann Schulze?“

„Ja, liebes Herrechen, den werde ich selber die Ehre haben,“ sprach sich räuspernd der kleine Mann und warf sich in die Brust.

„Sie?“ platzte ich unwillkürlich heraus, „in der That, nicht übel; dann schnell die Billets, Herr Bläule, das wird ja ein ganz besonderer Kunstgenuß werden. Erster Rang oder Sperrsitz, ist mir ganz egal.“ –

Als wir am Abend gegen halb sechs Uhr in den Hof des Herrn Pifko traten, konnten wird uns kaum hindurchdrängen zu

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Abbildung einer nach rechts zeigenden Hand.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_718.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)