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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

und tugendhafter Aufwallung zu erheucheln? Und doch mußte es so sein – konnte nicht anders sein – die Anschuldigung war zu bestimmt, der Beweis in Verbindung mit den allgemeinen Gerüchten, mit verschiedenen Anzeichen, mit dem sonstigen geheimnißvollen Benehmen des Mädchens war zu klar und unwiderleglich, als daß ein vernünftiger Zweifel dagegen zu bestehen vermochte. Hatte nicht der eigene Bruder, der ja auch ihr Jugendgenosse und Kindheitsgespiele gewesen, wie er, die schwere Anklage gegen sie erhoben? War er auch von anderer, versteckter Gemüthsart, die ihm nicht gefiel und die Brüder von jeher einander entfremdet hatte, so schlecht, ein solch’ heuchlerischer Bösewicht konnte er nicht sein, wissentlich ein falsches Zeugniß abzugeben, oder einen Zeugen dafür zu gewinnen. Früher oder später mußte dann die Unwahrheit doch an den Tag kommen, und dann hätte er, der für die Anklage Bürge geworden mit Haut und Haar, mit Gut und Blut, mit Ehr’ und Wehr, die furchtbarste Rache und Vergeltung von Seite des Gerichts zu erfahren gehabt, das er zur Verurtheilung eines Unschuldigen verleitet.

In solchem Zweifeln und Schwanken, immer bemüht, den glimmenden Unwillen in sich selbst zu neuer Flamme zu schüren, schritt er dahin … da rauschte es in dem Gebüsche neben ihm, ein Arm erhob sich aus den Zweigen und eine Hand winkte ihm zu, stille zu stehen.

„Halt!“ rief es halblaut dazu, „geh’ nit weiter, Habermeister, Du bist verrathen!“

„Wer da?“ rief er entgegen.

„Frag’ nit, das ist ja gleich; aber mach’ kein’ Schritt weiter … Du gehst in eine Falle!“

„Brauchst Dich nit zu nennen!“ rief er hinwider und aller verhaltene und kämpfende Groll loderte in ihm auf, „die Stimm’ kenn’ ich, wenn Du sie auch verstellst, wie Dich selber… Aber ich glaub’ ihr so wenig, als Dir! Meinst wohl, weil Du keck genug bist zum Leugnen, damit wär’s abgemacht? Wer das Andre gekonnt hat, wie Du, wird auch das zuweg’ bringen! … Was stellst Dich mir wieder in’ Weg? Ich hab’ nichts zu schaffen mit Dir … und wenn ich verrathen wär’, ich fürcht’ mich nicht davor und will’s von Dir nicht wissen! Und wenn ich von da aus schnurgerad’ hineinging’ in den Tod … ich thät’ nit umkehr’n, wenn ich’s Dir verdanken müßt’! Ich geh’ meinen Weg für mich allein … und wenn Du mir ein’ Gefallen thun willst, so mach’, daß ich Dich nimmer d’rauf antreffen muß…“

Die Schaar der Haberer kam nachgerückt, mit ihnen eilte er dem Schlosse zu gegen den Hohlweg.

Das Gebüsch hatte sich längst wieder geschlossen; unbeachtet und ungesehen war die Warnerin darin zusammengesunken. Es kam wieder über sie wie vor wenigen Stunden, als sie auf dem Altane des Wirthshauses an der Kreuzstraße stand; sie faßte wie unwillkürlich an die Stirn, als könnte sie die tobenden Bilder und Gedanken ergreifen und festhalten, die wie Boten des nahenden Wahnsinns durcheinander schwankten. „Er hat Recht, ganz Recht,“ murmelte sie, „daß er mich von sich stoßt … und ich hab’ auch das Herz nit, daß ich gerad’ heraus zu ihm red’, wenn er so zornig ist … aber ich kann doch nit fort, ich kann nit – das giebt ein Unglück…“

Indessen war der Zug, da die Wachen nichts Verdächtiges gewahrt hatten, in die Hohlgasse eingerückt und begann sich lautlos auf dem Platze an der Schloßmauer auszubreiten; eben wollten die Letzten herankommen, als ihnen plötzlich von allen Seiten Halt! Zurück! und Wer da? entgegen tönte; überall tauchten ihnen im Rücken dunkle Gestalten auf und angeschlagene Gewehrläufe blinkten ihnen entgegen.

Einen Augenblick herrschte vollständige Stille; die überraschte Schaar drängte sich zu einem Knäuel zusammen. „Antwort, oder es giebt Feuer!“ rief es wieder. „Wer da?“

„Kaiser Karl und das Habergericht!“ rief der Meister laut entgegen. „Wer untersteht sich und ruft es an?“

„Der das Recht dazu hat!“ tönte es zurück. „Es giebt keinen Kaiser und kein Habergericht im Land… Gebt Euch, Ihr Friedensbrecher, Ihr seid umringt!“

„Wir haben auch das Recht,“ begann der Habermeister wieder, „und eines, das schier so alt ist wie unsere Berg’ – und so sag’ ich: Auseinander, was uns im Weg steht! … Macht freie Bahn für das Habergericht!“

Er konnte nicht weiter sprechen; ein heißblütiger Bursche, dem die Verhandlung zu lange währte, Zufall oder Ungeschick rührten an den Hahn einer Büchse und aus dem Kreise der Haberer knallte ein Schuß gegen die Feinde hinüber…

Mit der Schnelligkeit eines Pulsschlages blitzte es auch bei diesen aus einem halben Dutzend Gewehre auf; die Kugeln der übereilten ziellosen Schüsse sausten in dem Laube der Bäume, ein paar Ausrufe zeigten aber, daß nicht alle ganz vergeblich abgeschossen worden. Die Wirkung der Salve war eine entscheidende, weil sie die unvorbereiteten Bauern vollständig überraschte und entmuthigte, da es unmöglich war, die Zahl der Gegner und somit die wahre Größe der Gefahr zu erkennen… Auch waren wohl die meisten bereit, einem nächtlichen Zuge, der ihnen völlig harmlos dünkte, beizuwohnen, aber ein förmliches Gefecht in dunkler Nacht gegen einen vielleicht weit überlegenen und nicht schonenden Gegner mitzumachen, reichte weder Muth noch Lust; ohne Befehl oder Losung abzuwarten, aus freiem Antriebe rollte die erst so trotzige Schaar sich auseinander und in wenigen Augenblicken war der Platz gegen den Wald hin mit dunklen fliehenden Gestalten bedeckt, denn es war beim ersten Andrange nicht schwer geworden, mit der Wucht des Anstoßes die Linie der Gegner zu durchbrechen und eine Gasse zu gewinnen. Hinter den Fliehenden drangen die Verfolger vor, eifrig bemüht, einen der Uebelthäter zu ereilen, ehe der schützende Wald ihn aufgenommen; wenige Minuten hatten zur völligen Zersprengung der Haberer hingereicht, und nur hier und da knallten und blitzten einzelne Schüsse durch die Nacht.

Beinahe der Einzige, der unerschüttert Stand gehalten und die Flucht seiner Genossen mit Grimm und Beschämung gesehen, war der Habermeister. Vergebens hatte sein unterdrückter Ruf sie aufgefordert, stehen zu bleiben, sich in Reihen zu schließen und wenigstens die Ehre eines geordneten Rückzuges zu wahren, sie hörten nicht auf ihn; auch war seine Thätigkeit und Aufmerksamkeit völlig von einem Ereigniß in seiner nächsten Nähe in Anspruch genommen worden. Er hatte seinen Standpunkt zur Seite des Platzes auf einer leichten Erhöhung unter einem hohen Kirschbaume genommen, wo er sowohl sehen, als gesehen werden konnte – wenige Schritte von ihm traf eine Kugel einen der Flüchtlinge, daß er mit gellendem Aufschrei emporschnellte und dann wankend und taumelnd beinahe hart vor seinen Füßen zusammenbrach.

„Herrgott,“ rief der Habermeister, „was ist denn das? Die Stimm soll’ ich ja kennen … Waldhauser, bist Du’s denn wirklich? Wie kommst denn Du daher, unter die Haberer?“

„Ich bin’s …“ stöhnte der Getroffene und fuhr mit den Händen nach dem blutüberströmten Angesicht. „O Gott … o Gott, meine Augen! Ich bin blind, ich bin zum Sterben getroffen… O Sixt, Bruder … um aller Heiligen willen, verlaß mich nicht…“

Sixt warf einen flüchtigen Blick auf die Umgebung; die Bewaffneten kehrten rings von der nutzlos gewordenen Verfolgung zurück und begannen den Kampfplatz zu durchstreifen – es bedurfte nur noch einiger Minuten, so mußten sie auch ihn erreichen; ein Krampf zog ihm das muthige Herz bei dem Gedanken zusammen – aber seine Würfel waren gefallen, er mußte ausharren … er konnte den verwundeten, mit dem Tode ringenden Bruder nicht verlassen…

„Sei ruhig, Waldhauser,“ sagte er, „ich geh’ nit von Dir, vielleicht ist Deine Wunde nicht so gefährlich, wie Du glaubst, ich will versuchen, Dich auf den Rücken zu nehmen und hinweg zu tragen.“

„O … o …“ wimmerte der Verwundete, „das ist Alles zu spät … für mich ist keine Hülfe mehr und keine Rettung … ich muß sterben, Bruder, ich fühl’s, der Tod dringt mir schon an’s Herz heran…“

Unschlüssig beugte der Meister sich zu dem Liegenden herab, dessen Besinnung unter heftigen Krämpfen zu schwinden begann; da huschte eine weibliche Gestalt hinter dem Baume hervor und drängte sich dazwischen.

„Du? Schon wieder Du?“ rief er beinahe zurücktaumelnd.

„Denk’ jetzt nit dran, daß ich’s bin,“ erwiderte das Mädchen, „mach’, daß Du fort kommst, im Augenblick sind sie da, der Weg an dem großen Holzbirnbaum hinunter ist noch frei.“

„Soll ich den Bruder in diesem Zustand verlassen?“ fragte er, noch immer kaum seinen Augen trauend.

„Ich fürcht’, dem hilft kein Mensch mehr, und was ein Mensch noch thun kann für ihn, ich will’s thun, ich will bei ihm

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